Zwei Angriffe innerhalb der vergangenen Wochen in Bergheim lassen aufhorchen. Die Sorge um „Leib und Seele“ des Fahrpersonals wächst.
Nach Schlägen in BergheimGewalt gegen Busfahrer in Rhein-Erft nimmt zu

An der Bushaltestelle „Zum Biotop“ in Bergheim-Kenten eskalierte die Auseinandersetzung zwischen einem Fahrgast und dem Busfahrer.
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Walter Reinarz ist lange im Geschäft: Früher viele Jahre bei den KVB, seit 2017 Geschäftsführer der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft (REVG). Die Brutalität und Rohheit, mit der in der ersten Juliwoche in Bergheim ein 25-Jähriger auf einen Busfahrer (59) eingeprügelt hat, macht auch ihn fassungslos. Nach einem Streit wegen des Tickets drosch der Fahrgast unvermittelt massiv auf den 59-Jährigen ein. Er erlitt Verletzungen am Kopf, Hals, Oberkörper und im Gesicht und musste ins Krankenhaus gebracht werden.
„Es geht ihm wieder besser“, sagt Reinarz. Wann sich der Mitarbeiter der Busverkehr Rheinland GmbH (BVR) – das Unternehmen fährt im Auftrag der REVG – wieder ans Steuer eines Linienbusses setzen kann, ist unklar. Manche seiner Kollegen, denen andernorts ähnliches widerfahren ist, haben es nicht geschafft.
Es vergeht keine Woche, in der ich nicht von Übergriffen auf unser Personal erfahre
Auch der Fahrkarten-Kontrolleur (36), auf den Ende April abends drei Unbekannte an der Bushaltestelle „Bergheim Rathaus“ eingeschlagen und -gestochen haben und der Stich- und Schnittverletzungen am Oberkörper sowie am Bein erlitt, wird seit seiner Genesung bis auf Weiteres im Innendienst eingesetzt.
„Es vergeht keine Woche, in der ich nicht von Übergriffen auf unser Personal erfahre“, sagt Reinarz bedauernd. Und immer häufiger müssen Fahrer selbst oder die Leitstelle, mit der sie verbunden sind, die Polizei verständigen: Es geht um Pöbeleien gegen Fahrgäste, Angriffe gegen Fahrer oder Drohungen gegen Kontrolleure.

Walter Reinarz ist Geschäftsführer der REVG.
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Von den fast alltäglichen Beschimpfungen und Beleidigungen will der REVG-Geschäftsführer gar nicht erst reden. Damit hätten sich viele Fahrer abgefunden, „das wird kaum noch gemeldet“ – es sei denn, Grenzen würden deutlich überschritten.
Die REVG begegnet dieser Entwicklung wie es auch viele andere Nahverkehrsunternehmen auch tun: Mittlerweile fahren Sicherheitskräfte in den Bussen mit, und dies nicht nur in den vermeintlich kritischen Abendstunden, sondern zu jeder Tageszeit, versichert Reinarz. Flächendeckend gehe das aber natürlich nicht. Standard sind dagegen die Kameras in allen Bussen, in den eigenen und in denen der Subunternehmer, die im Auftrag der REVG verkehren.
REVG gibt Fahrpersonal Tipps, wie Situationen entschärft werden können
Beibehalten hat das Verkehrsunternehmen mit Sitz in Kerpen auch die Plexiglasscheiben aus der Coronazeit, die Fahrer davor schützen sollten, sich bei Fahrgästen anzustecken. Künftige Busgenerationen verfügen sogar über Fahrerkabinen, die zusätzlichen Schutz gewähren sollen. Und zu guter Letzt vermittelt die REVG ihrem Fahrpersonal Tipps zur Deeskalation, die regelmäßig aufgefrischt werden müssen.
All diese Maßnahmen haben den 25-Jährigen, der mit Frau und Kind an der Haltestelle „Zum Biotop“ in Bergheim-Kenten mittags in die Linie 969 einstieg, nicht davon abgehalten, den 59-Jährigen schwer zu verletzen. Auch nicht der Umstand, dass zahlreiche Schülerinnen und Schüler im Bus saßen. Einer von ihnen sah den Mann, der aus dem Bus geflüchtet war, wenige Minuten später seelenruhig und einem Garten stehen – und verständigte die Polizei. Die nahm sich des 24-Jährigen dann an.
Christian Gladasch betrachtet es mit Sorge, dass „Menschen bei Ausübung ihrer Tätigkeit um Leib und Seele fürchten müssen“. Dies sei eine traurige und bedenkliche Entwicklung, sagte der Geschäftsführer des Verbands Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen (NWO). Das lasse niemanden kalt.
Der NWO vertritt die Interessen von rund 420 privaten Busunternehmen. Viele fahren im Auftrag kommunaler Auftraggeber wie der REVG – mehr als die Hälfte ihrer Fahrten werden von Privaten durchgeführt. Gladasch berichtet: „Immer wieder müssen Busfahrerinnen und Busfahrer für einige Fahrgäste als Blitzableiter für Ärger und Frustration herhalten, weil sie die direkten Ansprechpartner sind. Die Aggressionen richten sich sowohl gegen das Fahrpersonal als auch gegen die Fahrgäste.“
Gladasch betont aber auch: „Dennoch dürfen Busfahrerinnen und Busfahrer selbst nicht handgreiflich werden.“
Die Angriffe auf Fahrer und Kontrolleure eine erschreckende gesellschaftliche Verrohung und Gewaltbereitschaft
Am Wochenende hatte bereits Bürgermeister Volker Mießeler (CDU) die Zivilcourage des Jugendlichen gelobt, der der Polizei geholfen hatte, und den Angriff auf den Busfahrer aufs Schärfste verurteilt. Deutliche Worte fand auch einer seiner Herausforderer bei der Bürgermeisterwahl im September, Torsten Rekewitz (SPD).
Auf Anfrage äußerte sich nun auch der REVG-Aufsichtsratsvorsitzende Gregor Golland. Seiner Ansicht nach zeigen Angriffe auf Fahrer und Kontrolleure „eine erschreckende gesellschaftliche Verrohung und Gewaltbereitschaft“. Er erwarte klare Verurteilungen und spürbare Strafen für die Täter. Der CDU-Politiker versicherte: „Den Opfern gilt unsere ganze Fürsorge und Unterstützung.“
Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im ÖPNV hat 2024 drastisch zugenommen. Sie stieg im NRW-Nahverkehr (Bus und Bahn) um 14,1 Prozent auf 32.705 Fälle an. Das geht aus dem Sicherheitsbericht des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) hervor, der im Juni vorgestellt wurde. Einen drastischen Anstieg von 84,9 Prozent auf 3450 Fälle gab es beim Thema Hausfriedensbruch.
Die Zahl der Sexualdelikte ging um 41 Prozent auf 124 hoch. Die Zahl der Ordnungswidrigkeiten nahm um rund 40 Prozent auf knapp 7000 Fälle zu. Die häufigste Deliktsart bleibt jedoch das Fahren ohne gültiges Ticket mit 34,8 Prozent. Auf dem zweiten Platz folgen Beleidigungen mit 15,5 Prozent. (jtü)