Rechte PropagandaWarum gerade bindungsorientierte Eltern empfänglich dafür sind

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Eltern wollen Kinder heute anders erziehen. Das ist gut so, sagt die Journalistin und Autorin Nora Imlau, aber auch gefährlich: Gerade bei Eltern, die auf Bindung und Beziehung setzen, seien rechte Ideologien besonders anschlussfähig. Wie sich Eltern vor Vereinnahmung schützen können, erklärt Imlau im RND-Interview.

Frau Imlau, wer bindungs­orientiert erzieht, setzt auf Beziehung zum Kind statt auf Machtgefälle. Warum sind ausgerechnet solche Eltern empfänglich für rechte Propaganda?

Nora Imlau: Obwohl bindungsorientiert zu erziehen inzwischen ein Massen­phänomen ist, haben viele Eltern das Gefühl, vom Mainstream nicht verstanden zu werden. Dann ist es attraktiv, wenn eine Gruppe sagt: Wir finden euren Ansatz toll und würden das auch politisch und gesellschaftlich viel stärker unterstützen.

Wieso ist das ein Problem?

Nehmen wir das Thema Lernfreiheit. Wenn rechte Gruppen beispielsweise behaupten: Wir sind für die Freiheit, Kinder selbst zu unterrichten, dann verbirgt sich dahinter nicht der Gedanke, dass sich Kinder frei und demokratisch bilden sollen. Stattdessen soll der Entzug aus den staatlichen Strukturen Kinder von der Demokratie und dem Staat entfremden.

Lässt sich das oft so einfach erkennen?

Nein. Die neuen Rechten kommen nicht mehr mit Springer­stiefeln daher. Sie sprechen eher soft über Frieden und teilen Botschaften, bei denen erst einmal niemand widersprechen würde, etwa: „Wir müssen nett zu unseren Kindern sein“ oder „Mütter verdienen Wertschätzung“. Darüber lassen sich dann subtil politische und gesellschaftliche Positionen platzieren.

Wenn der Fokus beispielsweise auf die Eltern-Kind-Beziehung gelegt wird, kann man leicht einflechten, dass es für die Bindung natürlich optimal wäre, wenn das Kind ausschließlich von der Mutter betreut würde. Und wäre das nicht eine schöne Welt, wenn alle Mütter zu Hause bleiben und ganz viele Kinder kriegen könnten? Da wird zum Beispiel der eigentlich feministische Gedanke, Care-Arbeit zu bezahlen, durch die Idee pervertiert, es sei sowieso die einzig natürliche Berufung der Frau, zu Hause zu bleiben.

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Nora Imlau ist Journalistin und Autorin. Sie hat vier Kinder und lebt in Baden-Württemberg.

Aber gerade beim Thema Bindung denkt man doch an Fürsorge und Zugewandtheit – und nicht an Nazi-Methoden.

Die neuen Rechten kommen zwar nicht daher wie 1940. Aber auch sie wollen heute noch starke Führungs­persönlichkeiten für einen großen Systemwechsel hervorbringen. Und die entwicklungs­psychologische Forschung ist an ihnen nicht vorbeigegangen. Darum wissen sie, dass Kinder besonders stark, selbstbewusst und durchsetzungs­fähig werden, wenn sie stärkende Eltern im Rücken haben.

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Und wie erkenne ich, dass es sich um rechtes Gedankengut handelt?

Es gibt zum Beispiel Buzzwords, bei denen man aufhorchen sollte. Dazu gehören Schlagwörter wie „natürliche Ordnung“, „zurück zu den Wurzeln“ oder „Gender-Gaga“ oder generell die Abwertung von LGBTQ-Themen durch Slogans wie „Mädchen sollen noch Mädchen sein“ und „Jungs sollen Jungs sein dürfen“. Auf Instagram findet man häufig auch Hashtags wie „Mütter der neuen Zeit“ oder „Eltern der neuen Zeit“.

Und was soll das sein?

Das wird gar nicht genau benannt. Aber der Wunsch nach einer neuen Gesellschafts­ordnung ist bei vielen Eltern mit kleinen Kindern anknüpfungs­fähig, weil sie sich von der Politik vergessen fühlen. Viele Eltern stellen ähnliche Forderungen, wie etwa mehr Wertschätzung für mütterliche Care-Arbeit.

Wie wird das instrumentalisiert?

Ein Beispiel: In einem Forum hab ich selbst undercover verfolgt, wie sich selbst ernannte nationalsozialistische Eltern darüber austauschten, Instagram-Communitys zu infiltrieren, um der NPD oder AfD bei der nächsten Wahl mehr Stimmen zu bescheren. Sie wollten es ausnutzen, dass einige Eltern ihre Kinder lieber zu Hause betreuen, um dann sagen zu können: Die Partei, die sich am meisten dafür einsetzen würde, wäre die AfD.

Ein Elternteil ist doch aber nicht gleich AfD-Sympathisant, nur weil es das Kind nicht unbedingt in die Kita geben möchte.

Nein, natürlich nicht. Und das ist eben das Schwierige. Es gibt ganz viele Positionen, die für sich betrachtet nicht politisch rechts sind. Auch ich habe vier blonde Kinder, die sind alle zu Hause geboren und ewig gestillt worden. Das wären durchaus Punkte, wo wir Applaus von rechts kriegen könnten. Aber: Wir leben in unserer Familie demokratische Werte und versuchen, unsere Kinder zu antirassistischen, weltoffenen, und LGBTQ-freundlichen Menschen zu erziehen. Das ist der beste Schutz vor Vereinnahmung.

Verdächtig wird es immer dann, wenn die eigene Vorstellung vom Leben zur einzig richtigen erklärt wird. Und wenn Menschen alles abwerten, was davon ausschert, und deshalb etwa Ausländer, Schwule oder berufstätige Mütter als problematisch und unnatürlich bezeichnen, dann sind wir im Bereich des Rechtspopulismus.

Kann man das Phänomen des Rechts­populismus auf bestimmte Gruppen, Kanäle oder Regionen eingrenzen?

Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass da eine Zelle radikaler Neonazis sitzt, die die Elternbubble auf Instagram infiltriert. Es ist eher ein gesamt­gesellschaftliches Problem. Untersuchungen zeigen, dass in einigen alternativen Kreisen gewisse anti­demokratische, rassistische und auch antifeministische Tendenzen zu erkennen sind. Es ist also keine große organisierte Aktion, sondern es sind viele einzelne Leute, die miteinander eine große Macht entfalten.

Kann man von Eltern erwarten, das ganze politische Spektrum zu begreifen? Oder geht es in erster Linie darum, überhaupt ein Bewusstsein zu schaffen?

Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es wichtig, sich einzugestehen, wo meine eigenen Werte, Haltungen und Lebens­entscheidungen anschlussfähig sind nach rechtsaußen. Wenn ich mir dessen bewusst bin, kann ich mich dagegen auch gewissermaßen immunisieren.

Und worauf sollten Eltern achten, wenn sie online Rat suchen?

Inzwischen sind zum Beispiel Onlinekongresse sehr beliebt geworden und sie tragen oft so sehr salbungsvolle Namen wie „Kinder der Freiheit“. Auf diesen Kongressen treten neben seriösen Experten auch jede Menge Leute auf, die aus meiner Sicht diesen Expertenstatus nicht verdienen. Es gibt zum Beispiel selbst ernannte Fachleute, deren Aussagen zur Bindung und Bildung sich auf den ersten Blick gar nicht schlecht lesen. Gleichzeitig teilen sie dann aber auch Verschwörungs­theorien, etwa zu Chemtrails, oder geben rechten Zeitungen und Zeitschriften Interviews, in denen sie rassistische und antisemitische Heilslehre verbreiten.

Eltern müssen daher ihre Quellen doppelt und dreifach checken. Verschwörungs­theorien funktionieren ja auch deshalb immer so gut, weil sie einer ganz einfachen Logik folgen: A führt zu B. Damit erscheint eine komplizierte Welt so einfach. Und das finden wir auch im Elternbereich: Stillen ist gut, Flaschen sind böse. Natürliche Geburt ist gut, Kaiserschnitt ist böse. Wer so was sagt oder schreibt, öffnet rechts­populistischen Verschwörungstheorien Tür und Tor.

Sie haben als Autorin das Thema Bindungsorientierung in Deutschland groß gemacht. Wie fühlen Sie sich damit, dass diese Idee nun von rechts gekapert wird?

Heute denke ich: Ich hätte diese Anschluss­fähigkeit früher erkennen müssen. Gleichwohl bin ich nach wie vor der festen Überzeugung, dass es richtig und gut war, den öffentlichen Diskurs über die Bedürfnisse der Kinder anzustoßen. Ich glaube, dass es dadurch vielen Kindern und Eltern heute besser geht. Nur müssen wir diese Ideen vor Vereinnahmung schützen, das kam in der Anfangszeit zu kurz. Wir müssen uns immer klar machen: Elternschaft ist keine Privatsache, Elternschaft ist politisch. Wenn wir uns öffentlich zu Bindung und Beziehung bekennen, müssen wir diese Werte immer mit Menschenwürde, Demokratie oder Antirassismus verbinden, so dass von Anfang an kein unklarer Raum bleibt, in den die neuen Rechten einhaken könnten.

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