Deutschlands Chefdiplomatin im PorträtWie Annalena Baerbock das Außenministerium verändert

Lesezeit 6 Minuten
Annalena Baerbock läuft in Richtung der Kamera

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, vor ihrer Rede im UN-Sicherheitsrat.

Fachwissen, Forschheit, Emotionen – das sind die Zutaten für Baerbocks Politik. Eines ihrer Herzensanliegen sind die Leitlinien zur feministischen Außenpolitik.

Das Kanzleramt im Rücken, das ist doch mal ein schöner Hintergrund. Am Mittwoch wird Annalena Baerbock hier stehen, gemeinsam mit Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze.

Die Außenministerin wird den Beschluss eines ihrer Herzensanliegen verkünden, der Leitlinien feministischer Außenpolitik. Es geht um mehr Frauenförderung im Auswärtigen Amt, eine andere Personalpolitik also. Und darum, den Umgang mit Frauen generell zum Thema zu machen, in Kriegen, Friedensverhandlungen, bei Flucht und auch bei Abrüstung. Es geht um Macht, Einfluss und Sichtbarkeit – um dadurch den Lauf der Welt zu verändern. Die Grünen haben das Vorhaben in den Koalitionsvertrag geschrieben, Baerbock hat es „überfällig“ genannt. Jetzt also ist es so weit, vor dem Kanzleramt.

Man kann die Ortswahl pragmatisch nennen: Vorher tagt das Kabinett, man hat es also nicht weit. Es lässt sich als übliche Übung verkaufen – auch andere Minister stellen sich mal vors Tor des Kanzleramts, wenn oben etwas beschlossen wurde.

Alles zum Thema Annalena Baerbock

Die Macht der Bilder

Aber Baerbock und ihr Team lassen sich als sehr bewusste Regisseure der eigenen Bildsprache beobachten, ob bei einer Kaffeezeremonie in einer äthiopischen Rösterei oder eben in Berlin. Baerbock mit Kanzleramt, das sind Symbolbilder, die sich auch in anderem Kontext durchaus noch mal brauchen lassen.

Die nächste Bundestagswahl kommt bestimmt, und so wie die Umfragen aussehen, werden die Grünen wieder Kanzlerkandidat oder -kandidatin brauchen. Die Bilder vor der Zentrale der Macht sind ein sehr praktischer Vorrat. „Sie ist eine begnadete Verkäuferin“, konzediert ein hochrangiger SPD-Politiker.

Macht. Einfluss. Sichtbarkeit. Baerbock hat vorgemacht, wie sie sich das vorstellt. Sie war Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin, jetzt ist sie 42 Jahre alt und seit anderthalb Jahren Deutschlands Chefdiplomatin. Robert Habeck, ihr einstiger Co-Parteichef und enttäuschter Nichtkanzlerkandidat, wurde Vizekanzler und Wirtschaftsminister.

Baerbock schnappte sich die Zuständigkeit für Klimaaußenpolitik und kann also auch beim zentralen Grünen-Thema ganz offiziell mitreden. Der Krieg gegen die Ukraine hätte bedeuten können, dass der Kanzler die tägliche Außenpolitik dominiert. Aber der hat ihr die Bühne überlassen. Und Habeck muss sich um das wichtige, aber sehr technische Klein-Klein der Energiepreise kümmern.

Konfrontation statt Beschwichtigung

Baerbock nutzt nicht nur ihren Spielraum, sie versucht, ihn zu vergrößern. Sie setzt auf Präsenz, auf Emotionen, auf eine bildhafte Sprache. Und die inhaltliche Fokussierung der Parteichefin ist ihr im neuen Amt geblieben: Baerbock hat eine Agenda. Und anders als viele ihrer Vorgänger wie Heiko Maas oder Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) geht sie eher auf Konfrontation statt auf Beschwichtigung.

Dieses Nichtzurückweichen erlebt Kanzler Olaf Scholz: Baerbock drang früh und deutlich auf Waffenlieferungen an die Ukraine. Der Zeitfaktor sei wichtig, verkündete sie, während der Kanzler bremste.

Mit dem Kanzleramt streitet sich ihr Haus seit Monaten über die Nationale Sicherheitsstrategie. Es geht unter anderem um die Zuständigkeit für einen neuen Nationalen Sicherheitsrat – auch das ist eine Machtfrage. Beim Umgang mit China setzt Baerbock auf schärfere Töne als der Kanzler.

„Es bringt nichts, Platitüden auszutauschen“

Das Nichtzurückweichen erleben auch Baerbocks Amtskollegen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow gehörte dazu, den Baerbock im Januar 2022 in Moskau traf. Der Überfall auf die Ukraine hatte noch nicht stattgefunden, aber Russland hatte Truppen an der Grenze zusammengezogen. Baerbock war ein paar Monate im Amt, sie verzichtete auf freundliches Antrittsbesuchslächeln und beschwichtigende Worte. Es sei schwer, die Truppenbewegung „nicht als Drohung zu begreifen“, kritisierte sie. Nichts war da von vorsichtigem Herantasten.

Am Runden Tisch des UN-Sicherheitsrats in New York, wo zum Jahrestag des Überfalls das Thema erneut auf die Tagesordnung kam, ergriff Baerbock das Wort: Für Russland sei „das Bombardieren von Schulen, das Verschleppen von Kindern und das Herunterschießen von Menschen von ihren Fahrrädern ein Teil von Außenpolitik“, sagte sie. Und dass es nur logisch wäre, der Ukraine deswegen bei der Selbstverteidigung beizustehen.

Der russische Vertreter hatte da seinen Platz bereits verlassen. Man werde ihn kaum überzeugen können, sagte Baerbock. „Er hört nicht einmal zu.“ Es war Tatsachenfeststellung und Transparenzhinweis gleichzeitig. Er illustrierte die eigene Ohnmacht, aber gleichzeitig auch die fehlende Diskussionsbereitschaft Russlands.

Etwas diplomatischer sein? „Es bringt nichts, Platitüden auszutauschen“, verkündete Baerbock beim Antrittsbesuch bei ihrem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu, das wenig harmonisch verlief.

Kontroversen stärken Baerbock

Im Bundestag war dann CDU-Chef Friedrich Merz an der Reihe, als er die feministische Außenpolitik als Befindlichkeit abtat. „Mir bricht es das Herz“, entgegnete Baerbock. Merz zog eine ironische Grimasse, die nicht lange hielt. Sie denke etwa an Vergewaltigungen, die lange nicht als Kriegswaffe anerkannt gewesen seien, sagte Baerbock.

Feministische Außenpolitik sei also „kein Gedöns“ und vor allem „auf der Höhe dieser Zeit“. Innerhalb von Sekunden war der CDU-Chef bei seinem Image als Mann von gestern angelangt, das er so gerne abstreifen würde. Allzu oft arbeitet sich die CDU an Baerbock lieber nicht ab.

Denn die Kontroversen stärken Baerbock. Und auch wenn der Eindruck entsteht, sie biete dem Kanzler die Stirn, kann das nicht schaden. Jedenfalls solange sie nicht allzu oft verliert.

Sie macht das auf ihre Weise: Wenige Tage bevor Scholz die Entscheidung zur Panzerlieferung die Ukraine verkündet, kündigt Baerbock in Paris an, Deutschland werde den Leopard schon bereitstellen. Die SPD ist sauer, spricht intern von Profilierungssucht. Auch das Kanzleramt ist nicht glücklich. Baerbock gibt sich unbekümmert. Mit Narrenkappe erscheint sie auf einer Karnevalsveranstaltung in Aachen und verkündet, sie hätte ihre Verkleidung als Leopard doch noch mal verändert: „Ich hatte doch etwas Sorgen, dass mir das Kanzleramt wochenlang keine Reisegenehmigung erteilt.“

Baerbock setzt auf Emotionen

Fachwissen, ein bisschen Flapsigkeit, eine gehörige Portion Forschheit also. Und dazu kommen die Emotionen. In Griechenland besucht Baerbock Flüchtlinge in ihrem Lager, in der Türkei Erdbebenopfer in einer Zeltstadt.

Meist sind es Männer, die die Ministerin durch die Einrichtungen führen. Meist sind es Frauen und Kinder, die die Ministerin zu einem gesonderten Gespräch trifft. Es ist ein bewusstes Signal. Sie setze an „historisch gewachsenen Macht­strukturen an, um sie aufzubrechen“, schreibt Baerbock im Vorwort ihrer feministischen Leitlinien.

Die Besuche finden Eingang in die Reden, die häufig mit Fallbeispielen beginnen. Mit der vom Regime getöteten 22-jährigen Jina aus dem Iran, mit der 15-jährigen Marzia, die in Afghanistan nicht mehr in die Schule gehen kann.

In der UN-Generalversammlung zum Kriegsjahrestag vergangene Woche steht ein Zeitmaß am Anfang. „45 Sekunden“ habe man in der Ukraine Zeit, „um die eigene Großmutter in Sicherheit zu bringen“ oder um es selbst in einen Keller zu schaffen, wenn der Luftalarm ertöne vor dem Einschlag russischer Raketen. Diese Unmittelbarkeit sichert Aufmerksamkeit, schafft Betroffenheit. Außenpolitik wird so weniger abstrakt. Die Bedrohung wird plastisch, das Leid bekommt Gesichter.

„Wer keine Fehler macht, lebt nicht“

Ab und zu allerdings geht es etwas zu weit mit der Forschheit und der Direktheit. Bei einer RND-Veranstaltung im Sommer warnt sie vor „Volksaufständen“ bei steigenden Energiepreisen, und korrigiert das auf Nachfrage schnell als „überspitzt“. „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“, sagt sie vor ein paar Wochen im Europarat in Straßburg. Sie spricht Englisch, es ist eine schnelle Antwort, ein offenkundiger Lapsus, das Auswärtige Amt korrigiert schnell.

Aber es ist geschehen: Die Außenministerin hat Deutschland und die EU vorübergehend zur Kriegspartei erklärt. Sie zieht den Zorn auf sich, ihre Umfragewerte sind weiter gut, sinken aber erstmals wieder unter die von Habeck. Auf der Friedensdemonstration von Sahra Wagenknecht und der als Feministin bekannt gewordenen Alice Schwarzer gibt es „Baerbock weg“-Rufe.

Baerbock schiebt das weg: „Wer keine Fehler macht, lebt nicht“, sagt sie in einem „Tagesspiegel“-Interview. Dass Nichthandeln auch ein Fehler sein könne, hat sie als Begründung der Ukraine-Hilfe oft betont.

Der Kanzler hat wissen lassen, Baerbock sei ihm keineswegs zu forsch. Und ihren Karnevalsauftritt habe er lustig gefunden.(RND)

KStA abonnieren