Krieg in der UkraineSwisttaler Hilfswerk bringt Güter bis ins Land hinein

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Jakob Dück mit einer Ladung Hilfsgüter

Jakob Dück vom christlichen Hilfswerk Tabea in Heimerzheim freut sich über die Nachricht auf den Hilfsgütern für die Ukraine.

Swisttal-Heimerzheim – „Unsere ukrainische Filiale ist in Ternopil, im Westen des Landes, aber wir liefern aktuell nur in die Gebiete, die bombardiert werden.“ Eigentlich unglaublich, also mitten ins Kriegsgebiet – aber Jakob Dück bleibt gelassen. Er arbeitet für das christliche Hilfswerk Tabea mit Sitz in Swisttal-Heimerzheim, das als eine der wenigen Organisationen noch Hilfsgüter bis in die Ukraine bringt. Seit den ersten Angriffen des russischen Militärs brachte Tabea bereits mehr als 100 Tonnen an Matratzen, Nahrung, Unterwäsche und vielem mehr in die betroffenen Gebiete. Aber das wird  mit jedem Tag schwerer.

Die Stadt Charkiw mit eigentlich rund 1,5 Millionen Einwohnern nahe der russischen Grenze im Osten der Ukraine sei bereits nicht mehr zugänglich, schildert Dück: „Das russische Militär hat auf den Straßen  Minen ausgelegt. Keiner komm mehr durch. Mittlerweile herrscht dort bereits eine extrem große Hungersnot.“ Das befürchtet er auch für die Städte, in die aktuell noch Hilfsgüter gelangen, wie Kherson oder Mykolayiv im Süden, an der Küste zum Schwarzen Meer, oder die Städte in Richtung Kiew.

Kein Zugang zur Heimatstadt

Auch in Dücks einstiger Heimatstadt Melitopol (150.000 Einwohner) im Südosten wollte die Organisation helfen, doch auch dorthin ist kein Transport mehr möglich. „Ich habe dort mit meiner Familie elf Jahre gelebt, doch es gibt keinen Zugang mehr in die Stadt.“

Dück kam 1995 im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland, sein Vater Waldemar leitete bis dahin die Filiale der Hilfsorganisation Tabea, die sich noch in Melitopol befand. Heute lebt der 39-Jährige mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Heimerzheim und arbeitet hier für die Hilfsorganisation, deren Zentrum in der Breniger Straße Vater Waldemar leitet.

Er erinnert sich, wie er selbst zunächst auf dem Tabea-Gelände gelebt hat. Mittlerweile ist er seit 20 Jahren für das Hilfswerk tätig. Angefangen hat er mit dem Zivildienst im Alter von 19 Jahren.

Enger Kontakt zu den Kollegen

Sein Ansprechpartner in der Ukraine  ist der Leiter des Zentrums.  Dessen Frau und die zwei jungen Kinder sind bereits bei Tabea in Swisttal untergekommen. Die Männer sind geblieben. Dück steht täglich in engem Kontakt und bekommt Informationen und Videos, um die Geschichten zu belegen.

Bei Tabea in Ternopil kommen die Lkw an, die sich von  Heimerzheim aus auf den Weg machen. Von dort sind es ungefähr 200 Kilometer bis zur polnischen Grenzstadt Hrebenne. In der Filiale werden die Hilfsgüter aufgeteilt und weitertransportiert.

Die Lkw-Fahrer sind seine „Helden“: Dück  erzählt von einem Ukrainer, der von Swisttal aus einen der Sattelschlepper in seine Heimat gefahren hat, obwohl er wusste, dass er das Land dann nicht mehr verlassen darf – „weil er dort seine Liebsten beschützen will“ , so Dück. Die Fahrer der Speditionen fahren dabei nicht weiter als Ternopil.

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Dort helfen vornehmlich die Mitglieder der Kirchengemeinden, laut Dück meist Baptisten, beim Ausladen und beim Weitertransport in die gefährlicheren Gebiete. „Das Risiko, dorthin zu fahren, gehen wir ein. Mein Vater war 2014 beim Konflikt in Doneszk vor Ort, um herauszufinden, was die Menschen dort benötigen. Von dort kommt keiner her, um es uns zu sagen.“

Mehr als 1000 Tonnen Hilfsgütern im Jahr

Was aktuell benötigt wird, weiß Dück ganz genau. Besonders wichtig sei Babynahrung, denn der Stress des Kriegs sorge dafür, dass die Mütter weniger oder gar keine Milch mehr haben.  Zudem werden Windeln dringend benötigt – und auch Besteck aus Metall für die Kämpfer und das Militär.

Das Ziel in der Ukraine: „Wir versuchen, Krankenhäuser mit Lebensmitteln zu versorgen, oder Invalidenheime – das ist auch unsere eigentlich Aufgabe. Dafür fahren wir normalerweise bis zu 78 Lkw-Ladungen mit mehr als 1000 Tonnen Hilfsgütern im Jahr in die Ukraine, nach Moldawien und Weißrussland“, erklärt Dück. Er fragt bei großen Firmen an, denn die Waren werden bei Tabea palettenweise verladen.

Der Ablauf ist professionell: Die Paletten stehen bereits  so vorsortiert auf dem Hof, dass sie blitzschnell mit dem Radlader im Laderaum verstaut werden können. Dabei ist vorher schon klar, welche Achse wie viel Gewicht trägt und wie hoch die Paletten an welcher Stelle gestapelt sein dürfen. Sobald die Fahrer, die Dück über Speditionen im In- und Ausland organisiert, ankommen, geht es los. Zweieinhalb Tage später seien die Hilfsgüter genau dort, wo sie benötigt werden.

Jakob Dück zeigt die Herberge des christlichen Hilfswerks

Die Herberge der Hilfsorganisation in Heimerzheim. Eine Großfamilie ist bereits aus der Ukraine in Swisttal angekommen.

Tabea hat in Heimerzheim aber nicht nur zwei große Lagerhallen. Auch ein „Hotel“ – wie es Dück nennt – und kleine Holzhäuser, die eigentlich für christliche Ferienauszeiten gedacht sind, stehen bereit. „Jetzt im Winter können wir in den Einzel- und Doppelzimmern bis zu 18 Personen unterbringen. Im Sommer mit den Holzhütten bis zu 80“, so Dück.

Die Kriegssituation beschreibt er so: „Die russischen Soldaten gehen mittlerweile extrem hart gegen die Bevölkerung vor.“ Das liegt aus seiner Sicht daran, dass das Militär Probleme habe, in die Städte vorzudringen. „Die Ukraine ist flach. Aus den Städten übersieht man alles, so, als  wenn man am Meer steht.

Die Russen seien früh zu erkennen, weil sie nur die Straßen nutzen können. Die Randbereiche seien viel zu weich, die Fahrzeuge würden abseits der Straße  steckenbleiben. „Ich habe Videos erhalten, auf denen vor der Stadt Saporischschja ein Konvoi mit 200 zerstörten russischen Fahrzeugen zu sehen ist“, schildert der gebürtige Moldawier. Die Stadt gehört laut Dück zu den strategisch wichtigen. „Wenn diese Städte fallen, wird es eine große Invasion geben."

Wie lange die Hilfstransporte noch möglich sind, das steht in den Sternen. Jakob Dück will auf jeden Fall weitermachen, solange es geht. Dafür benötige das Hilfswerk weiterhin Spenden. Neben Babynahrung derzeit vor allem Geld. Dück: „Eine Lkw-Fahrt kostet uns zurzeit rund 3700 Euro.“

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