Trump vs. BidenVertauschte Rollen im zweiten TV-Duell

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Lieferten sich ein gesittetes TV-Duell: Donald Trump und Joe Biden (r.)

  • Bei der zweiten TV-Debatte verkauft sich US-Präsident Donald Trump als Außenseiter und seinen Herausforderer als „korrupten Politiker“.
  • Dank einer präzisen Moderation geht es dieses Mal gesittet zu.
  • Nach einem schwachen Auftakt kann Joe Biden in der zweiten Hälfte punkten.

Washington – Die Antworten auf die kluge letzte Frage waren entlarvend. Was sie nach einem Wahlsieg den Bürgern sagen würden, die nicht für sie gestimmt hätten, wollte Moderatorin Kristen Welker nach einer unerwartet disziplinierten anderthalbstündigen Debatte von den beiden Bewerbern um das Weiße Haus wissen. Es war der Moment für einen staatsmännischen Auftritt.

"Wir werden unser Land wieder so groß machen wie vor der Plage", setzte Donald Trump an, um dann zurück in seinen Wahlkampfmodus zu fallen: "Ich habe die Steuern gesenkt. Er will sie erhöhen. Wenn er gewinnt, gibt es eine Depression." Der Mann am anderen Pult schlug einen deutlich anderen Ton an: "Ich bin ein amerikanischer Präsident", antwortete Joe Biden: "Ich vertrete Sie alle, gleich, ob Sie für mich gestimmt haben. Ich setze auf Anstand, Ehre und Charakter."

Donald Trump verzichtete auf Rüpeleien

Stärker hätte der Kontrast kaum sein können. Das zweite TV-Duell der beiden Anwärter für die amerikanische Präsidentschaft unterschied sich in Ton und Stil dramatisch von der chaotischen ersten verbalen Wirtshausschlägerei. Offensichtlich hatten Trumps Berater dem Republikaner dringend empfohlen, auf Rüpeleien und dauerndes Dazwischenreden zu verzichten, ohne dass die Regie ihre neue Stummtaste einsetzen musste. Doch die Rolle des Präsidenten wollte Trump trotzdem nicht spielen. Weder bemühte sich der Amtsinhaber, unentschlossene Wähler mit Argumenten zu überzeugen, noch legte er irgendeinen Plan für seine zweite Amtszeit vor.

Stattdessen spielte Trump die Rolle, die er am liebsten einnimmt – die des Außenseiters. "Das ist der Einwurf eines typischen Politikers", kommentierte er gleich zu Beginn eine Äußerung von Biden. Wiederholt warf er seinem Herausforderer vor, seit 47 Jahren in der Politik zu sein und nichts bewegt zu haben. "Warum haben Sie das nicht längst gemacht?", fragte der Mann, der seit vier Jahren im Weißen Haus residiert und nun plötzlich eine "wunderbare nagelneue Krankenversicherung" ankündigt, den Kontrahenten, der sich um seinen Job bewirbt. Biden, so ätzte er, mache viele Worte und tue nichts. Außerdem sei er "ein korrupter Politiker".

Konkurrenten vertauschten das Drehbuch

Es war, als hätte Trump kurzerhand das Drehbuch vertauscht, und Joe Biden fand nicht gleich eine souveräne Antwort. In der ersten Hälfte des Duells wirkte der 77-Jährige angespannt, er redete zu schnell und begann zwischendurch zu stammeln. Möglicherweise war das auch der Anspannung geschuldet. Denn der ehemalige Vizepräsident wusste, dass Trump mit voller Wucht eine auf diffuser Faktenlage beruhende Anklage gegen ihn vorbringen würde – dass er sein damaliges Amt missbraucht habe, um Geschäftsaktiviträten seines Sohnes in der Ukraine und China zu unterstützen und davon zu profitieren.

Die Beweislage ist extrem dünn, der zwielichtige Trump-Anwalt Rudy Giuliani streut seit Tagen E-Mails aus einem ominösen Laptop, die niemand überprüfen kann, die Republikaner im Senat fanden bei einer Untersuchung im September keinerlei Belege. Trotzdem nutzte Trump früh in der Debatte die Gelegenheit, Biden persönlich anzugreifen. "Die E-Mails sind furchtbar", sagte er und behauptete, sein Kontrahent habe Unmengen von Geld erhalten, von dem er sich Häuser überall im Land gekauft habe.

Donald Trump versuchte Joe Biden aus dem Konzept zu bringen

Das ist eine bemerkenswerte Offensive für einen Milliardär, der seine Steuererklärungen entgegen der Gepflogenheit nicht offenlegt und mit seinen Hotels und Golfplätzen nachweislich von seinem Amt profitiert. Aber Trump ging es nicht um Konsistenz, sondern darum, Biden durch Anwürfe gegen dessen Problemsohn Hunter aus dem Konzept zu bringen. Das aber gelang ihm nicht. "Ich habe mein Leben lang keinen Penny von einem anderen Land erhalten", konterte Biden fest und verwies darauf, dass es Trump sei, der in China aufgrund geschäftlicher Aktivitäten 180.000 Dollar Steuern gezahlt habe.

Nach diesem Schlagabtausch wirkte Biden plötzlich deutlich sicherer und angriffslustiger. "Wir hatten auch gute Beziehungen mit Hitler, bevor er Europa überfallen hat", konterte er Trumps Prahlen mit seinen guten Beziehungen zum nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un. Als der Präsident kurz darauf behauptete, Biden wolle den Sozialismus im Gesundheitswesen einführen, erwirderte dieser: "Er glaubt, er tritt gegen jemand anders an." Tatsächlich habe er sich bei den innerparteilischen Vorwahlen gegen linkere Kandidaten durchgesetzt, "weil ich mit ihnen nicht übereinstimme".

Am Ende stand es unentschieden

Deutlich waren die Gegensätze auch beim Disput über die Einwanderungspolitik. In den USA sorgen derzeit Berichte für Empörung, denenzufolge die Regierung 500 Kinder bei der illegalen Einreise von ihren Eltern getrennt hat und nun nicht mehr weiß, wo die Familien abgeblieben sind. Menschenhändler und "böse Leute" hätten die Minderjährigen über die Grenze geschmuggelt, behauptete Trump: "Wir kümmern uns sehr gut um sie." Biden reagierte empört: "Das spiegelt nicht uns als Nation wider. Das ist kriminell." Offen räumte er dann ein Versäumnis seiner gemeinsamen Regierungszeit mit Barack Obama ein: Man müsse für Migranten einen klaren Weg zur Staatsbürgerschaft eröffnen. Das wolle er in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft angehen.

Am Ende stand es unentschieden. Viel Neues in der Sache erfuhren die Zuschauer auch bei dieser Begegnung nicht. Doch dank der extrem präzisen Gesprächsführung der bestens präparierten Moderatorin hielten sich Trumps Ausbrüche in Grenzen. Die beiden Kontrahenten redeten nicht zur gleichen Zeit, und die Zuschauer konnten die Argumente verfolgen – jedenfalls solange, wie sich Trump nicht in finstersten rechten Verschwörungsandeutungen verfing und Biden seine Umweltpolitik nicht mit einem wilden Zahlensalat von Ladestationen, Fördermitteln und Arbeitsplätzen zu verkaufen versuchte.

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