Siegburger Ehrenamtlerin„Ich konnte nie ohne das Gefühl sein, etwas Gutes zu tun“

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Ruth_Kuehn

Die Siegburgerin Ruth Kühn hilft seit Jahrzehnten anderen Menschen. 

Siegburg – Ihre 84 Jahre sieht man ihr nicht an. Ruth Kühn geht zügig. Kein Wunder, sie hat viel zu tun: Im Moment heißt ihr Hauptprojekt Geflüchtetenhilfe. Sie füllt mit Menschen aus Ruanda und Syrien Anträge aus, berät sie in Rentensachen, sucht ihnen eine Wohnung oder einen Job und geht mit ihnen Rechnungen durch.

Bis Mitternacht beantwortet sie oft letzte E-Mails oder telefoniert. Zu vielen Familien hält sie danach den Kontakt. „Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen“, sagt Kühn bescheiden. Anderen zu helfen beflügelt sie offenbar nicht nur, sie braucht die Arbeit mit Menschen geradezu.

Wenn Kühn über den Siegburger Marktplatz läuft, grüßen viele Passanten sie, die engagierte ältere Dame vom „Treffpunkt Kirche“, dem urigen kleinen Haus im Zentrum der Kreisstadt. Kühn fragt dann, wie es der Familie geht. Ihr Leben ist ein Leben für die anderen, ein Leben für das Ehrenamt.

Kühn war überrascht über die Auszeichnung des Landes

Gerade hat sie deshalb den Verdienstorden des Landes NRW erhalten. „Als ich den Brief bekommen habe, war ich ganz überrascht“, sagt Kühn.

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Wenn sie über ihr Engagement spricht, wirkt alles selbstverständlich. Und für sie ist es das wohl auch. Ruth Kühn wurde katholisch erzogen, jeden Sonntag ging sie mit ihren Eltern in die Kirche, das macht sie bis heute so. „Dort fühle ich mich einfach wohl, die Kirche ist für mich wie ein zweites Zuhause.“

Mit 22 Jahren übernahm sie zum ersten Mal ein Ehrenamt: Im Auftrag des Sozialdienstes Katholischer Frauen wurde sie Vormund für zwei psychisch kranke Frauen. Sie half ihnen, den Alltag zu meistern. Von da an, sagt sie, habe sie nie wieder ohne dieses Gefühl sein können, etwas Gutes zu tun.

Treffpunkt_am_Markt

Das alte Haus am Siegburger Markt ist Anlaufpunkt für viele Hilfesuchende.

Kühn hat sich für die Aufgabe schulen lassen, sich auf Gesprächspartner einzustellen und richtig zu reagieren, wenn jemand zum Beispiel einen Trauerfall erlebt hat. Nach ihrer Ausbildung zur Kauffrau arbeitete Ruth Kühn zunächst im Heizungs- und Sanitärbetrieb ihrer Eltern, bevor sie ab 1975 katholische Religion und Hauswirtschaft mit Ernährung auf Lehramt studierte.

Mit 84 ist sie immer noch in drei Vereinsvorständen aktiv

15 Jahre lang arbeitete sie als Lehrerin an einer Realschule, engagierte sich aber weiter ehrenamtlich. So sammelte sie Spenden für Basisschulen in Ruanda. Teilweise hatte sie sieben bis acht Vorstandsposten parallel inne – noch heute ist sie Schatzmeistern im Verein psychosozialer Krebsberatung, Dekanatsvorsitzende der Katholischen Frauengemeinde und Vorsitzende im Förderverein Ehe- und Familienberatung.

Nebenbei zog sie ihre Kinder groß, eine Tochter und einen Sohn, heute 53 und 55 Jahre alt. Zur Vollzeit-Ehrenamtlerin wurde Kühn, als sie den Lehrberuf wegen einer Rückenoperationen nicht mehr ausüben konnte. Mit 53 Jahren wurde sie 1990 Frühpensionärin. Ihr Mann war Geschäftsführer im Sozialdienst Katholischer Männer, er unterstützte sie, die beiden hatten genug Geld gespart.

Schule_Ruanda

Als Lehrerin in Much sammelte Ruth Kühn Spenden für Basisschulen in Ruanda. 1983 besuchte sie die Einrichtung in Ruhengeri.

Neben ihrer Arbeit mit Geflüchteten gründete sie während der Corona-Zeit eine telefonische Anlaufstelle, in der sie mit den Menschen über schöne Dinge des Lebens reden möchte. Jeder kann sie dort erreichen, gerade für einsame Menschen in der Pandemie will Kühn eine Gesprächspartnerin sein. „Es ist auch für mich immer wieder schön, etwas über das Leben der Menschen zu erfahren.“

Kühn nimmt jedes Jahr an einem interkulturellen Gesprächskreis teil, in dem sie den Katholizismus repräsentiert. „Judentum, Hinduismus oder Islam, viele Religionen sind dort vertreten“, sagt sie. Mit der Idee, ein offenes Haus für jeden zu schaffen, auch ohne den Gedanken an die Kirche, gründete Kühn 2009 den „Treffpunkt Kirche“ am Markt in Siegburg – auch per E-Mail erreichbar: info@treffpunkt-am-markt.de. Unter dem Motto „Wir haben Zeit für Sie“ begrüßen Kühn und andere Ehrenamtliche Menschen, die Rat brauchen oder einfach jemanden zum Reden.

Neben der Kirchenarbeit fährt die 84-Jährige gern Fahrrad, trifft sich mit Freundinnen, verbringt Zeit mit ihren vier Enkeln – und nicht zuletzt sich selbst. Sie selbst beschreibt sich als ziemlich eitel. „Ich muss immer perfekt angezogen sein.“

Auch wenn sie für ihr Alter fit ist, gibt Kühn langsam die ersten Vorstandsposten ab – für den Dekanatsvorsitz der katholischen Frauengemeinde hat sie bereits eine Nachfolgerin gefunden. Doch selbst wenn es irgendwann nur noch die Gespräche am Telefon sein werden, die Schichten im Treffpunkt am Markt oder die Dialoge mit Geflüchteten: Ohne irgendein Ehrenamt wird Ruth Kühn wohl nicht auskommen.

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