RICHTER ÜBER SEIN BILDDas teuflische Schöne

Lesezeit 5 Minuten
Erst kürzlich ausgestellt: Gerhard Richters Bild "September". (Bild Richter)

Erst kürzlich ausgestellt: Gerhard Richters Bild "September". (Bild Richter)

Die Vorgeschichte zu dem Bild, die Gerhard Richter uns gestern erzählt, beginnt wie so oft bei dem Kölner Maler mit seinen Skrupeln. Auch deshalb blieb es zunächst jahrelang der Öffentlichkeit entzogen. Erst im Januar hatte Richter es für eine Ausstellung in Paris, in der Dependance der renommierten New Yorker Galerie Marian Goodman, als unverkäuflichen Beitrag freigegeben. Erstmals zur Sprache gekommen war es 2005 - damals noch im Stadium der Vorzeichnung - in einem „Spiegel“-Interview. Doch Richter hatte auf Nachfragen sogleich abgewunken: „missglückter Versuch“, „falsche Richtung“, er werde das Rudiment zerstören oder übermalen.

Richter hatte das Bild dann aber doch noch im Jahr 2005 fertig gemalt. Es wurde „bunt, knallbunt, wie die typischen Fotos sind“, berichtet er; in ungewöhnlichem Sprachgebrauch nennt Richter all seine Gemälde „Fotos“, seien sie gegenständlich oder abstrakt - erkennt er doch in jedem Gemälde ein Modell und ein Äquivalent der Realität und des Sichtbaren. Dann aber habe er das Resultat betrachtet und sich selbst gesagt: „Das kann man nicht machen, so ein kitschiges Bild.“ Und er habe begonnen, die Farbe wieder abzukratzen, so lange, bis das Gemälde mit dem Titel „September“ bei seinem finalen Zustand angelangt sei. Es ist ein durch und durch typischer Richter: Nur mehr schemenhaft sind die beiden Zwillingstürme zu erkennen, das Himmelblau leuchtet matt, ruß- und bleigraue Schlieren legen sich waagerecht vor die Szenerie und ihre buchstäbliche Abstraktion. Die Farbe Grau, Richters Farbe schlechthin und auch die symbolische Farbe des Todes, verschleiert den helllichten Himmel des 11. September 2001. Vor den linken Tower legt sich eine Rauchwolke; man erahnt den Einschlag des Flugzeugs im rechten Tower. Einige entschieden gesetzte horizontale Pinselzüge lesen sich vor dem Hintergrund des Ereignisses, das hier dargestellt ist, wie ein malerischer Kommentar zur Endgültigkeit, zur Unabwendbarkeit des Faktischen.

Und doch tritt das Gemälde im Ruvre Richters - abgesehen von dem einzigartigen Anlass - keinesfalls als singuläres Werk heraus. Es misst gerade 52 mal 72 Zentimeter, trumpft also beileibe nicht im großen Format auf. Dem flüchtigen Blick, über den viele Besucher der Pariser Ausstellung offenbar nicht hinausgekommen sind, könnte es als etwas trübe geratene Landschaft erscheinen. Ein „unscheinbares Bild“, findet sein Urheber.

Noch immer aber, so Richter, sei er „vollkommen unsicher“ über das Resultat gewesen, als er es fertiggestellt habe. Kein Wunder bei diesem Sujet und der fotografischen Vorlage für das Bild - den in Flammen aufgehenden Twin Towers in den Minuten vor dem Einsturz, der Bildikone des 21. Jahrhunderts schlechthin. Der traumatische Jahrhundert-Augenblick ist in der Tat - so ließe sich argumentieren - eigentlich zu einfach für einen Maler, der zeit seines Lebens nach der Fotografie malt, er ist zu schlagend, zu selbstevident, zu unvergleichlich mit irgendeinem anderen Bild, einfach zu überzeugend, um nach künstlerischer Verfremdung zu rufen. Er ist dies übrigens auch für die Fotografie selbst, wie zum Beispiel die Riesenfotos des Düsseldorfers Thomas Ruff offenbart haben. Darin erhebt sich das Ereignis noch einmal in großen Pixeln, drohend und furchterregend, vor den Augen des Betrachters. Aber das Spektakuläre überdröhnt hier mehr die Durchdringung, die nachträgliche Reflexion über das Geschehen, als sie zu befördern.

Richter war, wie er einräumt, selbst der Ansicht, es könne „etwas Billiges haben, einfach das berühmteste Foto zu nehmen und es abzumalen“. Der Eindruck liege nahe, er hefte sich den Ruhm dieser Fotografie „an mein Revers“. Andererseits wolle er es sich auch „nicht verbieten lassen, ein Thema, was mich so interessiert, zu malen“. Er sei gescheitert an diesem Gemälde, diesem Foto, hatte Richter gedacht, als es ein befreundeter Sammler als erster Augenzeuge kurz nach der Fertigstellung zu Gesicht bekam. Der fand es „großartig“ - heute befindet es sich in seinem Depot. Und nachdem Richter es in den vergangenen Jahren wiederholt anschaute, habe er selbst gelernt, das Scheitern als „Teil der Qualität“ zu schätzen. Er sei dem Thema nicht gewachsen. „Aber wer ist das schon?“

Richter macht keinen Hehl aus seiner Faszination für die einzigartige Fotografie von „9 / 11“, nach welcher er sein Bild „September“ malte, für die „Faszination des Schreckens, die jedes Kind schon kennt“, und er versagt sich für diese Fotografie auch nicht den Begriff der Schönheit. Das Foto sei nun einmal schön; es zeige „das grausame Schöne“. Es habe „eine ähnliche Schönheit wie eine Supernova im Weltall. Aber die betrifft uns ja nicht, sie tut uns nicht weh“. „Die Schönheit ist das Teuflische daran.“

„September“ hat jüngst auch Richters stets favorisierten Interpreten Benjamin H. D. Buchloh zu einer Begeisterung hingerissen, bei welcher der New Yorker Historiker alle gewohnte Distanz aufgibt. Das Gemälde bezeuge Richters „schier grenzenlosen Mut, das Nichtdarstellbare mit den Mitteln der Malerei zu konfrontieren“. Eine letzte Beurteilung verbietet sich für den, der das Gemälde nicht leibhaftig gesehen hat - die Antwort auf die Frage, wie seine mögliche Ausstrahlung die Erinnerung stimuliert und auch die Vorlage der Fotografie selbst transformiert. Nach Richters eigenem Wunsch sollte man ihm fürderhin im Museum of Modern Art begegnen. Das New Yorker Museum sei „das Richtigste“, auch wegen der beiden anderen Serien, die es bereits von ihm besitze: die zwölf abstrakten „Wald“-Bilder des Jahres 2005 und vor allem den berühmten Zyklus über den Tod der deutschen RAF-Terroristen aus dem Jahr 1988.

KStA abonnieren