Spurensuche in der OstseeWas steckt hinter den Anschlägen auf die Nordstream-Pipelines?

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Das vom dänischen Verteidigungskommando zur Verfügung gestellte Foto zeigt das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft. Foto: -/Danish Defence Command/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Das vom dänischen Verteidigungskommando zur Verfügung gestellte Foto zeigt das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft.

Unfreiwillig und unwissentlich wurden offenbar Menschen in Rostock und auf Rügen zu Komplizen der Saboteure der Nordstream-Pipelines. Eine Spurensuche.

Der Start-Hafen

Es ist kalt an diesem März-Morgen im Yachthafen Hohe Düne. Und leer. Der Rostocker Ortsteil liegt zwischen der Ostsee und dem Hafen gegenüber von Warnemünde. „Kommen Sie in fünf, sechs Wochen wieder – dann ist hier alles voll“, ruft ein Mann, der mit seinem Motorboot gerade zum Angeln auf der Ostsee aufbrechen will. Vielleicht 20 Boote liegen derzeit dort im Winterschlaf. Im Sommer sieht das anders aus. Dann liegen hier die Yachten und Motorboote dicht an dicht. Ideal, um nicht aufzufallen.

Vermutlich haben sich die fünf Männer und die Ärztin einer „pro-ukrainischen Gruppe“ Hohe Düne genau deshalb ausgesucht. Der Anschlag auf die einstige deutsche Energie-Lebensader soll hier begonnen worden sein. Das Sabotage-Kommando – die „New York Times“ beruft sich auf US-Geheimdienstkreise und bezeichnet die Gruppe als „pro-ukrainisch“ – soll hier um die 500 Kilo Sprengstoff und ihre Ausrüstung für die Tauchgänge zu den gut 80 Meter unter der Meeresoberfläche verlegten Nordstream-Röhren verladen haben.

Plausibel? Ja, denkt ein anderer Skipper, der an diesem Morgen auf seinem Boot nach dem Rechten schaut. „Wenn hier ein Lieferwagen am Steg hält und Leute was auf ihr Boot tragen – da stellt keiner Fragen“, sagt er.

Das Boot

15,57 Meter lang ist die Jacht vom Typ „Bavaria Cruiser 50″, sie hat 2,25 Meter Tiefgang. Neben Groß- und Vorsegel besitzt sie einen 75-PS-Volvo-Dieselmotor. Sie ist ausgestattet mit Radar, Funk, Autopilot, Bugstrahlruder. 10 Kojen gibt es Bord. Theoretisch gäbe es ausreichend Platz, um auch Taucherausrüstung und Sprengstoff zu verstauen. In Hohe Düne liegt ein Segelboot, dass dem sehr ähnlich kommt. Jetzt in der Nebensaison wäre die Jacht für 2400 Euro pro Woche zu mieten, im Sommer kostet sie mehr als 3000 Euro wöchentlich.

Weitere Auskünfte – etwa ob die Gruppe in bar bezahlt hat, wie die Kunden auf ihn wirkten – gibt der Schiffseigner nicht. „Unser Anwalt hat uns davon abgeraten, solang die Ermittlungen andauern.“ Offenbar bereits vor zwei Monaten hatten deutsche Behörden das Schiff ausfindig gemacht. Vom 18. bis 20. Januar fand eine Durchsuchung im Zusammenhang mit „einer verdächtigen Schiffsanmietung“ statt, bestätigt der Generalbundesanwalt.

Die oberste deutsche Ermittlungsbehörde betont aber auch: „Ein Tatverdacht gegen Mitarbeiter des deutschen Unternehmens, welches das Schiff vermietet habe, bestehe nicht.“ Wie das mutmaßliche Sabotage-Boot heißt – dazu kursieren verschiedene Namen. Auf einer Liste aller Schiffe, die am 6. September in Rostock lagen oder von Rostock ausgelaufen sind und die der „Ostsee-Zeitung“ (OZ) vorliegt, steht keiner davon.

Experten sagen aber, das habe nichts zu bedeuten: Kleinere Schiffe sind nicht verpflichtet, das Automatische Identifikationssystem AIS an Bord zu haben – oder einzuschalten. Sicher ist bisher nur: Die Gruppe charterte das Schiff von einer Firma auf der Insel Rügen. Das bestätigte einer der Geschäftsführer. Es soll sich nach Recherchen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) und der OZ um eine Yacht vom Typ Bavaria Cruiser 50 handeln.

Der Törn

Die Saboteure sollen am 6. September 2022 in Hohe Düne gestartet sein. Eine andere Nachricht hat sich bereits als falsch entpuppt: Die Gruppe war nie in Wieck am Darß, wie zunächst berichtet – aber in Wiek auf Rügen. Das bestätigt der dortige Hafenmeister. Aber zu Details schweigt er.

„Vor ein paar Wochen hat sich das Bundeskriminalamt bei uns gemeldet und wollte eine alle unsere Erkenntnisse und Informationen zu einem bestimmten Schiff und einem bestimmten Zeitpunkt“, sagt er. Mehr nicht. „Wir stehen nicht im Fokus der Ermittlungen. Für uns ist das damit erledigt.“ Zwischen dem 16. und dem 18. September soll das Rostocker Segelboot dann in den dänischen Hafen Christiansø eingelaufen.

Eine kleine Insel nordöstlich von Bornholm und der nächstgelegene Hafen zu dem Punkt auf See, wo die beiden Stränge von Nordstream 1 zerstört wurden. Bereits im Januar forderten die Behörden dort Anwohner in einem Facebook-Post auf, sich zu melden, wenn sie am 16., 17. oder 18. September Fotos vom Hafen und von Schiff gemacht haben. Zeitgleich – am 18. Januar – untersuchten dänische Fahnder den Liegegebühr-Automaten auf der Insel, schreibt die dänische Tageszeitung „Ekstra Bladet“.

Die offenen Fragen

Nicht nur das Unternehmen auf Rügen, sondern auch andere Charter-Firmen – unter anderen in Rostock – wurden offenbar vom Bundeskriminalamt (BKA) kontaktiert. Gleich mehrere Segel-Unternehmer aus der Hansestadt bestätigten der OZ, ebenfalls von den Ermittlern befragt worden zu sein. Einer von ihnen sagt aber lediglich: „Ich sage zu all dem nichts, rede nur mit dem BKA.“ Nachfragen blockt er ab. Haben die Saboteure möglicherweise mehr als „nur“ ein Schiff gechartert?

Die Tauchgänge

Kann die Sprengung von drei der vier Nordstream-Röhren wirklich von einem derart kleinen Kommando von sechs Personen auf einer knapp 16 Meter langen Jacht ausgeführt worden sein? Viele Experten haben Zweifel. „Für einen derartigen Anschlag ist eine Menge Spezialwissen über Tauchen und Sprengstoff erforderlich“, sagt Fregattenkapitän Göran Swistek, Experte für Maritime Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft“ und Politik, dem „Tagesspiegel“.

„Darüber verfügen in Deutschland – und ebenso vermutlich in anderen Ländern– nur wenige Leute. Und diese gehören den Sicherheitskräften an.“ Ist also der „Bavaria Cruiser 50″ nur ein Hilfsschiff gewesen, das unauffällig genug war, um Sprengstoff und Personen ins Operationsgebiet zu bringen, wo dann andere Kommandos auf größeren Schiffen übernommen haben?

Möglich ist vieles, über die Hintermänner kann auch hier nur spekuliert werden. Es gibt aber einen Mann, der überzeugt ist, dass auch das kleine Kommando auf der Rostocker Jacht den schwersten Angriff auf unterseeische Infrastruktur ausgeführt haben kann. Achim Schlöffe ist Extremtaucher aus München und hat als erster Mensch den Ärmelkanal durchtaucht. Er hat selbst Unterwasser-Angriffe durchgeführt. Allerdings ganz legal und im Auftrag um Sicherheitslücken aufzudecken.

Schlöffel sagt dem RND: „Erfahrene Taucherinnen und Taucher wären dazu in der Lage. Und insbesondere solche, die regelmäßig Wracktauchen gehen, für die wäre ein Tauchgang zur Pipeline gar kein Problem.“ Gerade um Bornholm herum lägen viele Wracks auf etwa 80 Metern Tiefe liegen - also etwa in der selben Tiefe wie die Pipeline. „Die werden regelmäßig betaucht. Jeder gut ausgebildete technische Taucher kommt dahin. Theoretisch lässt sich der Tauchgang samt Unterbringung des Sprengstoffs innerhalb von 40 Minuten erledigen.“

Eine Sauerstoffverbindung zur Jacht sei nicht mehr nötig, erläutert Schöffel. Er geht davon aus, dass mit einem sogenannten Rebreather, einem Kreislauftauchgerät, gearbeitet wurde. „Dabei haben die Taucher keine Flaschen mehr, bei denen der Sauerstoff irgendwann leer ist. Bei diesen Geräten wird die Atemluft wieder ins Gerät zurückgeführt, chemisch aufbereitet, das CO2 wird rausgefiltert. Und dann können sie mit einem vergleichsweise kleinen Gerät mit wenig Flaschen sehr tief und sehr lang tauchen.“

10.000 Euro kosten diese Systeme, die Ausbildung noch einmal 5000 Euro. „Es ist aber keineswegs unmöglich, an diese Geräte zu kommen.“ Der Sprengstoff könnte einfach an einer Bojenleine festgemacht worden sein. Auch beim Auftauchen schießen die Taucher eine Markierungsboje an die Wasseroberfläche, um von der Jacht wieder aufgesammelt zu werden. Dann bräuchte sie nicht über der Stelle zu kreuzen und damit Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Die Moskauer Reaktionen

In Moskau hält man die Berichte über eine private Kommandogruppe ohne staatliche Hintermänner für unglaubwürdig. „Was den pro-ukrainischen „Doktor Evil“ betrifft, der das alles organisiert haben soll, so ist das schwer zu glauben“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag. Solch eine Aufgabe könnten nur wenige Geheimdienste bewerkstelligen. Peskow erneuerte seine Vorwürfe gegenüber den „Angelsachsen“, also den USA und Großbritannien.

„Sie sehen, dass die Angelsachsen, über die wir von Anfang an geredet haben, geschäftig werden. Sie haben viele Unannehmlichkeiten in den Beziehungen mit den Deutschen wegen des Terroranschlags, das ist offensichtlich“, sagte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin. Auch Außenminister Sergej Lawrow zog die Theorie in Zweifel. Es sei „peinlich“, dass die „unter Kontrolle stehenden westlichen Medien“ versuchten, die Schuld von eigenen Geheimdiensten auf einen ukrainischen Oligarchen abzuwälzen.

Die politische Aufarbeitung

Am Freitagmittag tagt im Bundestag das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste, wie immer geheim in einem abhörsicheren Raum. Die Abgeordneten fordern Aufklärung. „Leider leistet die bisherige Informationspolitik und das intransparente Vorgehen der Bundesregierung Spekulationen in allen Richtungen Vorschub“, beklagte der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, Roderich Kiesewetter (CDU), dem Portal „t-online“.

Und SPD-Gremiumsmitglied Ralf Stegner twitterte über „politische Turbulenzen, die sich gewaschen haben dürften. Terrorismus mit Staatshilfe? Wer wusste wann was?“ Stegner, der jeden Tag einen Musiktipp für den „digitalen Orbit“ aussucht, wählte am Donnerstag den Rock'n'Roll-Titel „Sea Cruise“, was mit „Segeltörn“ übersetzt werden kann. Von Sänger Johnny Rivers gibt es auch einen anderen Song mit dem ebenso passenden Titel „Secret Agent Man“, Geheimagent. Wer am Freitag den Abgeordneten Rede und Antwort stehen soll, darf keins der Gremiums-Mitglieder sagen.

Bundesnachrichtendienst-Chef Bruno Kahl, Generalbundesanwalt Peter Frank und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stünden auf der Wunschliste. Wie viel sie sagen dürfen, bleibt ebenso unklar. Denn die deutschen Ermittler wurden ja erst mit viermonatiger Verspätung im Januar tätig, nachdem sie Hinweise ausländischer Dienste erhielten. Und diese Hinweise dürfen nicht weiter geteilt werden, auch nicht mit den Volksvertreterinnen und Volksvertretern.

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