KernenergiedebatteBei Einsatz von Atomenergie könnten Putins Kriegskassen klingeln

Lesezeit 5 Minuten
Atomkraftwerk Niederbayern 23062

Gedrosselte Gaslieferungen und Sorge um Energie-Engpässe: Die Folgen des Ukraine-Kriegs heizen die Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen der deutschen Atommeiler immer wieder an.

Berlin – Wladimir Putin wird sich königlich amüsieren über die in Deutschland und anderswo aufbrechenden Kernenergiedebatten. Je weiter der russische Präsident den Gashahn zudreht, desto lauter schwillt der Chor derjenigen an, die eine Verlängerung der Laufzeit der drei noch bis Jahresende arbeitenden Atomkraftwerke in Deutschland fordern. Zuletzt waren dies CDU-Chef Friedrich Merz und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Russische Konzern Rosatom verdient an Atomkraft

In Moskau hört man schon die (Kriegs-)Kassen klingeln, denn der 2007 von Putin aus der Taufe gehobene russische Staatskonzern Rosatom verdient fast überall mit, wenn es um Uran, Brennelemente, Kraftwerksbau oder -rückbau sowie die Entsorgung nuklearen Abfalls geht. 350 Unternehmen gehören weltweit zu Rosatom, darunter die deutsche Firma Nukem Technologies aus dem bayrischen Alzenau.

Durch die im Jahr 2009 erfolgte 100-prozentige Übernahme von Nukem Technologies verdient Rosatom nicht nur mit der Atommülllagerung, sondern zum Beispiel auch am Rückbau der Atomkraftwerke in Neckarwestheim und Philippsburg. Langjähriger Nukem-Chef ist Thomas Seipolt. Weiterer Geschäftsführer ist seit 2016 Sergey Molodtsov, der zuvor sieben Jahre für die Rosatom-Gruppe tätig war.

Branchenverband mit Geschmäckle

Seipolt ist ebenfalls Vorsitzender des Lobbyverbands Kerntechnik Deutschland (KernD), der zuletzt Ende März angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine in einem Brandbrief von Bundeskanzler Olaf Scholz forderte, „jetzt eine Grundsatzentscheidung für einen Weiterbetrieb von Kernkraftwerken zur Energiesicherung“ zu treffen.

Wie unabhängig agiert dieser Verband von russischen Interessen? Und wie abhängig sind Deutschland und Europa schon von russischer Atomtechnologie?

Der Atomexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Stefan Wenzel, warnt: „Wir dürfen uns nicht in die nächste Abhängigkeit drängen lassen, weil wir blind für Fakten sind“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Der Vorstandsvorsitzende des Kernenergie-Verbands ist zugleich Chef einer deutschen Tochtergesellschaft des russischen Staatskonzern Rosatom und insofern alles andere als unabhängig. Dieser Interessenkonflikt ist nicht hinnehmbar und muss sofort beendet werden.“

Grüne warnen vor russischen Interessen

Wenzel sieht in der aktuellen deutschen Atomenergiedebatte „glasklare Interessen“ Russlands. Putin wolle die Abhängigkeit bei der Atomenergie fortzusetzen. „Rosatom betreibt hier Kundenakquise, aber viele Politiker haben die tiefen Verflechtungen Russlands in der europäischen Atomindustrie und unsere Abhängigkeiten von Uran und Brennstoffen noch nicht verstanden.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Seipolt wehrt sich gegen solche Vorwürfe. „Deutschland verfügt – unabhängig von den Leistungen der Nukem – nach wie vor über alle notwendigen Ressourcen für die in Zukunft überwiegend vom Rückbau bestimmte Nuklearwirtschaft“, sagte er dem RND auf Anfrage. „Insofern sind weder russischer Einfluss noch russische Interessen in Deutschland ersichtlich oder bekannt, die ich als CEO der Nukem Technologies Engineering Services GmbH im Verband KernD vertreten könnte.“

„Unzulässige Einflussnahme“ sei ausgeschlossen

Der Manager weist darauf hin, dass im Verband „schon aus Compliancegründen“ – also aus Gründen der Regeltreue – wesentliche Entscheidungen im Vorstand abgestimmt und gemeinsam getroffen würden. „Insofern ist auch hier eine unzulässige Einflussnahme ausgeschlossen.“ Sein Unternehmen, so Seipolt, gehöre zu den Gründungsmitgliedern der Vorgänger des jetzigen Verbandes KernD. „Das Engagement der Nukem im Verband ist also sehr viel älter als die Zugehörigkeit zu Rosatom. Auch den Vorsitz des Verbandes hatte Nukem bereits vor dem Krieg in der Ukraine inne.“

Tatsächlich bestand nach Stilllegung der ostdeutschen AKW in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) und Rheinsberg (Brandenburg) keine Abhängigkeit deutscher Kernkraftwerke von russischem Brennstoff. Im europäischen Maßstab sieht dies allerdings anders aus: Die Abhängigkeit von Russland in Sachen Atomenergie ist immens.

Die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) listete zuletzt auf, dass rund 20 Prozent des in Brennelementen eingesetzten Urans aus Russland und etwa 19 Prozent aus dem verbündeten Kasachstan stammen. Experten wie Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, warnen vor einer noch größeren Abhängigkeit als beim Gas.

Europäische Behörde besorgt

Laut Euratom und der World Nuclear Association sind viele mittel- und osteuropäische Länder nicht allein von russischem Uran, sondern auch von russischer Nukleartechnologie abhängig. So gibt es in 18 EU-Ländern russische Kernreaktoren: zwei in Bulgarien, sechs in der Tschechischen Republik, zwei in Finnland, vier in Ungarn und vier in der Slowakei. Derzeit baut Rosatom neue AKW in Ungarn.

Was Euratom besonders besorgt, ist, dass deren Druckwasserreaktoren regelmäßig gewechselt werden müssen. Pferdefuß: Sie laufen nur mit den sechseckigen Brennstäben russischer Bauart.

Westliche Hersteller besitzen kaum Erfahrung mit diesen Brennelementen, darum seien AKW-Betreiber geradezu an Russland gekettet, wenn sie ihren Betrieb stabil halten wollen. Dennoch will beispielsweise der französische Nuklearkonzern Framatome gemeinsam mit Rosatom-Unternehmen neue Entwicklungen bei der Brennstoffherstellung vorantreiben.

Die von Euratom festgestellte „signifikante Verletzbarkeit“ durch die Abhängigkeit von Russland rührt auch daher, dass die Stromversorgung von Ländern wie der Slowakei oder Ungarn im Falle eines russischen Uranlieferstopps torpediert werden könne. Durch den gemeinsamen Strommarkt in der EU würden dann die Strompreise durch die Decke gehen, warnt Energieexperte Quaschning.

Von Sanktionen ausgenommen

Angesichts solcher Szenarien ist auch erklärbar, warum der zivile Sektor von Rosatom, das Unternehmen arbeitet auch für das russische Militär, bis heute von europäischen und US-amerikanischen Sanktionen ausgenommen ist. So durften trotz EU-Flugverbots für russische Maschinen im März und April Transportflugzeuge Brennelemente in die Slowakei und nach Ungarn fliegen – mit Sondergenehmigung.

Somit kann Putin mit seiner Strategie, den Westen mit guten Preisen für Uran und Nukleartechnologien zu bedienen, zufrieden sein. Die Geschäfte laufen trotz des Angriffskriegs gegen die Ukraine weiter, und nebenbei ist inzwischen der Preis für Uran auf dem Weltmarkt um mehr als 30 Prozent gestiegen.

Stromversorgung über Atomkraftwerke fällt häufiger aus

Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger vertritt indes laut Forsa-Umfragen seit Wochen die Ansicht, dass man zur Sicherstellung der Energieversorgung die für dieses Jahr vorgesehene Abschaltung aller Kernkraftwerke in Deutschland überdenken sollte. Ob das auch jenseits der Abhängigkeit von Russland eine gute Idee ist, wird in einer Kurzanalyse von Energy Brainpool im Auftrag der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy angezweifelt.

Danach fallen Atomkraftwerke deutlich häufiger für die Stromproduktion aus als vergleichbare Kraftwerke. So waren in Frankreich seit dem Jahr 2018 im Schnitt nur 66 Prozent der installierten AKW-Leistung abrufbar. Die Verfügbarkeit der Meiler für die Versorgung lag damit rund ein Drittel unter der von Gas- und Wasserkraftwerken. (rnd)

KStA abonnieren