Roma-ProjektAufstehen für mehr Chancengleichheit

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Trommelgruppe mit Enis Ibraimi (li.) vom Projekt „Amen Ushta“ in der offenen Ganztagsschule KGS Langemaß in Mülheim

Trommelgruppe mit Enis Ibraimi (li.) vom Projekt „Amen Ushta“ in der offenen Ganztagsschule KGS Langemaß in Mülheim

Köln – Der Anfang war schwer, und ohne die Hilfe von „Amen Ushta“ hätte es Ruzhica Ignjatova wohl kaum geschafft. Es war im Jahr 2013, als sie ihrem Mann aus Mazedonien nach Köln folgte, wo dieser seit kurzem als Bauarbeiter beschäftigt war. Ihr Sohn Dunjan war damals gerade sechs Jahre alt, als er in der katholischen Grundschule Langemaß in Mülheim eingeschult wurde. „Er hat kein Wort verstanden“, sagt die Mutter heute und man ahnt, was sich da für eine schulische Katastrophe beinahe abgespielt hätte.

Batoul Salem und Rim Mirso

Batoul Salem und Rim Mirso

Dass die Familie in der Grundschule auf die Helfer des Projektes „Amen Ushta“ trafen, war die entscheidende Wende im Leben der Ignjatovas. „Amen Ushta“ – das ist Romanes und bedeutet: Wir stehen auf – ist eine Initiative des Rom e.V., die sich seit 2013 in Kölner Grundschulen vor allem, aber nicht nur, um Kinder aus Roma-Familien kümmert. Das dreiköpfige Team um Leiterin Ismeta Stojkovic betreut 70 bis 80 Kinder in drei Schulen in Porz, Finkenberg und eben in Mülheim.

Schulbotschafter

Mindestens zweimal in der Woche erhalten die Kinder von Stojkovic, Christina von Haugwitz oder Enis Ibraimi Deutschunterricht. Ibraimi ist zusätzlich als Schulmediator in Mülheim tätig, leitet eine Musik-AG, übersetzt und vermittelt bei Gesprächen in der Schule. Dazu bietet er eine Schulsprechstunde in der Grundschule an, die die Eltern rege nutzen. „Wir verstehen uns als Schulbotschafter“, sagt Stojkovic.

Ismeta Stojkovic, Schulleiterin Angela Lingens, Enis Ibraimi und Christina von Haugwitz (von links)

Ismeta Stojkovic, Schulleiterin Angela Lingens, Enis Ibraimi und Christina von Haugwitz (von links)

Denn haben die Familien Probleme, wirkt sich das schnell auf die Kinder aus. Mitunter können die Eltern selbst weder lesen und schreiben oder können zumindest kaum Deutsch. Oft haben sie keine oder nur eine schlechte Ausbildung und erhalten in Deutschland nur schlecht bezahlte Jobs.

Geschlagen und ignoriert

Wer wenig verdient, kann sich freilich nur wenig Wohnraum leisten. Die Kinder haben nur selten ein eigenes Zimmer, wo sie ungestört Hausaufgaben machen können. Hinzu kommen Diskriminierungserfahrungen: Die Kinder werden geschlagen oder ignoriert. All dies macht den Schulbesuch für die Kinder zu einem Problem, dem sich manche entziehen, in dem sie kaum oder gar nicht zur Schule gehen. Und es gibt Eltern, die kommen nicht zu den vereinbarten Terminen in den Schulen – aus Angst, aus Scham oder weil sie schlicht andere Dinge zu tun haben. „Bei vielen geht es jeden Tag um die Existenz“, sagt Stojkovic.

Abgebrochene Bildungswege

Die fatale Folge dieses Prozesses sind abgebrochene, unvollendete Bildungswege der Kinder und Jugendlichen, die später fast zwangsläufig in Arbeitslosigkeit und Armut führen. Auch für Familie Ignjatova wäre der Behördendschungel möglicherweise über den Kopf gewachsen. Die Helferinnen und Helfer von „Amen Ushta“ begleiteten die Mutter, die ihr drittes Kind in Köln zur Welt brachte, zum Arzt und ins Krankenhaus, handelten Miet- und Handyverträge aus, meldeten das zweite Kind in der Kindertagesstätte an, übersetzen Briefe und koordinierten Behördentermine.

Initiative „Amen Uhsta“ des Rom e.V. – Hilfe für Roma- und Flüchtlingskinder

„Amen Ushta“ ist das jüngste Projekt des Rom e. V., bei dem es primär um die schulische Förderung von Roma-Flüchtlingskindern, von Kindern aus bulgarischen und rumänischen Familien, aber auch um heimische Kinder geht, die im rechtsrheinischen Köln leben. Es ist dort an fünf Grundschulen angesiedelt und bezieht sich auf die gesetzliche Verpflichtung der Schulen zur Inklusion.

Weil seit 2013 viele Schulplätze fehlen und es zu Wartezeiten von einem halben Jahr und länger kam, hatte Schuldezernentin Dr. Agnes Klein im Juni 2013 den Rom e.V. gebeten, im rechtsrheinischen Köln ein zweites „Amaro Kher“ zu betreiben, also ein extra Schulprojekt für geduldete, nicht beschulte Roma-Flüchtlingskinder. Stattdessen entschied sich der Rom e.V. für ein Konzept zur Förderung der Einwanderer- und Flüchtlingskinder direkt an den Grundschulen im Rechtsrheinischen: „Amen Ushta“ startete im Sommer 2014.

Es geht um die Integration der Flüchtlingskinder und ihrer Familien in das deutsche Bildungssystem und in die Gesellschaft. Ziel ist die Schulfähigkeit der teilnehmenden Kinder und die Integration der Eltern. Die Mitarbeiter verstehen sich als Mittler zwischen den Familien, Schulen, Institutionen, Behörden und der Gesellschaft (kro)

Dunjan ist bereits zehn Jahre alt und kommt in der Schule gut mit. Mutter Ruzhica hat in einem Sprachkurs mittlerweile die deutsche Sprache gelernt und möchte eine Ausbildung zur Straßenbahnfahrerin machen. „Ohne Amen Ushta wäre alles ein Chaos geworden“, sagt Ruzhica Ignjatova. Dass die Helferinnen und Helfer mehrere der auf dem Balkan gesprochenen Sprachen beherrschen ist eine der Voraussetzungen für das Gelingen des Projektes. Sie kommunizieren auf Romanes, Bulgarisch, Serbisch, Mazedonisch, Kroatisch, Türkisch, Englisch und auf Deutsch. Das ist nützlich, wenn es um Übersetzungen geht und es ist eine Art Türöffner, um das Vertrauen der Familien zu erhalten. Viele von ihnen haben keinen festen Wohnsitz, manche sogar keinen Aufenthaltsstatus. Stojkovic berichtet von Flüchtlingsfamilien, die nur geduldet werden und jeden Tag damit rechnen, abgeschoben zu werden.

Kaum noch Schulverweigerer

Die Arbeit habe großen Erfolg, sagt Stojkovic. Schulverweigernde Kinder gebe es nur noch in zwei oder drei der 80 betreuten Familien. Und während früher viele der Kinder Förderschulen besuchten, hätte nun fast alle den Sprung auf die Grundschule geschafft.

Ruzhica Ignjatova

Ruzhica Ignjatova

Manchmal sind es aber auch nur die kleinen Erlebnisse, die Kinder vielleicht für immer im Kopf behalten werden. Zum Beispiel wenn die Helferinnen und Helfer von „Amen Ushta“ aus Spenden 100 Schulranzen an die Mädchen und Jungen weitergeben konnten. Oder wenn Familien aus Schulen zusammenlegten, um Winterkleidung für bedürftige Kinder zu kaufen. Oder als sie einen Kinonachmittag organisierten, für Kinder, die zum Teil noch nie in einem Lichtspielhaus gewesen waren.

Mehr Betreuung täte Not, sagt von Hauwitz: „Zwei Jahre intensive Betreuung und fast jedes Kind wäre top integriert.“ Lange stand das Projekt selbst auf der Kippe. Bis 2017 konnte die Initiative des Rom e.V. vor allem durch die Spenden von „wir helfen“ und der städtischen Waisenhaus-Stiftung überleben. Seitdem hat die Stadt Köln das Projekt in die Regelförderung übernommen. Künftig soll „Amen Ushta“ aber seine Ausrichtung ändern. Damit mehr Schulen in den Genuss der Förderung kommen, sollen die Helferinnen und Helfer alle zwei bis drei Jahre in andere Einrichtungen rotieren.

Die zunächst geförderten Schulen sollen dann eigene Strukturen entwickeln, um die Kinder zu begleiten. In Porz hat sich das Projekt bereits zurückgezogen. „Wir sind nur noch als Backup da, wenn die Schule nicht alleine klarkommt“, so Stojkovic. Nötig wäre allerdings ein Betreuung, die über die Grundschule hinausgehe. Denn in den weitergehenden Schulen würden die Probleme nicht geringer.

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