Ist der Angeklagte nur ein Spinner, oder wird der Troisdorfer im Wahn zur Gefahr für die Allgemeinheit? Darum ging es vor dem Siegburger Amtsgericht.
Bodycam-EinsatzTroisdorfer greift wohl im Wahn nach E-Mail-Krieg Polizisten an

Eine Gefährderansprache in Troisdorf filmte die Polizei mit einer Bodycam. Das Video wurde im Amtsgericht gezeigt. (Symbolbild)
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Einen wahren E-Mail-Krieg führte ein 35-Jähriger mit der Justiz und der Polizei. In seinen Schreiben: reihenweise wüste Beschimpfungen und Beleidigungen. Als die Ermittler zur Gefährderansprache ausrückten, eskalierte die Situation. Der Troisdorfer verweigerte zunächst das Gespräch, beleidigte die Beamten und griff sie schließlich an, das zeigt das Video aus einer Bodycam, das vor Gericht gezeigt wurde.
Ist der Angeklagte nur ein harmloser Spinner, oder wird er im Wahn zu einer Gefahr für die Allgemeinheit? Auch darum ging es in der Hauptverhandlung. Der gelernte Anlagenmechaniker und Techniker erklärte über Stunden hinweg wortreich, wenn auch für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar, warum er mit Worten und Fäusten um sich schlug.
35-jähriger Troisdorfer verletzte bei der Gefährderansprache Polizeibeamte
Von der Polizei und der Justiz habe er nur Druck und Ungerechtigkeiten erfahren. Die wahren Verbrechen hingegen würden nicht verfolgt. Was er konkret damit meint, gab er erst auf mehrere Nachfragen von Richterin Seda Ataer hin zu Protokoll. Seine heute elfjährige Tochter, die in Bayern bei der Kindsmutter lebt, sei nach seiner Überzeugung im Alter von fünf Jahren sexuell missbraucht worden. In die Tat verwickelt seien seine früheren Chefs.
Er habe ein Video gesehen und darauf das Mädchen erkannt, wenngleich keinen der beteiligten drei Männer. Auch die Kindsmutter sei am Schluss des Videos zu sehen gewesen. Bekannte aus seinem Arbeitsumfeld hätten ihm die Gerüchte zugetragen, er habe es anfangs kaum glauben können, Bilder seien ja manipulierbar, doch später habe für ihn alles zusammengepasst. Wegen des Missbrauchs habe er seine Tochter seitdem nicht mehr sehen dürfen.
Dass die Tat am Firmensitz und somit hunderte Kilometer vom Wohnsitz der Ex-Partnerin entfernt geschehen sein sollte, das kam ihm nicht unwahrscheinlich vor. Die Industriellen-Familie sei reich und mächtig. Warum erstattete er keine Anzeige, brachte den angeblichen Missbrauch im Sorgerechtsstreit nicht zur Sprache? „Ich habe kein Vertrauen in das System.“ Für ihn steckten alle unter einer Decke.
Es ist mehr als mangelnde Impulskontrolle, er kann sich nicht mehr hemmen
Seit damals hat er nicht mehr gearbeitet, „ich musste meine Traumata verarbeiten“. Er hoffe immer noch auf ein Wiedersehen mit der Tochter, habe mit einer neuen Lebensgefährtin eine schöne Wohnung, ein gutes Umfeld für ein Kind.
Für den psychiatrischen Sachverständigen Dr. Michael Schormann hat der E-Mail-Krieg „wahnhaften Charakter“, ebenso die Angriffe auf die Polizisten, wobei einer der Beamten unter anderem einen Bruch des Ohrknorpels erlitt sowie eine blutende Wunde hinter dem Ohr.
Dass sich der Angeklagte auf die nicht belegbare Geschichte vom Missbrauch eingeschossen habe, sei typisch für das Entstehen einer wahnhaften Erkrankung, so der Gutachter. Der Betroffene fühle sich, als ob er gegen den Rest der Welt kämpfe und ihm Unrecht widerfahre.
Die früheren Chefs, mit denen es Konflikte gab, als die Bösen zu brandmarken, entlaste ihn aus der Verantwortung. Man könnte von einer krankhaften seelischen Störung sprechen. Es sei mehr als nur mangelnde Impulskontrolle, „er kann sich nicht mehr hemmen“.
Der Angeklagte sei weder behandlungsmotiviert noch einsichtig. Durchaus aber einsichtsfähig. Dass Beleidigungen und tätliche Angriffe Unrecht sind, das wisse er, es sei ihm aber egal, wenn er sich Luft machen müsse, so der Gutachter. Eine Aussage, die Strafverteidiger Stephan Rössler infrage stellte.
Ob er in ein normales Leben zurückfinden kann, ist unklar. Laut dem Sachverständigen müsse der Troisdorfer nicht in die Psychiatrie eingewiesen werden, weitere Auseinandersetzungen mit der Justiz seien aber zu erwarten: „Man würde ihm wünschen, dass er das Thema zum Abschluss bringt.“ Das Gericht schloss sich dieser Einschätzung an und verurteilte den Angeklagten zu einem Jahr Haft. Wegen der Wiederholungsgefahr erhielt er keine Bewährung.