Corona-TalkJunge Wissenschaftlerin überzeugt bei „Anne Will“

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Anne WIll 021120

Moderatorin Anne Will

Berlin – Am Montag gilt in Deutschland ein Teil-Lockdown: Restaurants, Theater und Kinos müssen schließen, maximal zehn Menschen aus zwei Haushalten dürfen sich treffen. „Vier harte Wochen – wie nachhaltig wirken die Anti-Corona-Maßnahmen?“, ist das Thema bei Anne Will, die sich an diesem Sonntagabend von ihrer angriffslustigen Seite zeigt.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) muss den Misserfolg seiner Eindämmungsmaßnahmen rechtfertigen. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) fragt sie, warum er die Eingriffe des Staates für rechtmäßig hält, während die bayerische Verfassungsrichterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine bessere rechtliche Absicherung ebendieser fordert.

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Unterschiedlicher Auffassung über den besten Umgang mit der Pandemie sind auch Physikerin Viola Priesemann, die den Ausbreitungsprozess von Krankheiten untersucht, und Charité-Epidemiologie Stefan Willich. Während sie sich für eine starke Reduktion der Infektionszahlen ausspricht, hält der Mediziner höhere Zahlen für vertretbar. Jazzmusiker Till Brönner ergreift schließlich Wort für die Veranstaltungsbranche, die de facto seit dem Frühjahr im Lockdown verharrt.

Ministerpräsident Söder muss hohe Corona-Zahlen rechtfertigen

„Sind die Einschränkungen alternativlos?“, fragt Moderatorin Anne Will gleich zu Beginn der Sendung Markus Söder (CSU). Der bayerische Ministerpräsident, aus Nürnberg zugeschaltet, antwortet: „Die Alternative ist die Durchseuchung“, und schiebt gleich hinterher, dass der enorme Anstieg der Infektionszahlen auch die Krankenhäuser „volllaufen“ lassen würde. Keine Option also für Söder, dessen Bundesland trotz strikter Regeln in der Corona-Zeit derzeit mit die höchsten Fallzahlen in Deutschland zu verzeichnen hat.

Ähnlich sieht das Epidemiologe Stefan Willich. „Der Zeitpunkt ist genau richtig“, sagt der Mediziner. Dennoch hält er nicht alle Regeln für sinnvoll, befürwortet an die Infektionszahlen angepasste regionale Konzepte. Ein erster Disput entsteht, als Söder einhakt und auf die mangelnde Rückverfolgbarkeit der Infektionen hinweist. „Schule, Kita und Arbeitsplatz sollen geöffnet bleiben“, sagt der Ministerpräsident. Folglich müssten Kontakte an anderer Stelle reduziert werden.

Leutheusser-Schnarrenberger fordert rechtliche Absicherung

Ob diese Einschränkungen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, wie es im Juristendeutsch heißt, fragt Will die bayerische Verfassungsrichterin und ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie fordert: „Die Eingriffe müssen auf eine rechtlich tragfähige Grundlage gestellt werden.“

Für Helge Braun (CDU), Chef des Bundeskanzleramtes und qua Ausbildung selbst Mediziner, nicht die oberste Priorität: „Wir müssen aufpassen, dass wir in dieser schwierigen Lage keine Paralleldebatte führen“, sagt der Minister. Die Maßnahmen seien im Angesicht der Bedrohung für das Gesundheitswesen und die Ökonomie richtig, wie er besonnen erklärt.

Wissenschaftlerin fordert „Reset“ durch Lockdown

Helfen könne nur ein „Reset“, wie es Viola Priesemann nennt, die an diesem Abend insgesamt zu überzeugen weiß. Die Physikerin erforscht Ausbreitungsprozesse von Krankheiten und betont nachdrücklich, wie wichtig es sei, die Kontrolle durch Nachverfolgung der Kontakte und genügend Tests wiederherzustellen. Das könne durch den Lockdown gelingen.

Ob die jetzt beschlossenen Maßnahmen ausreichen, hakt Will nach. Die Wissenschaftlerin weicht aus, sagt: „Ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird.“ Dazu müssten die Ansteckungen pro Infiziertem von derzeit 1,4 etwa halbiert werden.

Schwindelerregend hohe Zahlen mit mehr als 300 Infektionen pro 100.000 Einwohner verzeichnet derzeit das Berchtesgadener Land in Bayern. Anne Will: „Hilft es, bundesweit auf das zu setzen, was dort nicht funktioniert?“, fragt sie Markus Söder. Der verweist darauf, dass sich die Anzahl der Infektionen dort noch stabilisieren müsste, und springt lieber schnell zur Bundespolitik: „Die Zahlen werden noch steigen, weil an diesen Wochenenden noch gefeiert wurde“, ist er überzeugt.

Willich befürchtet, dass wir noch ein bis zwei Jahre mit dem Virus leben müssen. Dennoch sei die große Mehrheit der Bevölkerung von der Krankheit nicht ernsthaft tangiert. Mit einem technisch und personell besser aufgestellten Gesundheitsdienst könnten wir durch die Krise kommen, glaubt er. Widerspruch von Kanzleramtsminister Helge Braun und Wissenschaftskollegin Viola Priesemann ist da programmiert.

Wird die Veranstaltungsbranche geopfert?

Während sich Markus Söder aus der Schalte verabschiedet, kommt der Jazzmusiker Till Brönner in die Runde. „Meine Branche hat das Problem seit Februar“, sagt er. 1,5 Millionen Menschen plus Familien seien von der Branche abhängig und nun zu großen Teilen fast das ganze Jahr im Lockdown, egal ob Soundtechniker, Bühnenbauer, Ticketverkäufer, Maskenbildner oder Caterer.

Anne Will fragt an Helge Braun gerichtet: „Opfern Sie diese Branche für die Bekämpfung der Pandemie?“ „Kultur ist das Herzstück der Gesellschaft“, antwortet dieser. Dennoch sei notwendig, was jetzt passiere. „Wir reden über eine Naturkatastrophe“, sagt er weiter. Gefragt sei wieder der Geist aus dem März, jeder müsse mitmachen. „Dann kommen wir auch wirtschaftlich besser durch die Krise“, schließt Braun versöhnlich.

Sein Appell wirkt zumindest insoweit, als dass alle Beteiligten während des Abspanns artig auf ihren Sitzplätzen bleiben. Vor einer Woche hatten sich die Gäste noch einen Fauxpas geleistet, waren unmittelbar nach der Abmoderation aufgestanden, um die Diskussion aus nächster Nähe und ohne Masken fortzusetzen. Immerhin ein Anfang.

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