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Rhein-Erft-KreisTankstellen-Pächterin in ständiger Sorge um ihre Mitarbeiter

Lesezeit 5 Minuten
Auf dem Foto ist eine Tankstelle in Kerpen zu sehen, die zwei Mal überfallen worden war.

Mehrere Tankstellen wurden, wie diese freie Tankstelle, im Rhein-Erft-Kreis im Januar überfallen. Die Polizei hat drei Tatverdächtige festgenommen.

Die Polizei hat einen dritten Tatverdächtigen gefasst. Der 18-Jährige soll an einer Raubserie beteiligt gewesen sein.

Es war kurz vor 22 Uhr, als die Ladentür aufging und zwei bewaffnete Männer durch den Ladenraum stürmten, direkt auf die Kassiererin zu. Im nächsten Moment sah die junge Frau in den Lauf einer Pistole. „Geld her“, schrien die Täter, griffen in die Kasse und waren im nächsten Augenblick mit der Beute auch schon wieder über alle Berge. „Unsere Mitarbeiterin hatte Todesangst“, berichtet Sabine Ensch. Die 54-Jährige ist Pächterin mehrerer Tankstellen im Rhein-Erft-Kreis und in Köln.

Alleine in den vergangenen Monaten ist sie viermal überfallen worden. In der Vorwoche waren zwei mutmaßliche Täter festgenommen worden, ein weiterer Tatverdächtiger ist am Mittwochmittag in Bedburg verhaftet worden. Auch er soll an der Serie der Tankstellenüberfälle in Bedburg, Kerpen und Elsdorf im Januar beteiligt gewesen sein. Der 18-Jährige befindet sich in Untersuchungshaft.

Ich zucke richtig zusammen, wenn das Telefon klingelt, kann schwer oder gar nicht mehr abschalten und habe ständig Angst um meine Mitarbeiter
Sabine Ensch

Doch die Schrecken der Überfälle wirken immer noch nach. „Die Festnahme der Täter ist natürlich für uns alle eine große Erleichterung“, sagt Ensch. Sie, aber auch ihrem Team, haben die vergangenen Wochen einiges abverlangt. „Ich kann auch jetzt noch nachts kaum ein Auge mehr zumachen“, berichtet die Pächterin. Jedes kleinste Geräusch reiße sie aus dem Schlaf. „Ich zucke richtig zusammen, wenn das Telefon klingelt, kann schwer oder gar nicht mehr abschalten und habe ständig Angst um meine Mitarbeiter“, erklärt sie.

Ihr Arbeitstag beginne morgens um 5 Uhr. Deswegen gehe sie früh ins Bett. Doch immer öfter beobachte sie sich auch jetzt noch dabei, dass sie regelrecht darauf warte, dass das Telefon wieder klingele und einer ihrer Mitarbeiter zu ihr sagt: „Wir sind wieder überfallen worden.“

Um keine Zeit zu verlieren, legt sie sich vor dem Zubettgehen Kleidung raus. Mit ihrem Mann fährt sie dann direkt los. „Ich habe in solchen Momenten eigentlich nur einen Wunsch: Ich muss mich persönlich davon überzeugen, dass meine Mitarbeiter leben, dass ihnen wenigstens körperlich nichts passiert ist“, erklärt Ensch.

So sei das auch bei ihrer Mitarbeiterin gewesen, die in Todesangst in den Revolverlauf schauen musste. „Als wir ankamen, hat sie am ganzen Körper gezittert“, erinnert sie sich. Der Überfall habe ihr derartig zugesetzt, dass sie zunächst auch kein einziges Wort sagen konnte. Erst als Ensch die junge Frau lange und fest in den Armen gedrückt habe, habe sich die Starre gelöst. Zuerst habe sie nur geweint und dann habe sie schließlich auch berichten können, wie sie den Überfall auf die Tankstelle erlebt hat.

In Tankstellen können Räuber nur wenig Bargeld erbeuten

„Sie ist weiter in unserem Team, aber immer noch in psychologischer Behandlung“, berichtet Ensch. Die seelischen Verletzungen infolge eines solchen Überfalls seien enorm. Man fühle sich wie in einem falschen Film, wie in der Unwirklichkeit: „So etwas passiert woanders, aber noch nicht hier und jetzt“.

Ihren Mitarbeitenden hat sie eingebläut: „Die Räuber wollen nur das Geld.“ Immer wieder predigt sie auch: „Riskiert nichts, Geld lässt sich ersetzen.“ Ensch bezweifelt, dass sich die Täter wirklich darüber im Klaren sind, was sie ihren Opfern antun, wenn sie plötzlich die Mündung einer Pistole auf sie richten, oder ihnen maskiert bis zur Unkenntlichkeit mit einem Messer, einem Beil oder anderen Waffen gegenüberstehen.

„Solche Täter sind nicht sehr intelligent“, weiß der Geschäftsführer des Zentralverbands des Tankstellengewerbes, Jürgen Ziegner. Das zeige ihm alleine schon die Tatsache, dass sie für wenig Geld die hohen Gefängnisstrafen wegen räuberischer Erpressung in Kauf nehmen. Es sei ja längst hinreichend bekannt, dass in den Tankstellen immer weniger Geld zu holen ist. „Immer mehr Kunden zahlen bargeldlos“, erklärt er.

Auf dem Foto ist Sabine Ensch zu sehen. Sie ist Pächterin von fünf Tankstellen.

Sabine Ensch ist Pächterin von fünf Tankstellen. Sie musste in den vergangenen Monaten vier Überfälle verkraften.

An vielen Tankstellen seien inzwischen auch Plakate befestigt mit dem Hinweis „Überfall zwecklos“. Sämtliches Bargeld verschwinde direkt im Tresor, zu dem auch die Mitarbeitenden keinen Zugang hätten. Immer besser werde auch die Sicherheitstechnik. „Videoüberwachungen können zwar keinen Überfall verhindern, wohl aber geben sie recht detaillierte Hinweise auf die Täter“, erklärt Ziegner. Es sei sogar schon vorgekommen, dass nach einer Veröffentlichung des Videomaterials vermeintliche Freunde der Täter bei Polizei anriefen und aufgrund von Bewegungen und besonderen Kleidungsstücken ziemlich präzise Hinweise auf die Täter machen konnten.

Längst zeigen die verschiedenen Präventionsmaßnahmen auch ihre Wirkung. Denn die Überfälle auf Tankstellen haben sich in den beiden vergangenen Jahrzehnten halbiert. „Trotzdem ist jeder Überfall einer zu viel“, sagt Ziegner. Er findet es absolut schrecklich, für die Mitarbeitenden und die Tankstellenbetreiber, solche Erfahrungen an ihrer Arbeitsstelle machen zu müssen. „Die Berufsgenossenschaft ist sehr gut aufgestellt und hilft mit sehr erfahrenen Kräften“, betont er.

Jeder Mensch gehe anders mit einer solchen Erfahrung um. Einige bräuchten psychologischen Beistand, anderen helfe es schon, einfach nur über die Geschehnisse reden zu können. Ziegner weiß aber auch von Menschen, die ein solches Erlebnis nicht verkraftet haben, die regelrecht aus ihrem Berufsleben herausgeworfen wurden.


In der subjektiven Wahrnehmung hat es im Januar 2024 im Rhein-Erft-Kreis fast jeden Tag einen Überfall auf eine Tankstelle gegeben. Gibt man jedoch im Presseportal der Polizei des Rhein-Erft-Kreises das Stichwort „Tankstelle“ ein, dann sind im Januar sechs Überfälle vornehmlich im nördlichen Rhein-Erft-Kreis zwischen Kerpen, Elsdorf und Bergheim notiert.

Im vergangenen Jahr sind bei gleicher Suche 17 und 15 Überfälle im Jahr 2022 verzeichnet. Laut Ziegner habe es 2022 bundesweit 628 Überfälle auf Tankstellen gegeben. Ein Höhepunkt sei im Jahr 2002 gezählt worden, mit insgesamt 1256 gemeldeten Tankstellenüberfällen.

Der Rückgang zeichne sich auch in NRW ab, wo es 2022 insgesamt 180 Überfälle auf Tankstellen gegeben hat, 2010 seien es noch 335 Überfälle gewesen. (mkl)