Auto im FlussErsthelfer berichtet von dramatischer Rettung in Lohmar – „Ich wusste, es geht um Sekunden“

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Zwei Männer in Neoprenanzügen stehen in einem Fluss an einem Auto, bei dem nur die Hinterräder aus dem Wasser ragen.

Strömungsretter der Feuerwehr Siegburg untersuchen das Wrack des BMW.

Als ein 25-Jähriger von der A3 in die Sülz stürzt, ist Mansur Ercetin zuerst an der Unfallstelle. Wie er die Momente im Wasser und die Reanimation erlebt hat.

„Man vergisst es nicht, es ist gedanklich immer da“, sagt Mansur Ercetin über den 4. Februar 2024. Der 29-Jährige aus Düsseldorf war der Erste, der bei dem schweren Unfall bei Lohmar Erste Hilfe leistete, als ein BMW X5 die Leitplanke durchbrach und in die Sülz stürzte. 

„Ich habe alles gesehen. Das Unfallfahrzeug war unmittelbar vor uns auf der mittleren Spur, vielleicht 150 Meter entfernt“, erinnert sich der Düsseldorfer, der als Einkäufer bei der Rewe Group arbeitet. Es war Sonntagvormittag, kurz nach 11 Uhr, es regnete leicht. Ercetin, seine Frau Sinem und die beiden anderthalb und dreieinhalb Jahre alten Töchter waren auf dem Rückweg von einem Wochenendtrip in der Nähe von Frankfurt, die Kinder schliefen auf der Rückbank, Sinem döste auf dem Beifahrersitz.

Ich habe innerlich gebetet, dass es den Menschen im Fahrzeug gut geht
Mansur Ercetin, Ersthelfer beim Unfall auf der Autobahn 3 bei Lohmar, bei dem ein BMW in die Sülz stürzte

Die Autobahn sei leer gewesen, sagt Ercetin im Gespräch mit dieser Zeitung, der BMW das einzige Fahrzeug vor ihm. „Plötzlich ist er ganz steil nach rechts ausgebrochen, hat frontal die Leitplanke durchbrochen. Ich habe nur noch die Autoteile fliegen sehen, die Motorhaube schleuderte meterweit durch die Luft.“

Frau trieb nach A3-Unfall bei Lohmar im Wasser

Ercetin lenkte sofort nach rechts auf den Standstreifen, rief seiner Frau zu, sie solle die Polizei anrufen und rannte los. Auf einer Strecke von etwa 100 Metern habe er nur Trümmerteile gesehen. Erst dann entdeckte er das Auto kopfüber im Fluss, nur noch die Hinterreifen ragten aus dem Wasser.

Ein dunkelhaariger Mann mit Bart lächelt leicht.

Mansur Ercetin (29) aus Düsseldorf ist einer der Ersthelfer, die den 25-Jährigen nach dem Unfall bei Lohmar aus dem Wagen zogen, der in der Sülz versunken war.

„Ich habe innerlich gebetet, dass es den Menschen im Fahrzeug gut geht“, erzählt der 29-Jährige. Drei oder vier Meter vom Fahrzeug entfernt habe eine Frau im Wasser getrieben, als er sich näherte, habe die 26-Jährige aber um Hilfe gerufen: Ihr Freund sei noch im Auto. Ohne nachzudenken, sprang Ercetin ins eiskalte Wasser der Sülz.

„Ich habe sie gefragt, ob es ihr gut geht, ob sie verletzt ist. Dann habe ich sie am Arm gepackt und an den Rand gezogen, damit sie sich an den Ästen und Wurzeln festhalten kann“, schildert der Düsseldorfer. „Ich wusste, es geht um Sekunden. Ich konnte mich ihr nicht widmen, das hätte zu viel Zeit gekostet, sie aus dem Wasser zu bringen.“ Das Ufer der Sülz fällt an der Unfallstelle steil ab. 

Der Fahrer war blau angelaufen, als die Helfer ihn in Lohmar aus dem Auto zogen

„Ich habe versucht, die Tür der Fahrerseite aufzureißen, aber das klappte nicht. Also bin ich zur Hintertür auf der Fahrerseite, die habe ich einen Spalt aufbekommen, aber nur so zehn Zentimeter. Da war ich am Verzweifeln.“ 

Zwei weitere Männer sprangen ins Wasser. Zu dritt versuchten sie, irgendwie in das Fahrzeug zu gelangen, um den Fahrer herauszuholen. Sie versuchten die anderen Türen zu öffnen, den Kofferraum – vergeblich. „Ich bin sogar einmal kurz abgetaucht, wollte gucken, ob ich über das Fenster der Fahrertür etwas erreichen kann“, sagt Ercetin. „Das Wasser war eiskalt, es war so trüb, dass man gar nichts gesehen hat, es war eine starke Strömung. Das Wasser war brusttief, matschig und steinig, man musste aufpassen, dass man nicht selber weggerissen wurde“, schildert der Ersthelfer. 

Trümmerteile eines Fahrzeugs liegen auf einer Wiese. An einem steilen Hang stehen viele Rettungsfahrzeuge und Feuerwehrleute.

Der Hang an der A3 fällt steil ab, Trümmerteile des BMW lagen weit verstreut auf der Wiese.

Die beiden anderen Männer, zwei Geschäftsleute aus der Türkei auf Dienstreise in Deutschland, schafften es schließlich, mit den Füßen den schmalen Spalt der Fahrertür aufzutreten. Aber wie sollten sie den 25-jährigen Fahrer aus dem Auto bekommen? „Wir waren auf der Rückbank, die Rückenlehne war im Weg, im Wasser hat man nichts gesehen“, beschreibt der 29-Jährige die dramatische Situation. Schließlich gelang es einem der anderen Helfer, den Fahrer zu packen. „Wir haben mit aller Kraft gezerrt und ihn über die Hintertür rausgezogen.“

Als „Wundermoment“ habe er die Rettung des Fahrers aus dem Autowrack empfunden, „es war so eine Erleichterung. Aber er war ja nicht außer Gefahr. Er war nicht bei Bewusstsein, er war blau angelaufen, vollgepumpt mit Wasser.“ Ercetin versuchte, den Bewusstlosen über Wasser zu halten, während die beiden anderen Männer ans Ufer kletterten und ihn heraushoben. Weitere Helfer hatten die Beifahrerin an Land gebracht. 

Die 26-Jährige war selber schwer verletzt, half aber bei der Reanimation ihres Lebensgefährten. Sie übernahm die Mund-zu-Mund-Beatmung, während die Männer sich mit der Herzdruckmassage abwechselten. „Er hatte ganz, ganz, ganz leichten Atem, hat etwas Wasser ausgespuckt, das waren für uns Zeichen, weiterzumachen“, so Ercetin, „es war aber nicht so, dass wir sagen konnten, wir haben ihn gerettet.“  

Von der Polizei erfuhr Mansur Ercetin, dass es dem Fahrer wieder gut gehe

In den Stunden nach dem Unfall habe er um den Mann gebangt, online nach aktuellen Berichten gesucht und so auch von dem nahezu identischen Unfall im November erfahren. Damals war der Fahrer, der ebenfalls minutenlang unter Wasser gelegen hatte, im Krankenhaus gestorben. „Wir waren genau in der gleichen Situation; wir waren kurz davor, zu sagen, wir schaffen das nicht. Dann hätte ihn das gleiche Schicksal getroffen.“

Von der Polizei erfuhr Ercetin inzwischen, dass es dem 25 Jahre alten Mann aus Wiesbaden gut geht. „Man sagte mir, er ist aufgewacht und wird keine bleibenden Schäden davontragen. Bei dem Zustand, in dem wir ihn da rausgeholt haben, ein Wunder“, so der Düsseldorfer. Seitdem er das wisse, sei die Erinnerung an den Unfall keine psychische Belastung mehr. 

„Irgendwann wäre es sicher schön, ihn kennenzulernen“, sagt er. Kein Muss sei das, für ihn stehe im Vordergrund, dass es dem 25-Jährigen gut gehe. „Wenn man alles so erlebt hat und gekämpft hat, dann scheint es eine emotionale Verbindung zu geben.“

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