Mord in der KaiserzeitTagelöhnerin erschlug 1915 in Bonn Bauersfrau mit einem Beil

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Kaiser Wilhelm II. mit Kaiserin Auguste Victoria am Tag ihrer Hochzeit.

  • Der Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts, das in den 1850er Jahren errichtet worden ist, ist saniert worden; er steht unter Denkmalschutz.
  • Aus diesem Anlass blickt Dieter Brockschnieder in einer Serie auf spektakuläre Verfahren zurück, die in dem Saal stattgefunden haben. Heute: das Todesurteil gegen eine Mörderin im Januar des dritten Kriegsjahres 1916.

Bonn – Als Agnes Höfer am Morgen des 22. Januar 1916, einem Samstag, ihren letzten Gang tat, ging Deutschland ins dritte Kriegsjahr. Die mit dem Kaiserreich verbündete österreichische Armee hatte kurz zuvor das Königreich Montenegro erobert, und die Nachricht vom Balkan war in Bonn mit dem Geläut aller Kirchenglocken begrüßt worden. Eine Schülerin sollte sich später in einem Brief an eine Lokalzeitung darüber beschweren, dass es wegen des Etappensiegs kein schulfrei gegeben habe. Im Stadttheater bereitete man sich auf die für Montag, 24. Januar, geplante Aufführung des Lustspiels „Der Raub der Sabinerinnen“ vor.

Die bettelarme Frau, die an jenem kalten Samstag in aller Frühe einem Trupp Soldaten ins Auge schaute, fror: Ein Kriegsgericht hatte sie zum Tod durch Erschießen verurteilt. Was war geschehen?

Die Angeklagte

Agnes Höfer, geborene Geißhecker, war in jungen Jahren Witwe geworden. Ihr Mann Ludwig Höfer hatte ihr nichts hinterlassen, sie bekam 25 Mark Rente im Monat, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Ein Pfund Speisefett kostete 2,20 Mark, ein Brot 80, ein Pfund Mehl 30 Pfennig. Der Preis für ein Pfund Schweinegehacktes war vom Bonner Oberbürgermeister Wilhelm Spiritus per Verordnung auf 1,60 Mark festgesetzt worden, für Eier mussten auf dem Wochenmarkt 28 bis 30 Pfennig pro Stück bezahlt werden.

Damit sie also über die Runden kam, verdingte sich die 48-Jährige als Tagelöhnerin bei dem Ackerer Gottfried Schönfeld in Lengsdorf, auf dessen Hof sie auch wohnte und zusätzlich einen kleinen Holzstall nutzen durfte.

Die Frau, die als „dunkelblonde, mittelgroße Persönlichkeit mit ziemlich energischem Gesichtsausdruck“ beschrieben wurde, hatte ein Verhältnis mit einem Soldaten, der sie in seinen Briefen von der Front wiederholt und nachdrücklich um Geld anbettelte. So beging sie, um seinem Drängen nachzukommen, kleine Diebstähle. Dreimal war sie deswegen verurteilt worden.

Das Verbrechen

Am Morgen des 12. Juli 1915, einem Montag, sah Agnes Höfer plötzlich die Gelegenheit, ihre finanzielle Not zu beenden. Die Frau Schönfelds war frühmorgens trotz „unwirscher Witterung“, wie die Zeitung später schrieb, mit frisch vom Strauch gepflückten Johannisbeeren zum Bonner Wochenmarkt aufgebrochen, um das Obst zu verkaufen. Sie kehrte mit gutem Verdienst zurück und ging gleich in den Garten, erntete Gemüse und reinigte es am Spülbecken in der Küche. In diesem Augenblick stand plötzlich Agnes Höfer vor ihrer Wirtin, ein Beil in der Hand, und schlug es der Bauersfrau auf den Kopf. Die Leiche wies 23 Verletzungen auf.

Nach der Tat beseitigte die Mörderin nur notdürftig einige Spuren, lief dann hinaus aufs Feld zu Bauer Schönfeld und rief ihm aufgeregt zu, sie habe seine Frau tot in der Küche entdeckt. Gottfried Schönfeld eilte sofort heim, fand die Tote, vermutete einen Raubmord und schaute erstmal ins Vertiko, in dem er 300 Mark versteckt hatte. Tatsächlich, das Ersparte war verschwunden. In diesem Moment bemerkte der Mann die Blutspritzer in Agnes Höfers Gesicht, auf ihrer Bluse und an der Schürze und zählte eins und eins zusammen: Schönfeld rief die Polizei.

Die Ermittlung

Die Untersuchung übernahm Wachtmeister Amzehnhoff vom Polizeiposten Duisdorf, der sich gleich die Untermieterin vorknöpfte. Als er sie in der Vernehmung auf die Blutflecke an der Schürze hinwies, zog sie sofort das Kleidungsstück aus und begann, es auszuwaschen. Geistesgegenwärtig sprang der Polizist hinzu und hinderte sie daran, das blutige Wasser wegzuschütten; es wurde als Beweismittel gesichert.

Die Tatwaffe entdeckte Amzehnhoff in ihrem Zimmer. Das Beil war zwar oberflächlich gereinigt worden, aber dort, wo der Stiel ins Eisen übergeht, haftete noch Blut an. Die Verdächtige behauptete, ihr Liebhaber habe damit ein Kaninchen geschlachtet, doch ein Sachverständiger wies später vor Gericht nach, dass sich tatsächlich Menschenblut an dem Werkzeug befand.

Der Sohn des Verteidigers

Mächtig und umstritten

Der Sohn von Agnes Höfers Verteidiger Josef Abs, der 1901 in der Meckenheimer Straße (heute: Thomas-Mann-Straße) geborene Hermann Josef Abs, sollte einer der mächtigsten und – wegen seiner Teilnahme an der sogenannten Arisierung jüdischen Eigentums – umstrittensten deutschen Wirtschaftsführer werden. Von 1957 bis 1967 war Abs Vorstandssprecher der Deutschen Bank, danach bis 1976 deren Aufsichtsratsvorsitzender.

Stiftung für Beethovenhaus

Zum Abitur 1920 hatte er von seinen Eltern, wie damals in gutbürgerlichen Kreisen in Bonn üblich, die Mitgliedschaft (Mitgliedsnummer 1552) im Verein Beethoven-Haus erhalten, dem er 74 Jahre angehören sollte, davon 34 Jahre als Vorsitzender. 1987 stiftete er dem Beethovenhaus eine Million Mark und ermöglichte so den Bau des Kammermusiksaals, der nach ihm benannt wurde.

1994 verstorben

Aus Anlass des 80. Geburtstags Abs’ schenkten die Deutsche Bank und die Stadt Bonn dem Beethovenhaus das von Joseph Karl Stieler gemalte berühmteste aller Beethovenporträts, das den Komponisten mit großem roten Halstuch und dem Manuskript der „Missa solemnis“ zeigt. Hermann Josef Abs starb 1994 in Bad Soden im Taunus.

Unter Heu im Holzstall der Höfer kramte der Ermittler ein in Putzlumpen gewickeltes Säckchen hervor, in dem Bauer Schönfelds Ersparnisse lagen – komplett bis auf eine kleine Summe, die Agnes Höfer in ihrem Bett deponiert hatte. Schließlich wurde noch ein Paar blutverschmierter Pantoffeln auf ihrem Speicher gefunden. Die Indizien reichten, der Wachtmeister verhaftete die Witwe und ließ sie ins Bonner Gefängnis überführen.

Das Verfahren

Der kurze Prozess gegen die Tagelöhnerin fand am Samstag, 4. September 1915, ab 9.30 Uhr vor dem Schwurgericht statt, das sich – Deutschland stand unter Kriegsrecht – unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Douqué als außerordentliches Kriegsgericht konstituiert hatte. 13 Zeugen und drei Sachverständige waren geladen.

Die Öffentlichkeit gelangte über eine breite Steintreppe in den Schwurgerichtssaal im ersten Obergeschoss des Landgerichts an der Wilhelmstraße, die Richter saßen auf einer hölzernen Wandtribüne, links und rechts daneben Staatsanwalt und Verteidigung. Von der Empore ging eine Tür ab zum Beratungszimmer der Richter, daneben war die Arrestzelle, in die die Angeklagte vom Keller aus über eine schmale Wendeltreppe geführt wurde.

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Darstellung der Justitia im Bonner Schwurgerichtssaal.

Gut sichtbar im großen Saal stand eine Bronzebüste von Kaiser Wilhelm II., die Oberbürgermeister Spiritus im Jahr 1900 anlässlich der 50-Jahr-Feier der Einweihung des Gerichtsgebäudes an Landgerichtspräsident Jacob Wilhelm Klein mit den Worten überreicht hatte: „Möge der Anblick dieser Büste den Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten in ihrem schönen, oft schweren, immer verantwortungsvollen Berufe ein Ansporn sein zu treuester Pflichterfüllung, in der Seine Majestät uns allen ein so leuchtendes Vorbild ist.“

In der Verhandlung leugnete Agnes Höfer die Tat, sie habe der Frau nichts getan und habe auch nicht gewusst, wo sie ihr Geld versteckt habe, behauptete sie. Ihr Offizialverteidiger, wie die Pflichtverteidiger damals hießen, Justizrat Dr. Josef Abs, redete ihr zu, die Wahrheit zu sagen, doch sie blieb bei ihrer Aussage.

Abs beantragte in seinem Plädoyer, seine Mandantin wegen Totschlags zu belangen, weil sie beim Diebstahl überrascht worden sei und im Affekt mit dem Beil zugeschlagen habe. Das Schwurgericht folgte aber dem Antrag des Staatsanwalts und verurteilte sie wegen Mordes zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Die Angeklagte soll das Urteil „mit größter Gleichgültigkeit“ aufgenommen haben.

Wenige Tage nach dem Prozess änderte Agnes Höfer ihre Taktik des Leugnens, gestand die Tat und bat um Gnade. Doch das Gesuch wurde abgelehnt.

Die Hinrichtung

So kam der 22. Januar 1916, der Tag ihrer Hinrichtung. Bei kühlem Wetter – es herrschten acht Grad – stieg die Witwe im Gefängnis am Annagraben in ein Fahrzeug und wurde zum Venusberg gebracht. Dort, wo sich heute das Universitätsklinikum ausbreitet, befand sich damals neben einem Exerzierplatz der Schießstand der Bonner Garnison.

Das Erschießungskommando hielt sich schon bereit, als die Gefangene im Morgengrauen vorgefahren wurde. Publikum war nicht zugegen. Der Erste Staatsanwalt, Geheimrat Schlößer, leitete die Vollstreckung des Todesurteils und gab um 8 Uhr den Schießbefehl. Die „Bonner Zeitung“ schrieb später: „Die Verurteilte war gefasst und ruhig.“

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