Nach der Flut in SwisttalMaterialmangel und NRW-Bürokratie hemmen Wiederaufbau

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Kuhring_Odendorf

Anja Kuhring verschnauft mit ihrem Lebensgefährten Jens Rosing und dem freiwilligen Helfer Alex Ossowski (r.) an ihrem großen Esstisch.

Swisttal – „Edelstein-Momente“ nennt Anja Kuhring (52) die Zeit, in denen andere Menschen für ihre Mitmenschen da sind. „Ich hatte in den vergangenen sechs Monaten viele solcher Edelstein-Momente“, sagt sie. Ihr Zuhause stand vor sechs Monaten quasi im Epizentrum der Flutwelle, nur wenige Schritte vom Orbach entfernt, genau gegenüber der Bahnstrecke Köln-Euskirchen.

Monate wird es noch dauern, bis dort die Regionalbahnen wieder rollen. Auch jetzt, ein halbes Jahr nach der großen Flut sind die Spuren der Katastrophe deutlich im Ort, aber auch im Haus und Garten der 52-Jährigen zu sehen. „Aber dank der vielen ehrenamtlichen Helfer geht es voran“, sagt sie.

Schock im Holland-Urlaub

Anja Kuhring war im Urlaub, als sich die Katastrophe bei ihr zu Hause anbahnte. „Schaltet vorsichtshalber den Strom im Keller aus und bringt die wichtigsten Sachen besser mal nach oben“, habe sie ihrer Tochter, die im ausgebauten Keller zwei Zimmer bewohnte, noch geraten, als der Orbach schon gefährlich hoch stand. Dann machte sie sich sicherheitshalber auf den Heimweg.

Beim nächsten Telefonat meldeten ihre Kinder bereits die Katastrophe: „Das Wasser schießt aus der Kanalisation in den Keller und auf der Straße werden Leute in ihren Fahrzeugen einfach weggespült“, hat ihre Tochter in den Hörer geschrien. Dann brach die Verbindung ab.

Noch einmal habe ihre Schwester sie an diesem Abend auf der Heimfahrt erreicht, um ihr die Nachricht ihrer Tochter weiterzugeben: „Mama braucht gar nicht mehr nach Odendorf kommen, der Ort ist überflutet, sie und ihr Bruder sind bei Freunden weiter oben im Ort untergekommen.“

„Noch nie solche Angst verspürt“

„Noch nie zuvor habe ich eine solche Angst gehabt und eine so große Hilflosigkeit verspürt wie auf dieser Heimfahrt vom Urlaub in Holland zurück nach Hause“, erinnert sich Kuhring. Sie kam dann zunächst bei Freunden in einem Nachbarort unter. Doch erst als sie am Donnerstagvormittag erfuhr, dass ihr Exmann die Kinder wohlbehalten aus Odendorf herausgeholt hatte, konnte sie sich ein bisschen beruhigen.

Noch sollte es jedoch vier Tage dauern, bis sie nach unzähligen vergeblichen Versuchen endlich bis nach Odendorf durchkam und das ganze Ausmaß der Katastrophe sah. Ihre Kinder hatten mit Freunden schon angefangen, die ganzen von Schlamm und Öl verschmieren Habseligkeiten aus dem Haus zu schaffen. „Ich ziehe den Hut vor all den Menschen, die uns hier geholfen und den mit Fäkalien und Öl vermischten Schlamm aus dem Haus geschöpft haben“, sagt sie.

Es ist etwas Neues entstanden

„Mein Leben vor der Flut ist weg, doch es ist etwas ganz Neues gewachsen“, ergänzt sie und spricht von Solidarität und Nächstenliebe, die sie durch die Wochen und Monate bis heute getragen haben. Einer der Menschen, die ihr Mut und Kraft gegeben haben weiterzumachen, ist Alex Ossowski (33) ein, der sich unbezahlten Urlaub genommen hat und aus Thüringen anreiste, um in den Flutgebieten zu helfen, zuerst in Bad Neuenahr und Schmidtheim und jetzt schon länger als drei Monate in Odendorf.

Alle Arbeiten hat Anja Kuhring selbst, mit Helfern und eigenen Mitteln bewältigt. Sachspenden kamen dazu. Jetzt gehe ihr allerdings der Puffer aus, sagt die Odendorferin. Alle Materialspenden seien aufgebraucht. „Jede Art von Baumaterialien werden weiterhin dringend gebraucht“, appelliert Kuhrings Lebensgefährte Jens Rosing.

Land NRW hat für finanzielle Hilfe hohe bürokratische Hürden errichtet

„Denn die vom Land NRW versprochenen Fördergelder lassen auf sich warten“, bedauert die 52-jährige Odendorferin. Dabei habe sie für ihren Hausrat bereits vor Wochen einen Antrag gestellt. „Die wollen jetzt noch eine komplette Auflistung der verloren gegangenen Gegenstände inklusive der geschätzten Anschaffungskosten“, erklärt sie kopfschüttelnd.

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Auch sollte sie Grundbuchauszüge vorlegen, um zu beweisen, dass das Haus ihr Eigentum ist, in dem sie in der ersten Etage wohnen kann. Eine große Hürde sieht sie auch bei den Handwerkerleistungen. Um Fördergeld dafür zu bekommen müsse sie quasi für jeden Fachbereich wie Elektriker, Installateur, Maler und Innenausbau von jeweils drei verschiedenen Betrieben einen Kostenvoranschlag einholen.

Dabei sei es zurzeit ja schon fast unmöglich, überhaupt einen einzigen Handwerker zu bekommen. „Das hat wirklich nichts mehr mit dem zu tun, was den betroffenen Menschen unmittelbar nach der Flut versprochen wurde“, merkt Kuhring an.

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