Virtuelle Modelle in Sankt AugustinDLR sucht digitale Wege gegen Katastrophen

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Der Auslauf der Norwegian Pearl über die Ems in die Nordsee sorgte 2006 für einen Stromausfall von Deutschland bis Spanien.

Sankt Augustin – Am 4. November 2006 gehen um kurz nach 22 Uhr in halb Europa die Lichter aus. Von Deutschland bis Spanien sitzen rund zwölf Millionen Menschen im Dunkeln. Was war geschehen? An jenem Samstagabend war die „Norwegian Pearl“ von der Meyer-Werft in Papenburg zur Jungfernfahrt ausgelaufen.

Damit das große Schiff gefahrlos über die Ems zur Nordsee fahren konnte, hatte der Energieversorger die 380-kV-Leitung über dem Fluss abgeschaltet und damit eine Kettenreaktion ausgelöst. Weil die Frequenz unter den Normwert von 50 Hertz sank, kollabierte in der Folge das gesamte Stromnetz.

Ob Pannen, Sabotage, Extremwetterereignisse, Unfälle oder Cyber- und Terrorangriffe – Energieversorgung, Verkehrswege und Krankenhäuser sind vielen Gefahren ausgesetzt. Störungen können gravierende Probleme zur Folge haben.

Digitaler Zwilling hilft bei Modellversuchen

Hier setzt die Forschungsarbeit des neuen Instituts für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen unter dem Dach des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an. Am Dienstag wurde es bei einer virtuellen Feierstunde in Sankt Augustin eröffnet.

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Um keine unkalkulierbaren Risiken entstehen zu lassen, berechnet das DLR-Institut mögliche Bedrohungsszenarien für die kritische Infrastruktur mithilfe eines digitalen Zwillings. Dazu wird ein detailliertes virtuelles Modell einer Anlage, zum Beispiel eines Umspannwerks des Energienetzes, kreiert. In dieses Modell fließen alle denkbaren Informationen ein: von der geografischen Lage bis hin zu der Reaktionszeit der nächsten Feuerwehrwache. Um Gefahren frühzeitig erkennen zu können, forscht das Institut auch an Sensoren zur Gefahrendetektion.

Zudem fließen Informationen über die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) des Objektes in das digitale Modell ein. So lässt sich im Gesamtmodell bewerten, wie lange zum Beispiel eine Brandschutztür einem Feuer standhält und ob die durch Sensoren alarmierte Feuerwehr rechtzeitig am Ort des Geschehens sein könnte. Es geht dabei nicht nur darum, Gefahren früh zu erkennen und abzuwehren, sondern auch darum, ausgefallene Systeme schneller wieder ans Laufen zu bekommen.

Institut ist Teil der DLR-Sicherheitsforschung

Das junge Institut arbeitet in drei Abteilungen, die in das Gesamtkonzept der DLR-Sicherheitsforschung eingebunden sind. Die Abteilung „Resilienz - Modelle und Methoden“ beschäftigt sich mit der Entwicklung von Modellen und Methoden, um die Widerstandsfähigkeiten von Infrastrukturen gegen Bedrohungen zu stärken. In der Abteilung „Detektionssysteme“ geht es um Sensortechnologien, die Infrastrukturen mit intelligenten und komplexen Sensorsystemen überwachen können. Neben optischen, thermischen und Bewegungssensoren sollen auch Sensoren zur Detektion von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Bedrohungen weiterentwickelt werden.

Die Abteilung „Digitale Zwillinge für Infrastrukturen“ erstellt die virtuellen Abbilder und führt Simulationen in Echtzeit durch, um die Widerstandsfähigkeit einer Infrastruktur in nahezu jeder Situation bewerten und kontinuierlich verbessern zu können. DLR-Vorstandsvorsitzende Anke Kaysser-Pyzalla zeigte sich erfreut, dass das DLR mit seiner Forschung „einen Beitrag zum Schutz dieser grundlegenden Systeme leisten kann“.

Angriffe auf wichtige Infrastruktur

2018 legten Drohnen den Londoner Flughafen Gatwick mehrere Tage lahm, 1000 Flüge wurden gestrichen oder umgeleitet, 140.000 Passagiere waren betroffen.

2020 musste sich das Universitätsklinikum Düsseldorf nach einem erpresserischen Hackerangriff vorübergehend von der Notfallversorgung abmelden und Operationen absagen.  

Dazu kooperiert es nicht nur mit Hochschulen und Universitäten, sondern auch mit Wirtschaft und Behörden. Hier sieht NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart nach eigenen Worten „hervorragende Synergien“.

Derzeit ist das Institut in früheren Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung untergebracht, langfristig soll das DLR-Institut eigene Räume auf dem Butterberg an der Hochschule beziehen. Gefördert wird es vom Bundeswirtschaftsministerium, 30 Millionen Euro Förderung kommen vom Land Nordrhein-Westfalen.

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