Nie wieder Stau?So sehen die Autobahnen der Zukunft aus

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Getrennte Trassen für Transit- und lokalen Verkehr, Gewerbegebäude als Lärmschutz  und keine Staus mehr: So könnte die Autobahn der Zukunft aussehen.

  • Transitstrecken für den Durchgangsverkehr, Stadtautobahnen mit Tempolimit für die Region. Forscher glauben, den zunehmenden Verkehr so besser bewältigen zu können.
  • Ob es deswegen nie wieder Stau gibt? Nein, aber womöglich deutlich weniger.
  • Aus unserer Serie „Rheinland 2030. Unsere Zukunft“

Jeder Stau ist eine Niederlage. Man darf sie nur nicht persönlich nehmen. Sonst würde man an diesem Job verzweifeln. Jan Lohoff steht im fensterlosen Großraum der Verkehrsleitzentrale in Leverkusen. Ein schlichtes Container-Büro. Seit Jahren ein Provisorium. Vor ihm neun Großbildschirme und 56 Monitore, auf denen sich das ganze Autobahnen-Elend in Nordrhein-Westfalen abspielt. Der Chef des Baustellenmanagements der NRW-Fernstraßen zuckt mit den Schultern. Ruhigbleiben. Bloß nicht die Nerven verlieren. Kann man nichts machen. Mal wieder.

Die Lkw-Schlange auf der rechten Spur der A 1 wird Meter für Meter länger von Wermelskirchen bis zum Kreuz Leverkusen. Der Mega-Stau auf der A 57 reicht inzwischen von Köln-Nord bis Dormagen, weil die Großbaustelle im Autobahnkreuz so viel Verkehr nicht verkraften kann.

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Jan Lohoff vor einem elektronischen Wegweiser auf dem Kölner Ring.

Lohoff weiß alles über den Stau. Darüber, „was wir mit welcher Baustelle anrichten, was passiert, wenn wir einen Fahrstreifen rausnehmen.“ Und er ist ein Meister der Verkehrsverdrängung. Ausweichrouten, Schlupflöcher. Wo fährt noch was?

Simulationsprogramme helfen ihm, verschiedene Szenarien zu entwerfen. 2500 Messstellen erfassen die Daten. 21 Stauwarner und Streckenbeeinflussungsanlagen sollen den Verkehr auf 500 Kilometern flüssig halten, rund 100 Ampeln den Zufluss regeln, 75 elektronische Tafeln Stauinfos liefern und Umleitungen empfehlen.

Das Datennetz wird immer engmaschiger, dennoch nehmen die Staus zu. Das wird auch im Jahr 2030 im Ballungsraum Rhein-Ruhr mit rund zehn Millionen Menschen nicht anders sein. Auch wenn Bund und Land immense Summen in die Sanierung und den Ausbau der Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen pumpen. 1,2 Milliarden Euro waren es im Jahr 2017. Allein auf dem Kölner Ring sind täglich bis zu 170 000 Fahrzeuge unterwegs. Ein Großteil davon Lkw im Transitverkehr. Für den Baustellenmanager ist der Ausbau allein keine Lösung mehr. „Selbst wenn wir es wollten, für vier oder fünf Fahrstreifen fehlt in unserer Region einfach der Platz.“ Deshalb setzt Lohoffs Arbeitgeber, der Landesbetrieb Straßen NRW, auf eine ausgeklügelte Baustellenkoordination und auf Digitalisierung.

Traffic Informationen Center sind die Lösung

Traffic Information Center (TIC) heißt das System, das sich derzeit im Aufbau befindet und in das alle Verkehrsträger landesweit ihre Baustellen eintragen müssen. Unterteilt ist TIC in drei Blöcke: erstens Autobahnen, zweitens Landesstraßen. Zum dritten Block zählen die kommunalen Straßen und die Schienennetze der DB und städtischer Verkehrsunternehmen.

„In diesem System laufen alle Baustellen-Infos zusammen“, sagt Lohoff. Der Marktplatz für Mobilitätsdaten (MDM) wird von allen genutzt und schlägt bei Konflikten sofort Alarm. „Wir können auf der A 3 zwischen Köln und Düsseldorf keine Großbaustelle einrichten, wenn die Bahn zeitgleich in Leverkusen am Rhein-Ruhr-Express baut.“ Noch läuft die Plattform nicht komplett, aber ab 2019 sollen ihre Ergebnisse vollständig ins MDM-System eingespeist werden, das auch dem Verkehrsfunk und den Navi-Anbietern zur Verfügung steht.

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Allein das wird nicht reichen, um dem Stau zu entkommen. Selbst wenn in zwölf Jahren die neue Leverkusener Rheinbrücke mit allen acht Fahrspuren in Betrieb ist und auf dem Kölner Ring alle Bauprojekte abgeschlossen sein sollten. Was äußerst ambitioniert ist.

„Wir wollen die Leute von der Straße kriegen“

Spätestens dann, schlagen Forscher vor, könne man den Verkehr kanalisieren, das Netz aufteilen in Transit-Autobahnen wie die A 3 und A 61. Parallel müsse man die A 57, A 59 und die A 555 zu Stadtautobahnen für den Binnenverkehr mit Tempolimit herabstufen. Das sei eine Möglichkeit, den Transitverkehr in Nord-Süd-Richtung möglichst kreuzungsfrei durchs Rheinland zu lotsen. So entstünde eine City-Logistik, die zentrale Orte und Knotenpunkte entlaste, sagen die Experten. Auf diese Weise ließen sich auch ohne Autobahnausbau mehr Kapazitäten schaffen. Auch die Aufteilung der Autobahnen in Express-Spuren mit weniger Ausfahrten und lokale Fahrstreifen halten Planer für denkbar, die im Auftrag der Vereins Region Köln/Bonn über den Verkehr der Zukunft nachdenken. Die radikalste Lösung verzichtet völlig auf den Ausbau der Infrastruktur.

„Wir wollen die Leute von der Straße kriegen“, sagt Henrik Sander, Stadtplaner aus Hamburg. Das Ziel, bis 2045 staufrei zu sein, lasse sich nur durch einen digitalen Mobilitätsverbund lösen. „Wir können gar nicht so schnell bauen, wie der Verkehr zunehmen wird.“ Das ist die Theorie. Von einer Entflechtung in Transit- und Binnenverkehr kann der Praktiker Jan Lohoff nur abraten. „Das geht nur bei viel Platz, bei breiteren Autobahnen wie in den USA. So etwas haben wir hier nicht.“ Im Rheinland würde das im Chaos enden. „Wir sind ja gerade froh, dass wir flexibel reagieren und die Verkehrsmengen ein wenig verschieben können. Dabei hilft uns das dichte Autobahnnetz in NRW.“

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Staubeobachter in der Verkehrsleitzentrale Leverkusen

Freigabe von Standstreifen soll auf NRW-Autobahnen zur Regel werden

Sein Konzept sieht anders aus. „Wir wollen den Verkehr durch unsere Beeinflussungsanlagen harmonisieren.“ Auf der A 3 lasse sich das auf dem Kölner Ring schon sehr gut an. „In Spitzenzeiten schalten wir auf Tempo 80, nehmen damit den Ziehharmonika-Effekt raus und kriegen viel mehr Verkehr über die Autobahn geschoben.“ Bei vierspurigen Strecken müsse es gelingen, die Lastkraftwagen auf die beiden rechten Fahrstreifen zu bringen, um eine Lkw-Wand zu verhindern. „Wenn rechts der Verkehr zusammenbricht, kann keiner mehr auffahren und so entsteht ein Rückstau im kommunalen Straßennetz.“ Die Freigabe von Standstreifen soll aus Sicht des Baustellenmanagers zur Regel werden.

Streckenweise Stillstand. Alltag auf den Autobahnen des Rheinlands. In den Köpfen von Verkehrsexperten und Stadtplanern ganz offensichtlich nicht.

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