ErinnerungDemnig verlegte Stolpersteine für fünf von Nazis verfolgte Windecker

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  • Künstler Gunter Demnig hat in Windeck-Gutmannseichen und -Rosbach Stolpersteine für fünf von Nationalsozialisten verfolgte und ermordete Windecker verlegt.
  • Zwei Morde an psychisch kranken Menschen waren der Anlass für Stolpersteine in Gutmannseichen.

Windeck – Der Mann mit dem Hut ist eher zurückhaltend. Als der Künstler Gunter Demnig am Freitag in Windeck-Gutmannseichen und -Rosbach Stolpersteine für fünf von Nationalsozialisten verfolgte und ermordete Windecker verlegte, betätigte sich der Kölner, assistiert von Kai Adolph vom Bauhof, vor allem handwerklich. Berichte aus der Vergangenheit und das Erinnern an Wilhelmine Müller, geborene Hansmann, Josef Gauchel, Alma, Georg und Liselotte Sussmann überließ er den Rechercheuren vor Ort.

Zwei Morde an psychisch kranken Menschen waren der Anlass für Stolpersteine in Gutmannseichen. Für Ulrich Hansmann, Großneffe von Wilhelmine Müller, vermittelt der Stein wenigstens ein Stück Zuordnung all der Dinge, die auch für die Familie auch nach 80 Jahren noch immer nicht geklärt sind. Die letzte Ruhestätte seiner Tante sei nicht bekannt. Aber er sei sicher, dass sie um ihr Leben gekämpft habe – fast sieben Jahre mit Erfolg. „Sie hat ihr Leben nicht verloren, es wurde ihr genommen“, sagte er. Frank Steiniger von der CDU warnte davor, angesichts aktueller Probleme Grundrechte aufzuweichen. Was daraus werden könne, zeige das Geschehen vor rund 80 Jahren. Hansmann und die CDU hatten die Steine in Gutmannseichen gespendet.

Handwerklich unterstützte Kai Adolph (l.) vom Bauhof den Künstler bei seiner Arbeit, Recherchen zum Schicksal der Nazi-Opfer steuerte Anne Röhrig vom Zeitzeugenforum bei.

Handwerklich unterstützte Kai Adolph (l.) vom Bauhof den Künstler bei seiner Arbeit, Recherchen zum Schicksal der Nazi-Opfer steuerte Anne Röhrig vom Zeitzeugenforum bei.

Als Sonderpädagogin berühre sie das Schicksal von Josef Gauchel ganz besonders, erklärte Anne Röhrig vom Zeitzeugenforum der Windecker Arbeiterwohlfahrt. Der als Neunjähriger von einem Herchener Arzt eingewiesene Junge sei vermutlich ein ADHS-Kind gewesen, hyperaktiv und – so stehe es auch in alten Akten – ein „Zappelphilipp“.

Nicht mehr als eine Depression sei für Naziärzte Anlass gewesen, Menschen als geisteskrank und damit lebensunwert abzustempeln, berichtete sie. Dabei seien sich handelnde Ärzte und ihre Helfer offenbar bewusst gewesen, dass es selbst in der Nazidiktatur keine gesetzliche Grundlage für die Tötung der  angeblich Kranken gegeben habe. Die Verlegung der Menschen in Anstalten im heutigen Polen, die Ermordung und schließlich die Beisetzung in Massengräbern sei im Geheimen abgelaufen. Die Angehörigen seien über die Todesursachen belogen worden.

Auch nach dem Krieg hätten sich Ärzte in Windeck, dem Siegkreis und Bonn gegenseitig gedeckt, um das Geschehen zu verschleiern und selbst straffrei auszugehen, berichtete Anne Röhrig. Die Aussage, dass Wilhelmine Müller bis heute nicht als Opfer anerkannt sei, veranlasste einen älteren Zuschauer  den Vergleich mit Anklagen gegen ehemalige Wächter in Konzentrationslagern zu ziehen. Wenn die ehemaligen Wärter der Vernichtungslager auch heute noch verurteilt würden, dann müssten doch auch die Opfer noch nachträglich anerkannt werden können.

Die Klassen 9a und 9b der Hauptschule Hennef hatten den Stein für Liselotte Sussmann in Rosbach gesponsert. Hauptschullehrerin Hiltrud Held hatte Bettina Ohlert mitgebracht, deren Mutter mit Liselotte Sussmann befreundet war und die sie auch selber noch gekannt hatte. Die Schüler erinnerten mit Gedichten und einem Auszug aus Anne Franks Tagebuch an das schreckliche Geschehen in der Nazizeit. Raimund Weiffen vom Zeitzeugenforum erzählte, was er von Zeitzeugen und aus Archiven zusammengetragen hatte. Die Steine für Alma und Georg Sussmann hatten die evangelische Kirchengemeinde und die Werbegemeinschaft bezahlt.

Schon 56.000 Steine verlegt

Gunter Demnig, geboren am 27. Oktober 1947 in Berlin, studierte in Berlin und Kassel Kunstpädagogik und Kunst. Seit 1985 lebt der Künstler in Köln, wo er im gleichen Jahr sein eigenes Atelier eröffnete. 2011 zog er mit dem Atelier nach Frechen.

Stolpersteine verlegt Demnig seit 1992. Er begann dieses Projekt, um an das Schicksal von Menschen zu erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Selbstmord getrieben wurden.

Die Steine bestehen aus einem Betonstein, der oben eine Messingplatte trägt. Sie sind 96 mal 96 Millimeter groß und 100 Millimeter hoch. Beschriftet sind die Messingplatten mit von Hand eingeschlagenen Buchstaben.

Die Marke „Stolpersteine“ ist seit 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt durch Gunter Demnig geschützt, seit 2013 auf europäischer Ebene.

Bis Ende 2015 hatte Demnig in Deutschland und weiteren 19 europäischen Ländern rund 56 000 Stolpersteine verlegt und so das größte dezentrale Mahnmal der Welt geschaffen.

In Windeck hat der Künstler seit 2011 insgesamt 60 Stolpersteine verlegt. Am Freitag kamen vier weitere hinzu. Alle Stolpersteine, die Namen der Menschen, an die sie erinnern und die Orte, an denen sie verlegt sind, sind im Internet auf der Homepage der Initiatoren und bei Wikipedia aufgelistet. (sp)

www.stolpersteine-windeck.de

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