Erlass der EUTattoo-Studios im Rhein-Sieg-Kreis fehlen Farben

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Marc Wutzlar (l.) und Marius Büring vom „Stichtag“ konnten noch keine regelkonformen Farben kaufen.

Rhein-Sieg-Kreis – Marc Wutzlars Körper ist übersät mit Tätowierungen, über seine Arme bis zum Hals ziehen sich die bunten Muster und Verzierungen. Sogar im Gesicht, unterhalb des linken Auges, trägt er einen kleinen Anker. Er betreibt mit seinem Partner Marius Büring das Studio „Stichtag“ in der Troisdorfer Stadtmitte. Von der Verschärfung der Reach-Verordnung, dem Chemikalien-Erlass der EU, hält er denkbar wenig.

„Bisher konnte man sich auf seinen Tätowierer verlassen, nun werden Menschen kriminalisiert, die sich ein Tattoo stechen lassen“, findet er. Der 35-jährige glaubt, das Verbot sei eingeführt worden, „um Menschen abzuschrecken, ihren Körper zu verschandeln“. Dabei sei das eine eigenverantwortliche Entscheidung eines erwachsenen Menschen.

Inhaltsstoffe von Tätowierfarben wurden begrenzt

Seit dem 4. Januar dürfen Tätowierfarben einige Bestandteile, darunter bestimmte Konservierungs- oder Bindemittel, nur noch stark begrenzt enthalten. Begründung: Das Risiko gesundheitlicher Schäden bis hin zu Krebs sei nicht abzusehen. Tätowierer aus Siegburg und Troisdorf kritisieren, dass das Verbot viel zu plötzlich gekommen sei. Sie haben große Probleme, an zulässige Farben zu gelangen. Bis auf wenige Schwarz- und Weißtöne ist das komplette Sortiment an Farben betroffen.

Wutzlar betont: „Es gibt keine Studie dazu, dass die Farben wirklich schädlich sind. Wäre es so, müsste man drüber reden – ein Verbot sollte immer nur die letzte Möglichkeit sein.“ Er glaube nicht, dass Gesundheitsaspekte der wahre Hintergrund seien, zumal die Branche nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden worden sei.

Noch immer sei er auf der Suche nach regelkonformen Farben. „Wir haben uns bei unseren Händlern umgesehen, die neuen Farben sind auch gelistet. Aber überall steht: nicht verfügbar“, klagt er. Es habe auch keine Übergangszeit gegeben.

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Der 35-jährige befürchtet eine Verschlechterung der Farbqualität. Und: Sie zu testen sei nicht möglich. Erst nach vier bis sechs Wochen, wenn die Wunden abgeheilt seien, sei ein Resultat erkennbar. „Die Leute vertrauen auf das Wort ihres Tätowierers – aber das können wir ihnen nun nicht mehr geben.“

Nur 100 von 6000 Studios haben neue Farben

Martin Kreyscher vom Tattoo-Studio „Royal Roxx“ in der Siegburger Holzgasse hatte Glück und konnte einige der neuen Farben ergattern, als eines von 100 aus 6000 Studios in Deutschland. „Wir haben uns rechtzeitig drum gekümmert und das genommen, was wir kriegen konnten“, sagt der 44-jährige.

„Wir haben nach Herstellern gesucht und selbst recherchiert, wo es zugelassene Farben gibt – sogar die Verbraucherzentrale habe ich angerufen.“

Zu Jahresbeginn habe er viele Kunden ablehnen müssen. „Ein Tätowierer verfügt über 70 bis 150 Farben, die für verschiedene Abstufungen notwendig sind. Momentan gibt es nur einen Bruchteil davon. Manche Farben kann man noch mischen, aber oft muss ich die Leute einfach um Geduld bitten.“

EU-Verordnung gilt seit 15 Jahren

Die Reach-Verordnung gilt seit Juni 2007. Die Abkürzung steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals, auf Deutsch: Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Sie ist gültig in der EU sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen als Nicht-EU-Staaten. (mfu)

Auch sonst kann Kreyscher den neuen Farben nichts abgewinnen: „Die alten riechen angenehmer, sind besser zu verarbeiten, länger haltbar und kräftiger.“ Viele Händler, mit denen er lange zusammengearbeitet habe, könnten auch deswegen nicht liefern, weil die notwendigen Etiketten mit den Chargennummern auf den Flaschen fehlten.

Vor ihm auf der Liege haben nacheinander Josephine Diehl und Melissa Scholz Platz genommen. Die beiden Berufsschülerinnen wollen sich an Diehls 18. Geburtstag ein Freundschaftstattoo stechen lassen.

Für das schwarze beziehungsweise rote Herz auf ihrer Hüfte müssen sie rund 40 Prozent mehr bezahlen als vorher. „Die Preise sind natürlich gestiegen“, sagt Kreyscher. Er befürchtet, dass einige Leute zu billigen Farben aus dem Ausland greifen könnten, die tatsächlich gesundheitsschädlich seien.

Ab 2023 sollen auch die Pigmente „Blau 15:3“ und „Grün 7“ verboten werden. Doch selbst das Bundesinstitut für Risikobewertung, das dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft untersteht, hält die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung für nicht ausreichend erforscht.

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