Tanker mit „unbekanntem Ziel“Mit Tricks könnte Russland heimlich Öl in EU exportieren

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Öltanker russisches Öl

Dieser Tanker auf der Ostsee soll russisches Öl geladen haben. 

Während die Europäische Union noch über ein Ölembargo streitet, hat der große Wandel in der Ölbranche längst begonnen. Aus Angst vor möglichen Sanktionen und unter dem Druck der Öffentlichkeit haben führende Ölhändler, wie Shell, BP und Total, schon angekündigt, ihre Handelsbeziehungen mit Russland massiv einzuschränken oder ganz einzustellen. Deutschland will bis Jahresende vollständig auf Öl aus Russland verzichten. Doch offenbar gelangt russisches Öl wieder häufiger heimlich nach Europa.

EU-Mitgliedsstaaten haben im April durchschnittlich 1,6 Millionen Barrel Öl pro Tag aus Russland eingekauft. Das berichtete das „Wall Street Journal“ (WSJ), das die Daten eines Transparenzportals für den Rohölhandel ausgewertet hat. Dort lassen sich die Öltanker verfolgen.

Auffällig ist, dass aus Russlands Häfen nun immer öfter Öltanker mit „unbekanntem Ziel“ auf das offene Meer fahren. Sie haben offiziell also keine festgelegte Route, wenn sie den Hafen verlassen. Das ist vor Beginn des Kriegs nur sehr selten vorgekommen. Nun sollen allein im April mehr als 11,1 Millionen Barrel russisches Öl auf diese Weise exportiert worden sein. So viel wie in kein einziges Land.

Russisches Öl wird vermutlich auf See umgeladen

Die Bezeichnung „unbekanntes Ziel“ sehen Experten als ein Zeichen dafür, dass das Öl auf größere Schiffe auf See gebracht und dort entladen wird. Dadurch lässt sich die Herkunft verschleiern. „Eine chemische Analyse könnte höchstwahrscheinlich russisches Urals-Öl nachweisen“, gibt Wirtschaftsexperte Artem Kochnev vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche zu bedenken. Ob es aber überhaupt zu einer Herkunftsanalyse kommt, ist unklar.

Mitte April sollen drei Schiffe aus den russischen Ostseehäfen Ust-Luga und Primorsk Rohöl bis zur Küste von Gibraltar gebracht haben. Dort soll das Öl dann auf einen größeren Tanker umgeschlagen worden sein, berichtet das WSJ unter Berufung auf die Schiffsdaten. Dann soll der Tanker Rotterdam angefahren haben. Wenn dort die Fracht entladen wird, ist völlig unklar, woher sie wirklich stammt. Dieses Vorgehen war in der Vergangenheit immer wieder bei Rohöl aus Ländern wie Venezuela und dem Iran zu beobachten, die von einem Ölembargo betroffen waren.

Die heimlichen Schiffsladungen Öl muss Russland bereits seit Wochen zu Schleuderpreisen abtreten. Der Preis des Urals-Öls aus Russland, der wichtigsten russischen Rohölsorte, ist im Februar nach Beginn des Krieges eingebrochen.

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Bei Händlern soll der zusammengepanschte Diesel als „Lettische Mischung“ oder die „Turkmenische Mischung“ bezeichnet werden. Laut der österreichischen Zeitung seien vor allem die Lagertanks in den Ölhäfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen für die Mischung von Ölprodukten bekannt. Doch auch auf Tankschiffen lassen sich Ölprodukte mischen und sich so die Herkunft verschleiern.

Dass russischer Diesel und andere Raffinerieprodukte (sogenannten Mitteldestillate) aus Russland mit Produkten aus anderen Herkunftsländern gemischt werden, ist nicht neu. „Gemischte Ölprodukte mit russischem Öl werden noch deutlich relevanter, wenn die EU ein Embargo gegen Öl aus Russland verhängt“, meint Wirtschaftsexperte Kochnev.

Noch ist völlig offen, welche Mengen Russland durch gemischte Ölprodukte verkaufen kann und ob diese Geschäftspraktik skalierbar ist. „Um Öl zu mischen, braucht man große Kapazitäten und eine gute Ausrüstung“, so Kochnev. Wenn in einem europäischen Hafen Ölprodukte aus Russland gemischt werden, dann würde das jeder mitbekommen.

Russisches Öl geht nach Indien

Doch es gibt noch einen zweiten Trick, mit dem Russland weiterhin Rohöl und Ölprodukte exportiert. Zwar dürfen russische Schiffe seit dem fünften Sanktionspaket der EU keine europäischen Häfen mehr anfahren. Doch offenbar wittern griechische Redereien ein lukratives Geschäft. Analysen des Londoner Schifffahrtregisters Lloyd„s List zeigen, dass allein im April 76 Tanker unter griechischer Flagge die russischen Ölhäfen Primorsk, Novorossiysk, Ust-Luga und St. Petersburg verlassen haben. Der Zahl der griechischen Tanker hat sich demnach mehr als verdoppelt.

Der Großteil des Rohöls geht aber offenbar nach Indien. „Dass Indien aus russischem Öl Diesel herstellt und nach Europa bringt, ist durchaus plausibel“, so Kochnev. Weil der Preis für russisches Rohöl so niedrig ist, würde sich der lange Weg nach Indien und zurück nach Europa lohnen.

Ein Vollembargo für russisches Öl in der Europäischen Union könnte zwar auch umdeklariertes und gemischtes Öl und Diesel treffen. Doch ob es überhaupt zu einem Embargo kommt, ist unklar. Denn dafür wäre ein einstimmiger Beschluss in der EU nötig und Ungarn hat bereits angekündigt, ein Veto einzulegen.

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