„Goebbelssche Anweisungen“Siegburger NS-Dokumente belegen Einflussnahme auf Presse

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Instruktionen Reichspropagandaministerium

Genaue Instruktionen gingen aus dem Reichspropagandaministerium an die Schriftleiter von Zeitschriften und Zeitungen. Die Öffentlichkeit sollte davon nichts wissen.

  • Hubert Heinrichs war seit 1924 Redakteur bei der Deutschen Reichszeitung und nach dem Krieg Bürgermeister von Siegburg.
  • Er sammelte Geheimanweisungen, die aus Goebbels Propagandaministerium an eine Landesstelle und weiter an Zeitungen und Zeitschriften gingen.
  • Wer das Sagen und wer zu gehorchen hatte, stellte die Wortwahl unmissverständlich klar.

Siegburg – Eines der ersten Opfer in Diktaturen ist die Pressefreiheit, und das ist heute wieder einen genaueren Blick wert. Dieser eröffnete sich Stadtarchivar Jan Gerull dank eines ungewöhnlichen Dokument-Bestands im Keller des Rathauses.

Hubert Heinrichs, seit 1924 Redakteur bei der Deutschen Reichszeitung und nach dem Krieg Bürgermeister von Siegburg, sammelte Geheimanweisungen, die aus Goebbels Propagandaministerium an eine Landesstelle und weiter an Zeitungen und Zeitschriften gingen.

Hubert Heinrichs

Journalist und Bürgermeister: Hubert Heinrichs. 

Wer das Sagen und wer zu gehorchen hatte, stellte die Wortwahl unmissverständlich klar. Gerull: „Da öffnet sich der ganze Kosmos der Nazi-Ideologie.“ So sollte etwa nicht vorab über eine Sitzung des Reichstags oder eine Rede des „Führers“ berichtet werden. „Die Reichsregierung gibt ihre Entschlüsse im richtigen Zeitpunkt bekannt. Die Presse hat diesen Zeitpunkt abzuwarten.“

Zurückhaltung vor den Olympischen Spielen

Neben solchen Instruktionen finden sich auch Anweisungen, die pedantisch tief ins Detail gehen. So gab es klare Regelungen für die Berichterstattung, als Boxlegende Max Schmeling am 19. Juni 1936 gegen Joe Louis antrat. „Für den Fall, daß Schmeling gewinnt, ist auf jeden Fall zu vermeiden, von einem Sieg der weißen Rasse bzw. der weißen Intelligenz über den Vertreter der schwarzen Rasse zu sprechen.“ Für Gerull ist klar: Kurz vor den Olympischen Spielen war dem Propagandaministerium an Zurückhaltung gelegen.

Der Journalist

Hubert Heinrichs wurde am 20. September 1896 in Bonn geboren. Nach dem Abitur wurde er 1915 Soldat und kehrte 1918 verwundet von der Front zurück. Seine journalistische Karriere begann er als Volontär bei der Deutschen Reichzeitung, die dem politischen Katholizismus nahestand und für die er ab 1924 als Redakteur der Sieg-Rhein-Zeitung arbeitete. 1939 bis 1945 wurde er wieder Soldat. Mitglied des Siegburger Rats war er von 1946 bis 1952 , Bürgermeister von 1946 bis 1952 und 1958 bis 1964. Heinrichs starb 1975 im Alter von 79 Jahren. (ah)

Kaum verwunderlich, dass das Lob des Autobahnbaus besonders wichtig genommen wurde: „Das Werk, das der Führer begann, ist für die Jahrhunderte bestimmt.“ Kurios ist ein Verbot, über ein Flugunglück bei Geistingen zu berichten: Im April 1935 war ein Fluggast aus dem planmäßigen Flugzeug Frankfurt - Köln gestürzt.

Presse Instruktionen

Anweisungen an die Presse aus dem Reichspropagandministerium im Siegburger Stadtarchiv.

Unbedingt gedruckt werden sollte dagegen eine Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros (DNB), in der es um die Hinrichtung von Geistlichen in der Sowjetunion ging. „Diese Nachricht muss mit den entsprechendem Kommentar über die Barbarei in diesem Land veröffentlicht werden.“ Allerdings sollte es nicht lange dauern, bis in den Konzentrationslagern „Pfarrerblöcke“ eingerichtet wurden.

Markierungen insbesondere zum Thema Kirche

Klar antisemitisch ist die Anweisung zu einem schweizerischen Gerichtsurteil zu den „zionistischen Protokollen“: In Bern wurden diese „Protokolle der Weisen von Zion“, die eine jüdische Verschwörung zum Griff nach der Weltherrschaft belegen sollen, als Fälschung identifiziert. Im Propagandaministerium sah man das im Mai 1935 anders, das Urteil sei zurückzuweisen. „Die Tatsache des planmäßigen Versuchs der systematischen Vernichtung des Eigenlebens der Kulturvölker durch das internationale Judentum spricht eine zu deutliche Sprache.“

Jan Gerull

Stadtarchivar Jan Gerull wertete die Anweisungen aus.

Gerull fielen die Markierungen mit rotem Stift auf, die Heinrichs insbesondere vornahm, wenn es um die katholische Kirche ging. Dick unterstrich er auch eine Passage, die Hitler einen „edlen und loyalen Charakter“ attestierte. Hinter diese Worte setzte Heinrich ein Fragzeichen, was ihn wohl in Gefahr gebracht hätte, wären seine Anmerkungen damals bekannt geworden. Der Geschichts- und Altertumsverein, deren Vorsitzender Heinrichs als Bürgermeister war, ging in einem Nachruf davon aus, dass er die „Goebbelsschen Geheimanweisungen“ unter Lebensgefahr sammelte.

Heinrichs lehnte Bundesverdienstkreuz ab

Nach 1939 setzen die Markierungen aus, Heinrichs wurde noch einmal Soldat. Laut Gerull sammelte er die Anweisungen in der Kriegszeit nicht mehr selbst, wurde aber vermutlich aus dem Geschichtsverein heraus mit Dokumenten versorgt. Nach dem Krieg sei Heinrichs ein angesehener Demokrat gewesen. 1946 bis 1952 sowie von 1958 bis 1964 war er Bürgermeister.

Keine Erklärung hat Gerull dafür, dass Heinrichs 1973 das Bundesverdienstkreuz ablehnte. Lediglich persönliche Gründe nannte er; denkbar ist, dass er nicht in einer Reihe mit Altnazis stehen wollte, die das Kreuz erhalten hatten. „Es bleibt ein Rätsel“, so Gerull.

„Dunkelstes Jahrzehnt der deutschen Geschichte“

Kein Rätsel ist indes, was Hubert Heinrichs vom nationalsozialistischen Regime hielt. 1962 sagte er anlässlich der Enthüllung eines Gedenksteins auf dem jüdischen Friedhof an der Heinrichstraße: „Die Verfolgungen dieses Jahrzehnts, des dunkelsten der deutschen Geschichte, war nicht mehr wie im Mittelalter spontan, nicht mehr getragen von einzelnen Fanatikern, sie waren das Resultat von kühler Berechnung und wurden von einem unmenschlichen und unbarmherzigen Staatsapparat durchgeführt.“

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