Mühle 2.0 in Neunkirchen-SeelscheidStarkes Mehl auch per Mausklick
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Paul-Heinz Dobelke arbeitet auch mit 72 Jahren noch in der Horbacher Mühle mit.
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Neunkirchen-Seelscheid – Der Müllermeister ist die Ruhe selbst. Wieder einmal ist viel zu tun, die Arbeit hinterlässt ihre Spuren: Paul-Heinz Dobelke ist weiß von Kopf bis Fuß, emsig wuselt das 72 Jahre alte Familienoberhaupt zwischen den Mahlwerken und Schüttelsieben herum. Mit Argusaugen überwacht er die Produktion. Denn Dobelke will ein starkes Mehl: „Das geht nur ein Mal auf – nämlich im Ofen der Backstube.“ Und dafür aber muss es möglichst kühl gemahlen werden: Wenn das Getreide zwischen die Walzen gerät, darf nur wenig Reibung entstehen. Denn Reibung bedeutet Wärme.
„Aber nur Mehl, das wenig Wärme bekommt, ist am Ende ein starkes Mehl“, erklärt derweil Johannes Dobelke (31). Noch vor sechs Jahren hätte der gelernte Steuerfachangestellte selbst nicht gedacht, dass er einmal den elterlichen Betrieb als Geschäftsführer leiten und die Produkte des Familienunternehmens Abnehmer in ganz Europa finden würden. Damals stand die Horbacher Mühle auf der Kippe. Dem mehr als 160 Jahre alten Handwerksbetrieb drohte das Aus. „Wir haben uns gefragt, wie es weitergehen soll“, sagt Dobelke. „Die Landwirtschaft hatte die Familie bereits aufgegeben.“
Doch diverse Lebensmittelskandale und der Wunsch der Kunden, die Herkunft eines Produktes genau zu kennen, kamen den Müllern aus Neunkirchen zu Gute: Plötzlich ging es aufwärts mit der Mühle, die heute nicht nur Mehle herstellt, sondern auch Backmischungen – für Kekse und Kuchen etwa, für Pizzaböden und Spätzle. Und dieser Aufschwung ist für den jüngsten Sohn Grund genug, den gelernten Beruf aufzugeben und in leitender Position im Mühlengeschäft ebenfalls mitzumischen.
Wer indes bei den Dobelkes kauft, der tut dies seit rund fünf Jahren oft per Mausklick: Der Internetshop brummt. „Wir beliefern nicht nur Kunden in Deutschland: „In Europa schicken wir unsere Ware vor allem nach Norwegen, in die Niederlande, nach Belgien und nach Luxemburg“, zählt Dobelke auf. Dort sei diese Art von Mehl kaum zu finden. Der Internethandel, von Dobelkes Lebensgefährtin Dörte Sünberg (26) geführt, ist längst ein eigenständiger Zweig, verpackt und kommissioniert wird die Ware im Haus.
Auch für Waffeln geeignet
Verarbeitet werden in den zwölf Mahlgängen der Horbacher Mühle Weizen und Roggen, für den stärksten Umsatz aber sorgen Dinkelwaren. „Viele Kunden glauben immer noch, dass dies gleich Vollkorn sei“, schildert der Experte und klärt auf, dass sich ein Dinkelmehl ebenso zum Backen eigne wie jedes andere Mehl. „Selbst Waffeln kann man herstellen – ohne Unterschiede im Geschmack.“
Aber nicht nur das: Es ist vor allem für Allergiker und für Menschen geeignet, die unter Zöliakie (Gluten-Unverträglichkeit) leiden. Gluten sei in jedem Getreide vorhanden, „aber das Gluten im Dinkel ist anders aufgebaut und daher verträglicher“. Beim Mahlen würden dem Getreide zudem keine künstlichen Enzyme, Farb- oder Konservierungsstoffe hinzugefügt. „Die natürlichen Enzyme und Vitamine reichen völlig aus, um unser Mehl backfähig zu halten“, sagt Johannes Dobelke. Backtriebmittel seien überflüssig.
Bio sind die Produkte jedoch nicht: „Darauf haben wir bewusst verzichtet.“ Zum einen sei die Gefahr von Pilzerkrankungen viel zu groß, zum anderen seien die benötigten Rohstoffmengen in der Region nicht zu haben. „Wir müssten Bio-Getreide zum Beispiel in Südbayern einkaufen“, erklärt Dobelke. „Dafür sind die Transportwege aber einfach zu weit.“ Der Anbau des in der Horbacher Mühle gemahlenen Getreides erfolge integrativ-kontrolliert: „Die Pflanzen bekommen nur so viel Kalium und Stickstoff, wie sie brauchen. Niemals wird überdüngt.“ Landwirte aus einem Umkreis von 50 Kilometern zwischen dem Bergischen Land und der Kölner Bucht beliefern das Unternehmen. „Der Weg des Getreides ist jederzeit nachvollziehbar“, sagt Dobelke.
16 Tonnen Mehl können die fünf Beschäftigten an einem Spitzentag abfüllen – zum Vergleich: Die Kölner Aurora-Mühle produziert an einem Tag Mengen zwischen 1200 und 1400 Tonnen. „Aber wir wollen auch gar nicht den Massenmarkt bedienen“, sagt Dobelke. Er freut sich, dass sich immer mehr kleinere Bäckereien im Kampf gegen die Backwarenketten mit besonderen Produkten und meist regionalen Spezialitäten behaupten können. Und trotzdem: „Früher haben wir rund 100 Backstuben beliefert, heute sind es noch zehn“, bedauert der Geschäftsführer.