Entscheidung am NikolaustagAls die Wesselinger 1975 keine Kölner werden wollten

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Vier Personen, zwei Frauen und zwei Männer stehen vor dem Wesselinger Rathaus. In der Hand halten die beiden Personen in der Mitte ein Bild mit dem Schild der Martin-Reglin-Straße.

Gemeinsam mit Zeitzeugin Ursula Schumacher erzählte Jörg Reglin seinen Kindern Vanessa (24) und Lukas (20), wie Wesseling einst wieder selbständig wurde.

Jörg Reglin erinnert an den Einsatz seines Vaters, der sich in den 1970ern mit vielen Wesselingern gegen die Eingemeindung ihrer Stadt stemmte.

Für Jörg Reglin ist Wesseling die Stadt, in der er in jungen Jahren politisiert wurde. Heute in Hennef zu Hause, kommt der 63-Jährige immer wieder gern in seine Heimat und blickt gemeinsam mit seinen beiden inzwischen erwachsenen Kindern Vanessa (24) und Lukas (20) auf eine spannende Zeit vor mehr als vier Jahrzehnten zurück.

„Damals freuten sich alle riesig über die wiedergewonnene Freiheit von Wesseling, als die Stadt im Jahr 1976 wieder selbstständig wurde“, erinnert er sich gut. „Dafür hat sich mein Vater stark gemacht und das habe ich als Jugendlicher hautnah miterlebt“, blickt er zurück.

Meine Mutter hat meinem Vater immer den Rücken freigehalten.
Jörg Reglin

Sein Vater, Martin Reglin, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre und nach dem auch eine Straße benannt wurde, war damals Bürgermeister. Das monatelange Ringen um die Selbstständigkeit der Stadt war sein wichtigstes Anliegen. „Wir haben darüber zu Hause auch viel mit meinen zwei Brüdern diskutiert, und meine Mutter hat meinem Vater immer den Rücken freigehalten. Das war eine wertvolle Unterstützung“, ist sich Jörg Reglin sicher.

Auf dem Foto sind Wesselings Bürgermeister Martin Reglin und Schüler zu sehen. Sie demonstrieren vor dem Rathaus gegen die Eingemeindung ihrer Stadt nach Köln.

Im Beisein von Bürgermeister Martin Reglin demonstrierten Schüler Anfang der 1970er Jahre vor dem Rathaus gegen die Eingemeindung ihrer Stadt nach Köln.

Historische Fotos und Dokumente im Stadtarchiv erinnern noch heute an die „Aktion Bürgerwille“, die der damalige Bürgermeister und SPD-Politiker anstieß. 83 Prozent der wahlberechtigten Wesselinger votierten im Februar 1974 gegen die drohende Eingemeindung ihrer Stadt nach Köln. Unter dem Motto „Wesseling muss Wesseling bleiben! Wir wollen nicht nach Köln!“ entwarf Martin Reglin selbst Karikaturen für Flugblätter, mit denen zur Stimmabgabe bei dem Volksbegehren aufgerufen wurde.

„Es ging um die Selbstbestimmung der Menschen und ums Geld“, berichtet sein Sohn. „Ja, vor allen Dingen um höhere Gebühren“, ergänzt Ursula Schumacher, die im Kontakt mit Jörg Reglin steht und ebenso die „stürmische Zeit“ nicht vergessen hat. Als junge Frau demonstrierte sie damals wie viele andere gegen die Kölner Vereinnahmung.

So erhob die Großstadt Köln teilweise das Siebenfache der in Wesseling üblichen Gebühren. Zum Beispiel betrugen die Straßenreinigungsgebühren pro laufendem Meter in Wesseling 40 Pfennig, in Köln dagegen 3,90 Mark. Ein Hundebesitzer wurde in Wesseling mit 36 und in Köln mit 60 Mark zur Steuerkasse gebeten.

Landtag NRW setzte sich über die Proteste in Wesseling hinweg

Trotz der massiven Bürgerproteste beschloss der Landtag von Nordrhein-Westfalen am 27. September 1974 das „Köln-Gesetz“, das die Eingemeindung Wesselings nach Köln besiegelte. An diesem Tag wehten die Flaggen vor dem Rathaus in Wesseling auf Halbmast. Zwei Jahre zuvor waren dem Ort erst die Stadtrechte verliehen worden. „Das war sehr, sehr bitter, aber mein Vater wollte nicht aufgeben“, so Jörg Reglin. „Er zog vor Gericht.“

Und am Nikolaustag vor genau 48 Jahren, 1975, läuteten in Wesseling außerplanmäßig die Glocken. Denn an diesem Tag erklärte das Landesverfassungsgericht in Münster das „Köln-Gesetz“ für verfassungswidrig.

Noch im Gerichtssaal überreichte Martin Reglin dem Anwalt Wesselings, Dieter Sellner, die Verdienstmedaille der Stadt. „Sein Anteil“, so damals Sellner über das beeindruckende Engagement des Bürgermeisters, „kann an dem guten Ausgang gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“. Nach dem Urteil herrschte Jubelstimmung. „Das war unglaublich. Tausende feierten auf dem Rathausplatz“, weiß noch Jörg Reglin. „Für mich war und ist das bis heute gelebte Demokratie.“

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