Forscher über Jugendgewalt„Einsperren alleine nützt nichts“

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Wenn junge Menschen gewalttätig werden, haben sie nicht gelernt, Konflikte mit Worten zu lösen.

Wenn junge Menschen gewalttätig werden, haben sie nicht gelernt, Konflikte mit Worten zu lösen.

Köln – Professor Toprak, Sie forschen zu Jugendgewalt und haben selbst schon als Antigewalttrainer gearbeitet. Was verbindet Ihrer Erfahrung nach alle gewalttätigen Jugendlichen?

Ahmet Toprak: Ein gemeinsamer Nenner ist ihre Kommunikationsunfähigkeit. Gewalttäter können Konflikte nicht mit Worten lösen. Das haben sie nie gelernt. Außerdem haben über 90 Prozent von ihnen ein niedriges Bildungsniveau und sind männlich.

Warum ist Kommunikation für ein gewaltfreies Leben so wichtig?

In vielen Familien lernen Kinder einfach nicht, offen über Probleme zu reden. Konflikte in Familien müssen aber besprochen werden. Konstruktiver Streit gehört zum Zusammenleben dazu. Daraus gehen Beziehungen gestärkt hervor. Nicht nur die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern. Auch in der Jugendarbeit sprechen wir von Beziehungsarbeit, zwischen Sozialarbeiter oder Lehrer und Kind.

Genau diese Beziehungsarbeit außerhalb der Familie findet in der Corona-Pandemie kaum statt. Wie wird sich das auf die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen auswirken?

Sportvereine haben seit einem Jahr zu, die Schulen mehr oder weniger seit Weihnachten. Erst langsam geht es wieder los. Man könnte sagen: Beziehungsarbeit und ein gutes Miteinander außerhalb der Familie findet gar nicht statt. Die Folgen dieser enormen Einschränkungen werden wir erst richtig zu sehen bekommen, wenn alles wieder offen ist. Ich will nichts dramatisieren, aber Jugendliche aus benachteiligten Milieus sind enorm von der Corona-Krise betroffen. Bis zur Pandemie wurde sehr unterschätzt, wie wichtig die Schule als sozialer Ort ist. Kaum ein Kind geht gerne wegen Mathe oder Deutsch in die Schule, sondern weil es dort seine Freunde sieht.

Ahmet Toprak ist Erziehungswissenschaftler an der FH Dortmund. Vorher hat er zehn Jahre als Anti-Gewalttrainer gearbeitet.

Ahmet Toprak ist Erziehungswissenschaftler an der FH Dortmund. Vorher hat er zehn Jahre als Anti-Gewalttrainer gearbeitet.

In den vergangenen Monaten berichteten die Medien immer wieder über extreme Gewalteskalationen, ausgehend von Jugendlichen. Welchen Zusammenhang zu den Corona-Beschränkungen sehen Sie?

Ganz klar: Langeweile. Die Jugendlichen können nirgendwo hin, wenn Freizeitzentren, Sportstätten und Cafés zu sind. In manchen Fällen, zum Beispiel vergangenen Juni in der Stuttgarter Innenstadt, hat sich der Frust dann so entladen, dass Scheiben eingeschlagen oder Polizisten angegriffen wurden. Ich will das nicht entschuldigen, aber es wird vergessen, dass sich die Zukunftsängste, die bei jungen Menschen sowieso besonders groß, durch die Pandemie massiv verschärft haben.

Inwieweit spielt Gruppendynamik bei Eskalationen eine Rolle?

Die Gruppendynamik ist oft entscheidend. Menschen verhalten sich in Gruppen immer anders als wenn sie alleine oder zu zweit sind. Gerade männliche Jugendliche stacheln sich gegenseitig an, um sich zu messen und die Grenzen auszutesten.

Das öffentliche Interesse an solchen Ausschreitungen ist enorm. Warum?

Jugendgewalt hat die Medien immer interessiert, eigentlich Gewalt generell. Das war auch schon vor 20 Jahren so. Besonders wenn die Gewalt von migrantischen Jugendlichen ausgeht und sich in so genannten „Massenschlägereien“ entlädt. Aber die gute Nachricht ist: Jugendgewalt nimmt insgesamt ab. Die Prävention funktioniert. Es wird auch vielmehr berichtet, weil wir offener darüber sprechen und Übergriffe öfter zur Anzeige gebracht werden. Wir sind sensibler geworden.

Nach Ausschreitungen wie im Sommer in Stuttgart werden immer wieder härtere juristische Strafen gefordert. Ist das sinnvoll?

Nein, die Androhung von harten Strafe führt nicht dazu, dass Menschen keine Straftaten begehen. Zwei Aspekte lassen sich aber verbessern. Die Richter sollten das Strafmaß ausschöpfen und die Gerichtsverfahren müssen beschleunigt werden. Teilweise warten jugendliche Gewalttäter zwei Jahre auf ein Urteil. Wenn man schneller und konsequenter handelt, ist unser Strafrecht hart genug. Jugendliche werden in der Regel nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Es werden Sozialstunden oder Anti-Gewalt-Trainings als pädagogische Maßnahmen angeordnet, um den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, an sich zu arbeiten.

Konservative Stimmen würden jetzt sagen: Mit solchen Maßnahmen kommt man bei jugendlichen Intensivtätern nicht weit.

Aus der Forschung wissen wir aber: Einsperren alleine nützt nichts. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gewalttäter nach einem Gefängnisaufenthalt wieder rückfällig wird, liegt bei 82 Prozent. Bei gewalttätigen Jugendlichen in pädagogischen Maßnahmen liegt die Rückfallquote bei 37 Prozent. Die Zahlen sind eindeutig.

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Wie sieht gute Gewaltprävention in ihren Augen aus?

Sie ist langfristig angelegt. Es ist nicht damit getan, einmal in eine Schule zu gehen und ein paar Stunden Anti-Gewalt-Training zu machen. Hier wird die Aufgabe von Jugendzentren unterschätzt. Viele denken, die Jugendlichen hängen dort nur rum. Aber genau das ist entscheidend: Ein geschützter Raum, wo sie Freunde treffen, günstig eine Cola trinken können und bei Bedarf jemanden zum Reden haben.

Zum Beispiel eine Sozialarbeiterin oder einen Sozialarbeiter?

Genau. Sie machen auch in den Schulen oft mühsame, tägliche Klein-Klein-Arbeit, in dem sie an den Kindern dranbleiben. Sie immer wieder ansprechen und Vertrauen aufbauen. Wir werden erst nach der Pandemie sehen, was in den Elternhäusern passiert ist, ohne dass wir es mitgekriegt haben. Wer an sozialer Arbeit spart, fördert Gewalt. Und: Prävention ist immer günstiger als Intervention.

So können Sie helfen

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen.

Die Spendenkonten lauten: „wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“ Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 370 502 990 000 162 155 Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 370 501 980 022 252 225

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