GutachtenAusbildung ukrainischer Soldaten ist Ende der „Nichtkriegsführung“

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Ukrainischer Soldat

Berlin – Olaf Scholz sorgt sich, dass Deutschland in den Ukraine-Krieg hineinzogen werden könnte. Und die Ausbildung ukrainischer Soldaten an westlichen Waffen, die ins Kampfgebiet geliefert werden, kann völkerrechtlich tatsächlich eine Kriegsbeteiligung durch den Westen darstellen. Das geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hervor, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt.

Demnach besteht völkerrechtlich Konsens darüber, dass die westliche Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen nicht als Kriegseintritt gewertet wird - solange sich der Westen nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Das gelte „unabhängig vom Umfang der Lieferungen“ und auch unabhängig von der Frage, ob es sich um „offensive“ oder „defensive“ Waffen handelt.

Allerdings heißt es in dem Rechtsgutachten weiter: „Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“

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Gutachten im März erstellt

Das 12-seitige Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst, der die Abgeordneten neutral berät, trägt den Titel „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“. Es wurde bereits im März erstellt - also vor dem Beschluss von Bundesregierung und Bundestag, deutsche Gepard-Panzer auch direkt an die Ukraine zu liefern.

Die Charta der Vereinten Nationen, an die sich auch Russland gebunden fühlt, erlaubt es jedem Staat, einen „angegriffenen Staat zu unterstützen, ohne dabei selbst Konfliktpartei werden zu müssen“: „Dabei nimmt der unterstützende Staat eine nicht-neutrale, gleichwohl aber am Konflikt unbeteiligte Rolle ein“, so das Gutachten: Es handele sich um die Rolle der sogenannten „Nichtkriegsführung“, die die „traditionelle Neutralität“ inzwischen völkerrechtlich ersetzt habe.

Brisant wird das Gutachten aber dadurch, dass Deutschland inzwischen nicht nur direkte Waffenlieferungen angekündigt hat, sondern auch eine Beteiligung an der Ausbildung ukrainischer Truppen an westlichen Waffen - offenbar sogar auf deutschem Boden.

So erklärte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag voriger Woche auf dem US-Militärstützpunkt bei einer Militärkonferenz im rheinland-pfälzischen Ramstein: „Wir arbeiten gemeinsam mit unseren amerikanischen Freunden bei der Ausbildung von ukrainischen Truppen an Artilleriesystemen auf deutschen Boden.“

Ausbildung an Panzerhaubitzen

Zudem solle die Bundewehr gemeinsam mit den Niederlanden ukrainische Soldaten an Panzerhaubitzen ausgebildet und Munition für die Ukraine bereitgestellt werden, so Lambrecht. Die Bereitschaft dazu findet sich auch im gemeinsamen Beschluss der Bundestagsfraktionen von Ampel-Koalition und CDU/CSU zur Unterstützung der Ukraine, der vorige Woche verabschiedet wurde.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, hatte am Freitag sogar erklärt, dass das US-Militär die ukrainischen Truppen bereits an wichtigen Waffensystemen ausbildet. Das Training finde auf US-Militär-Stützpunkten in Deutschland in Absprache mit der Bundesregierung statt, die bei der Koordinierung und Organisation unterstütze. Aktuell würden zwei Gruppen von rund 50 ukrainischen Streitkräften an US-amerikanischen Artilleriegeschützen geschult. Die sollen dann wiederum - zurück in der Ukraine - die eigenen Truppen ausbilden.

Linke: Ampel und Union haben Deutschland zur aktiven Kriegspartei gemacht

Aus Sicht der Linksfraktion im Bundestag riskiert die Bundesrepublik dadurch, direkt in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden. „Die Ampel-Koalition und die Union haben Deutschland mit ihrem Bundestagsbeschluss, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern und darüber hinaus auch ukrainische Soldaten in Deutschland oder auf NATO-Gebiet auszubilden, zur aktiven Kriegspartei gemacht“, sagte Zaklin Nastic, Obfrau im Verteidigungsausschuss und menschenrechtspolitische Sprecherin Linken, dem RND unter Verweis auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes.

Wenn die Bundesregierung nun doch direkte Waffenlieferungen und Ausbildungen durch die Bundeswehr plane, breche sie erneut ihr Wort, kritisierte Nastic. „Sie setzt zudem ganz Europa einer völlig unkontrollierbaren Gefahr aus, die im schlimmsten Fall in einem Atomkrieg enden kann, wie auch Kanzler Scholz noch vor wenigen Tagen gewarnt hat.“

„Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern”

Scholz hatte dem „Spiegel“ in der vorvergangenen Woche mit Bezug auf mögliche deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine gesagt, man müsse „eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, vermeiden“, so Scholz. „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt.“

Der Kanzler hatte sich damit unter anderem auf Rufe nach einer Flugverbotszone bezogen, deren Einhaltung dann auch Nato-Staaten überprüfen sollten. Tatsächlich herrscht Konsens darüber, dass daraus folgende Kampfhandlungen völkerrechtlich als westlicher Kriegseintritt gelten würden. Das bestätigt auch der Wissenschaftliche Dienst.

Außenministerin Annalena Baerbock hatte bislang stets betont, die „rote Linie“ für die Nichtkriegsführung seien westliche Truppen im Kampfgebiet. Das Gutachten führt aus, dass außerdem auch Kampfhandlungen von Nato-Gebiet aus - etwa Starts von Kampfjets mit ukrainischen Piloten - dazu zählen würden.

„Mit Blick auf was passieren könnte: Wir wissen es nicht”

Baerbock selbst hatte in der Regierungsbefragung am vorigen Mittwoch dem Fraktionsvize der CDU/CSU, Johann Wadephul, auf dessen Frage, was Russland aus Sicht der Bundesregierung wohl als Kriegsbeteiligung werte, noch geantwortet: „Mit Blick auf was passieren könnte: Wir wissen es nicht.“

Anders sieht es der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, der in der „Bild am Sonntag“ die Befürchtung, durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei zu werden, als „völligen Quatsch“ bezeichnete: „Für Putin ist Deutschland längst Kriegspartei“, so Melnyk. „Wer eine Ausweitung seines Kriegs verhindern möchte, muss uns jetzt helfen, Putin in die Schranken zu weisen."

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