„Schlimmer als Butscha“Reporter berichten von Zerstörung und Toten in Borodjanka

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Borodjanka 2

Menschen stehen in den Trümmern eines Wohnblocks in Borodjanka.

Borodjanka – Die Bilder aus Butscha, wo nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche Leichen auf den Straßen gefunden wurden, hatten am Wochenende Entsetzen ausgelöst. Noch verheerender ist das Ausmaß der Zerstörung offenbar in der Stadt Borodjanka, 50 Kilometer nordwestlich von Kiew. Dort liegen zwar kein Leichen auf der Straße. Doch die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft verzeichnet nach eigenen Angaben von den mehr als 7000 Meldungen über wahrscheinliche russische Kriegsverbrechen in der Region um die Hauptstadt die meisten Opfer in Borodjanka.

Borodjanka massiv von russischer Armee angegriffen

„Ich denke, wir werden gesondert über Borodjanka sprechen“, sagte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa der Agentur Unian zufolge. Die Kleinstadt war bis vor Kurzem ebenfalls unter Kontrolle von russischen Truppen gehalten worden. Was dort konkret vorgefallen sein soll, erläuterte die Generalstaatsanwältin zunächst nicht. Es gibt aber zahlreiche Augenzeuginnen und Augenzeugen, die von Kriegsverbrechen berichten.

„Ich weiß von fünf Zivilisten, die getötet wurden“, sagte beispielsweise der 58 Jahre alte Rafik Asimow gegenüber Reportern der Nachrichtenagentur AFP. „Aber wir wissen nicht, wie viele nach den Bombardements noch in den Kellern der zerstörten Gebäude liegen. Niemand hat bisher versucht, sie herauszuholen.“ Die 74-jährige Hanna berichtet Reportern der „Bild“, dass ihre Schwester von russischen Soldaten von hinten erschossen wurde, als sie zu ihrem Haus ging, um etwas zu essen zu holen.

„Schneise von Tod und Verwüstung“

Ein CNN-Reporter berichtet auf seinem Weg von Kiew nach Borodjanka von einer „Schneise von Tot und Verwüstung“. In jedem einzelnen Dorf gebe es Verwüstung. Und fast überall würden Menschen die Leichen von Zivilisten aufsammeln. Borodjanka sei von den Angriffen „extrem hart“ getroffen worden, bestätigt der CNN-Reporter.

Die ukrainische Polizei sagte gegenüber dem britischen „Guardian“, sie habe bereits Tote unter den Trümmern der zerbombten Häuser in Borodjanka geborgen, konnte aber keine genaue Zahl der Todesopfer nennen.

Zeugin: Mann vor den Augen der Familie erschossen

In einem Videocall mit „RBB24 Recherche“ erzählt die Augenzeugin Tatjana S., wie russische Soldaten ihren Mann exekutiert hätten. Sie wohne eigentlich in Kiew. Als der Krieg ausbrach, sei sie aber mit ihrem Mann Juri, ihrer zehnjährigen Tochter und der 81-jährigen Großmutter nach Borodjanka geflohen, wo sie eine Datsche besaß.

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Ein ukrainischer Soldat nach dem Rückzug russischer Truppen in Borodjanka

Sie hatten gehofft, dort sicher zu sein, doch ab dem 3. März seien die russischen Soldaten in dem Dorf einmarschiert. „Die Soldaten haben gewütet und wild um sich geschossen. Sie gingen von Haus zu Haus, verlangten nach Alkohol und beraubten die Leute“, erzählt Tatjana S.

Ein paar Tage später seien die Soldaten auch in ihre Datscha eingedrungen. Sie hätten nach Zigaretten verlangt. Als Tatjanas Mann antwortete, er habe keine Zigaretten mehr, hätten die Soldaten ihn exekutiert. „Dann hat er (der russische Soldat) meinen Mann zuerst in den Arm und dann in den Kopf geschossen“, erzählt sie „RBB24 Recherche“.

Beweise für Kriegsverbrechen verdichten sich

Bereits am Wochenende hatten die Bilder aus dem Kiewer Vorort Butscha, wo nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche Leichen von Bewohnerinnen und Bewohnern auf den Straßen gefunden worden waren, international für Entsetzen gesorgt. Die Ukraine und das US-Verteidigungsministeriums machen für das Massaker russische Truppen verantwortlich. Moskau bestreitet das und sprach von einer „inszenierten Provokation“, allerdings ohne Beweise.

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Einige Behauptungen des Kremls haben sich bereits als falsche herausgestellt. Recherchen der „New York Times“ widerlegen beispielsweise die Moskauer Behauptungen, dass Leichen getöteter Zivilisten erst nach dem Abzug des russischen Militärs in Butscha platziert worden seien. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert. (RND/mit dpa)

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