Offener BriefEU-Parlamentarier fordern mehr Schutz für russische Kriegsdienstverweigerer

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ARCHIV - 10.06.2019, Belgien, Brüssel: Flaggen der Europäischen Union wehen im Wind vor dem Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission.

Mitglieder des Europarlaments haben einen offenen Brief an die EU-Führungsspitze geschrieben, in dem sie mehr Engagement zum Schutz und zur Gewährung von Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer durch die EU-Mitgliedstaaten fordern.

In dem Schreiben an die EU-Führungsspitze mahnen die Parlamentarier eine einheitliche Prüfung von Asylverfahren an.

Mitglieder des Europarlaments haben auf Initiative des deutschen Abgeordneten und Vorsitzenden des Unterausschusses für Menschenrechte Udo Bullmann (SPD) fraktionsübergreifend einen offenen Brief an die EU-Führungsspitze geschrieben, in dem sie mehr Engagement zum Schutz und zur Gewährung von Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer durch die EU-Mitgliedstaaten fordern.

13 illegale Gefangenenlager in Luhansk und Donezk

In dem Schreiben, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, machen die Unterzeichner darauf aufmerksam, dass das russische Militärkommando Berichten zufolge 13 illegale Gefangenenlager in den besetzen ukrainischen Gebieten Luhansk und Donezk errichtet hat, in denen über 600 Russen inhaftiert sind, die sich geweigert haben, am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine teilzunehmen.

Die Autoren des Schreibens, das an EU-Ratspräsident Charles Michel, EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen und den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gerichtet ist, vertreten die Auffassung, „dass es die Pflicht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ist, russische Kriegsdienstverweigerer zu schützen und ihnen Asyl zu gewähren“, wie es in dem Brief heißt.

In allen EU-Staaten wurde Vergabe von Visa an Russen verschärft

EU-Ratspräsident Michel hatte schon Anfang April 2022 und später erneut russische Soldaten zum Desertieren aufgerufen und ihnen Asyl in Aussicht gestellt. „Wenn ihr euch nicht dazu hergeben wollt, eure ukrainischen Brüder und Schwestern zu töten, wenn ihr keine Verbrecher sein wollt, werft eure Waffen weg, hört auf zu kämpfen, verlasst das Schlachtfeld“, hatte Michel in Straßburg an die Russen gewandt gesagt.

Doch geschehen ist so gut wie nichts und in Folge des Krieges haben viele EU-Mitgliedsländer, wie etwa Estland, Lettland und Litauen ihre Grenzen zu Russland komplett geschlossen und nehmen auch keine russischen Flüchtlinge auf. Zudem wurde in allen EU-Staaten die Vergabe von Visa an Russen verschärft, auch aus Sorge vor dem Einsickern russischer Agenten.

2485 russische Staatsangehörige haben Antrag auf Asyl in Deutschland gestellt

In Deutschland hatten bis Ende April dieses Jahres nach Angaben des Bundesinnenministeriums 2485 männliche russische Staatsangehörige im wehrfähigen Alter von 18 bis 45 Jahren einen Antrag auf Asyl gestellt. 814 Fälle wurden entschieden, davon 55 positiv und 88 negativ.

In den verbleibenden 671 Fällen kam es den Angaben zufolge zu einer „formellen Verfahrenserledigung“, entweder durch „Entscheidungen im Dublin-Verfahren“ oder durch die „Rücknahme des Asylantrags“. Laut Dublin-Verordnung ist immer nur ein EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig, damit nicht gleichzeitig oder nacheinander in mehreren EU-Staaten Asylanträge gestellt werden können. Grundsätzlich hat derjenige Mitgliedsstaat den Asylantrag zu prüfen, in den der Asylbewerber zuerst nach der Flucht aus seinem Heimatland eingereist ist.

Der Verein für Kriegsdienstverweigerer Connection e.V. in Offenbach, der Verweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine unterstützt, kritisiert seit Monaten die zögerlicher Haltung deutscher Behörden Geflüchtete unter Schutzstatus zu stellen.

Anstieg der Asyl-Anträge aus Russland befürchtet

Connection-Geschäftsführer Rudi Friedrich sagte dem RND, jeder und jede habe das Recht, jederzeit den Kriegsdienst zu verweigern. Die Verweigerer würden auch zeigen, dass es Widerstand gegen den Krieg gibt. „Das muss unterstützt werden“, betonte Friedrich und setze fort: „Deutsche Behörden lehnen die Betroffenen hingegen nach wie vor ab. Das ist ein untragbarer Zustand.“

Die die EU-Parlamentarier bringen in ihrem offenen Brief die Sorge zum Ausdruck, dass es möglicherweise zu weiteren Mobilisierungen in Russland kommen wird, was zu einem Anstieg „der Anträge von Russen auf Asyl und Flüchtlingsstatus in den EU-Mitgliedsländern führen könnte“. Die Unterzeichner verweisen darauf, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zwar seit 1993 in der Verfassung der Russischen Föderation verankert ist, die Militärbehörden jedoch den Wehrpflichtigen dieses Recht in der Praxis verweigern.

Russland will Höchstalter für Einzug von Wehrpflichtigen anheben

Russland hat stattdessen angekündigt, das Höchstalter für den Einzug von Wehrpflichtigen um drei Jahre anzuheben. Künftig sollten Männer bis 30 Jahre in die Armee eingezogen werden können, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma, Andrej Kartapolow, am Freitag in Moskau. Bislang liegt das Höchstalter bei 27 Jahren.

Die EU-Parlamentarier appellieren am Ende ihres Briefes an die EU-Führungsspitze, weitere Maßnahmen zu ergreifen für eine „gemeinsame Visapolitik“ in den EU-Mitgliedsstaaten, für eine „Anpassung der Richtlinien zur Erteilung von Einreisevisa“ und zur Prüfung von Asylverfahren für russische Staatsbürger, die aus ihrem Land fliehen, weil sie sich weigern, in den russischen Streitkräften zu dienen.

Zu den Erstunterzeichnern gehören neben Udo Bullmann der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Dietmar Köster, die Friedens- und Konfliktforscherin Hannah Neumann, die für die Grünen im EU-Parlament sitzt, sowie Charles Goerens von der liberalen Demokratischen Partei Luxemburgs, die portugiesische Außenpolitikerin Isabel Santos von der sozialdemokratischen PS und Miguel Urbán Crespo, ein spanischer Sozialaktivist von der linken Sammlungsbewegung Podemos. (rnd)

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