Verbreitung in KlassenchatsKinderpornografie: Mehr als 40 Prozent der Tatverdächtigen sind minderjährig

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Eine Kriminaloberkommissarin beim Polizeipräsidium Mittelhessen sitzt in einem Büro vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch. (Symbolbild)

Eine Kriminaloberkommissarin beim Polizeipräsidium Mittelhessen sitzt in einem Büro vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch. (Symbolbild)

Das Bundeskriminalamt hat eine neue Auswertung zu Fällen Kindesmissbrauchs und der Verbreitung von Darstellungen im Internet vorgestellt.

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland durchschnittlich mindestens 48 Kinder am Tag Opfer sexueller Gewalt geworden. Das geht aus einer Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor, die der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, gemeinsam mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Die Zahl der Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs ist demnach im Vergleich zum Vorjahr etwa gleich geblieben. Allerdings deckt die Kriminalstatistik nur jene Fälle ab, die der Polizei bekannt geworden sind.

Wie groß das Dunkelfeld der Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen ist, wissen die Ermittlungsbehörden nicht – es wird jedoch von einer deutlich größeren Zahl ausgegangen. Zudem handelt es sich um eine Ausgangsstatistik, das bedeutet: Aufgenommen werden in die Statistik für das Jahr 2022 lediglich Fälle, die die Polizei in diesem Jahr abschließend bearbeitet hat. Fälle, in denen sich die Ermittlungen bis ins nächste Jahr ziehen, tauchen erst später in der Statistik auf. So werde etwa ein Viertel der Fälle aus 2022 erst in der Statistik über das Jahr 2023 auftauchen, erklärte BKA-Chef Münch.

Einen erneuten Anstieg gab es im vergangenen Jahr bei der Zahl der Fälle von Missbrauchsdarstellungen und sogenannter „Kinder- und Jugendpornografie“. Die „Kinderpornografie“-Fälle stiegen demnach um etwa 7 Prozent auf rund 42.000 an. In den vergangenen fünf Jahren hätten sich die Zahlen sogar verfünffacht.

Bis Ende des Jahrzehnts werden eine Million Hinweise pro Jahr erwartet

Ursächlich dafür seien die stark steigenden Hinweiszahlen der halbstaatlichen US-amerikanischen Organisation NCMEC (Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder). Das Zentrum gibt vor allem Hinweise von Onlineplattformen über verschicktes Missbrauchsmaterial an internationale Strafverfolgungsbehörden weiter. Im Jahr 2022 erhielt das BKA 136.000 Hinweise von der Organisation. „Davon waren etwa 90.000 strafrechtlich relevant nach deutschem Recht. Rund 68.000 Vorgänge konnten vom BKA an die Länder zur weiteren Strafverfolgung übermittelt werden“, sagte Holger Münch.

Weil viele dieser Hinweise noch nicht abschließend bearbeitet seien, werde es in der Statistik für das Jahr 2023 einen erneuten und voraussichtlich noch stärkeren Anstieg der Zahlen geben. Aufgrund veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen rechne das BKA bis zum Ende des Jahrzehnts mit einer Million Hinweise auf die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen im Jahr.

In vielen Fällen könnten in Deutschland nach wie vor keine Täter ermittelt werden, weil es keine verpflichtende Speicherung von IP-Adressen gebe. Die Internetanbieter speichern die Zuordnung von IP-Adressen zu einzelnen Nutzerinnen und Nutzern in der Regel nur für bis zu sieben Tage. Münch bekräftigte deshalb seine Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen.

Viele minderjährige Tatverdächtige in der Statistik

Bei einem großen Teil der Fälle von Verbreitung von Kinderpornografie, in denen deutsche Polizeibehörden ermitteln, geht es nicht um erwachsene Sexualstraftäter. Mehr als 40 Prozent der Tatverdächtigen in der Kriminalstatistik sind selbst Kinder und Jugendliche. Es handele sich bei den Taten etwa um Bilder oder Videos, die in Klassenchats herumgeschickt werden, sagte die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus – „oft, ohne zu verstehen, dass es sich um Darstellungen realer, sich tatsächlich ereignender Gewalt handelt“.

Die große Koalition hatte 2021 eine Strafverschärfung beschlossen. Dadurch wurde die Verbreitung sogenannter Kinderpornografie vom Vergehen zum Verbrechen hochgestuft. Auch in Fällen, wo es um unbedachtes Weiterleiten von Fotos in Klassenchats geht, oder in denen Eltern Fotos von den Smartphones ihrer Kinder zur Prüfung an einen Lehrer weiterleiten, können Strafverfahren deshalb nicht mehr einfach eingestellt werden.

Das sorge auch bei den Ermittlungsbehörden für eine zusätzliche Belastung, erklärte BKA-Chef Münch. Kerstin Claus sprach sich für eine rasche Korrektur der Strafverschärfung aus. Das fordern auch die Justizministerinnen und Justizminister der Länder. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will den „Kinderpornografie-Paragrafen“ ebenfalls reformieren. Bislang liegt jedoch noch kein konkreter Vorschlag des Ministeriums vor.

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