Corona-Talk bei „Illner“Lindner zündelt – Söder schießt gegen Laschet

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Lindner Bundestag

Christian Lindner, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion.

Berlin – Als Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Stellvertreter Olaf Scholz, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Peter Tschentscher, Hamburgs Erster Bürgermeister, am frühen Mittwochabend vor die Kameras traten, schaute beinahe die gesamte Republik nach Berlin. Dreieinhalb Wochen nach dem Beschluss der strengen Kontaktbeschränkungen hatten Merkel und die Länderchefs über die Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen beraten und erste Lockerungen verkündet.

Schulen sollen schrittweise wieder öffnen, zuerst mit den Abschlussklassen. Läden mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern dürfen ihren Betrieb wieder aufnehmen, ebenso wie Buch- und Fahrradläden sowie Autohändler. Es sind kleine, vorsichtige Schritte auf dem Weg zurück in die Normalität, die jedoch auch nach dem endgültigen Ende der Corona-Krise eine andere sein wird.

Nicht zu viel wagen, um keine Rückschläge zu riskieren

Worauf es den führenden Politikern besonders ankommt: nicht zu viel wagen, um keine Rückschläge zu riskieren. Kritiker prangern allerdings an, selbst diese behutsamen Rücknahmen der Einschränkungen seien zu viel. Mit der Frage, ob die Zeit dafür tatsächlich schon gekommen ist, haben sich am Donnerstagabend auch TV-Talkerin Maybrit Illner und ihre Runde beschäftigt. Das Thema der Sendung: “Konsequent gegen Corona - können wir schon lockerlassen?”

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Die Gäste

Geladen hatte das ZDF interessante Gäste; eine vielversprechende Konstellation. Zum einen CSU-Politiker Söder, der im Kampf gegen die Pandemie momentan voran geht und mit seinem staatsmännischen Geschick eine gute Figur macht. Zum anderen FDP-Chef Christian Lindner, der zuletzt immer mal wieder im öffentlichen Diskurs drastischen Wortbeiträgen herumgepoltert hat. Etwa: Die Bundesregierung spreche zu den Bürgern “wie zu Kindern”.

Hinzu gesellten sich Christian Drosten, Deutschlands führender und wohl bekanntester Virologe von der Berliner Charité, sowie Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Die Runde komplettierte die “Spiegel”-Journalistin Christiane Hoffmann.

Das Duell: Söder gegen Laschet

Hoffmann brachte nach unzähligen Talkrunden völliger Harmonie sogleich wieder ein bisschen Feuer in die Diskussion, das die gesamte Sendung lang unterschwellig loderte. Es ging um das Duell zwischen Söder und Armin Laschet, dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Zwischen beiden ist unlängst ein Zweikampf entbrannt über die beste Politik, die besten Maßnahmen, das beste Vorgehen, den besten Auftritt - auch wenn Söder und Laschet das wenig glaubhaft immer wieder abstreiten.

“Dieses Fernduell”, sagte Hoffmann ohne Umschweife, “wird sich fortsetzen. Selbst in diesen Zeiten bleibt Politik natürlich Politik.” Es gebe eine erkennbare Differenz zwischen Bayern und NRW.

Immerhin: Auch Hoffmann hat den Eindruck, dass es trotz allem hauptsächlich um den Kampf um das Coronavirus und die besten Entscheidungen für die Bevölkerung geht. “Aber es lässt sich nicht vergessen, dass es einen Profilierungskampf gibt in der Union um die Zeit nach dem Ausscheiden von Angela Merkel.” Außer Söder und Laschet verneint das wohl niemand.

Das Duell freilich bekam eine besondere Würze, weil Laschet gar nicht in der Runde saß und auch nicht - wie Söder - auf einem großen Bildschirm zugeschaltet war. Der CSU-Politiker ließ jedenfalls keine Gelegenheit aus, um Giftpfeile in Laschets Richtung loszuwerden. Bei der Diskussion am Mittwoch zwischen Ministerpräsidenten und Kanzlerin um eine Maskenpflicht beispielsweise sei “NRW sehr zurückhaltend gewesen”, sagte Söder. Er hingegen nicht.

Auch die Rückkehr in die Schulen, die Nordrhein-Westfalen schneller voranbringen will als andere Bundesländer, kommentierte er spitz. “Lehrerverbände haben ausdrücklich vor einem Kaltstart gewarnt”, betonte er. In Bayern werde selbstverständlich alles viel “umsichtiger”, diese Vokabel hat es Söder wirklich angetan, geregelt. Laschet hatte Glück, dass wenigstens Christian Lindner, mit dem er seinerzeit die schwarz-gelbe Regierung im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik auf die Beine gestellt hatte, zu ihm hielt und seinen Rücken wenigsten ein bisschen stärkte.

Das Streitthema: Lockerungen

Natürlich nutzte Lindner die Sendung auch als willkommene Plattform, um seine Stimme zu erheben gegen all das, was aus seiner Sicht momentan schief läuft. Das ist auch sein gutes Recht. Er forderte, nicht nur bestimmte Läden zu öffnen, sondern alle - unter Einhaltung der Auflagen. “Entscheidend muss sein, ob die Hygiene gewährleistet werden kann”, sagte Lindner. “Ob der Abstand zwischen Kunden eingehalten werden kann, und ob das Personal Masken trägt.”

Dann legte er eines seiner wichtigsten Themen auf den Tisch: die Wirtschaft. “Gesundheitliche Risiken kommen aus der Seele”, betonte der FDP-Chef. “Wenn Menschen Angst um ihre Existenz haben.” Deshalb müsse alles dafür getan werden, um die Wirtschaft wieder hochzufahren und drohende Pleiten abzuwenden. Seine Forderung: “Wir müssen ein Leben in der Wirtschaft mit Corona erreichen.”

Ihn störte besonders, dass die Öffnung von Läden an ihre Größe gekoppelt ist. Klar, man könne nicht da weitermachen, wo man im Februar aufgehört habe. “Aber die Ladengröße ist nicht entscheidend für die Infektionsgefahr.” Stimmt einerseits, andererseits aber auch nicht. Denn - das ist ja das Argument von Merkel und Söder - auch vor den Läden kann in Warteschlangen eine erhöhte Infektionsgefahr entstehen.

Die Lockerungen beizeiten regional anzupassen, hält Chef-Virologe Drosten indes für eine ganz gute Idee. Es gebe noch einen Unterschied, wie stark die einzelnen Bundesländer vom Virus betroffen sind. Deshalb könne man Maßnahmen und deren Aufhebung “lokal steuern”.

Und dann sprach Drosten eine Wort, die Kanzlerin Merkel ruhig schlafen lassen dürften. Illner wollte wissen, ob Merkel die Reproduktionsrate denn in ihren Ausführungen am Mittwoch in Berlin richtig erklärt habe. “Natürlich”, sagte Drosten.

Die Debatte: Maskenpflicht

Politiker sind flexibel, was ihre Meinungen angeht, Virologen wissen mit zunehmender Zeit einfach mehr. Deswegen ist für beide Berufsgruppen eine 180-Grad-Drehung nur selten ein Problem. Das haben sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt in der Frage, ob das Tragen von Masken vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützt. Zunächst hieß es: nein, Masken sollen nur diejenigen tragen, die sie wirklich bräuchten - Ärzte und anderes medizinisches Personal. Nun jedoch das Umdenken. “Es wird helfen”, sagte Drosten, und zwar offenbar allen.

Deshalb machte der Virologe einen interessanten Vorschlag. Damit etwa im öffentlichen Nahverkehr alle Personen eine Maske tragen, regt Drosten an, die Verkehrsbetriebe sollten Masken nähen (lassen) oder sich welche beschaffen - und dann vielleicht für einen Euro gleich mit dem Ticket verkaufen. Journalistin Hoffmann hingegen wäre es wichtig, Angela Merkel “mit Mundschutz beim Einkaufen” zu sehen.

Und Söder ergänzte, er sei ja schon immer für eine Maskenpflicht gewesen, auch wenn man sich zunächst auf ein Maskengebot verständigt hätte. Er hatte sogar ein hübsches Exemplar zur Hand - wenn auch nicht im Gesicht. Als er plötzlich eine selbstgenähte Maske - natürlich im blau-weißen bayerischen Karo-Muster - mit väterlichem Stolz in die Kameras hielt, dürfte dem ein oder anderen Zuschauer durchaus ein kleines Lächeln durchs Gesicht gehüpft sein.

Die Frage: Hat die Politik genug getan?

Ranga Yogeshwar sagte indes nicht viel, aber er sagte kluge Sachen. So wie man den Wissenschaftsjournalisten eben kennt. Yogeshwar kritisierte besonders die mittelalterlichen Mittel, die die Bundesregierung im Kampf gegen das Virus einsetze: Quarantäne, Masken. Das habe man auch schon vor Hunderten von Jahren so gemacht. “Wir nutzen unser Potenzial nicht”, sagte Yogeshwar. Er forderte dringend eine App und machte sich darüber lustig, dass in deutschen Gesundheitsämtern wichtige Informationen immer noch per Fax übermittelt werden.

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Die App zumindest wird kommen, da herrschte große Einigkeit unter den Diskutanten. Vermutlich freiwillig, davon ging “Spiegel”-Journalistin Hoffmann aus. Und national einheitlich, das betonte Söder.

Das Fazit

Nach den beinahe einschläfernden Diskussionsrunden der vergangenen Woche, die sich - na klar - um dasselbe Thema, aber leider immer auch im Kreis drehten, kramte die Runde bei Illner am Donnerstag erstmals wieder etwas schärfere verbale Waffen hervor. Das lag an Christian Linder, der regelmäßig für Stimmung sorgt, aber auch am schwelenden (Fern-)Konflikt zwischen Söder und Laschet.

Und ganz am Ende einer launigen Sendung, die sogar neun Minuten länger dauerte als geplant, hatten Lindner und Yogeshwar noch einen kluge Idee: Sie forderten, Wissenschaftler aus ganz Deutschland und verschiedenen Spezialgebieten regelmäßig tagen und sich austauschen zu lassen. Söder tat das ab mit dem Argument, man könne ja nicht ernsthaft glauben, dass Wissenschaftler nicht ohnehin schon gut genug vernetzt seien. Aber einen Gedanken könnte man auf den Vorschlag bestimmt verwenden. Vielleicht macht das ja Armin Laschet.

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