Verhandlung gegen vier Angeklagte gestartetUm was geht es im großen Dieselprozess?

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Der Diesel-Prozess ist gestartet.

Genau sechs Jahre ist es her, dass der Dieselskandal die Autowelt veränderte. Am 18. September 2015 wurde bekannt, dass Volkswagen jahrelang die Abgaswerte seiner Dieselmotoren systematisch manipuliert hatte. Jetzt beginnt vor dem Landgericht Braunschweig der Strafprozess gegen frühere VW-Manager.

Wer ist in Braunschweig angeklagt?

Vier frühere Topmanager werden von Donnerstag an vor Gericht stehen. Sie trugen Verantwortung in der VW-Entwicklung und stiegen später zum Teil bis in den Vorstand auf. Der fünfte und prominenteste Angeklagte dürfte allerdings fehlen: Der Prozess gegen den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wurde wegen dessen Gesundheitsproblemen abgetrennt und soll später geführt werden. Winterkorn soll nach einer Hüftoperation erst 2022 zur Verfügung stehen. Gegen diese Entscheidung des Gerichts hat die Staatsanwaltschaft allerdings Beschwerde eingelegt, über die das Oberlandesgericht Braunschweig wohl erst kurz vor Prozessbeginn entscheidet. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat zudem weitere Personen angeklagt, über deren Hauptverhandlung aber noch nicht entschieden ist.

Was ist damals passiert?

Die Software, die in modernen Motoren unter anderem Einspritzung und Zündung steuert, erkennt, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand steht. VW-Techniker nutzten das, um das Abgasverhalten zu manipulieren: Auf dem Prüfstand lieferten die Motoren niedrige Schadstoffwerte, aber relativ wenig Leistung. Auf der Straße brachten sie die versprochene Leistung, stießen aber zu viel Stickoxid aus. Dieser Schadstoff war immer das große Manko von Dieselmotoren. Das geschah wahrscheinlich schon im Jahr 2007, bekannt wurde es aber erst, nachdem 2014 ein privates Umweltlabor die Autos getestet und die US-Behörde Epa Ermittlungen aufgenommen hatte.

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Öffentlich wurde der Betrug erst, als die Epa im September 2015 eine „Notice of Violation“ veröffentlichte - die Bekanntmachung, dass VW gegen Gesetze verstoße.

Warum hat VW betrogen?

Der Konzern plante sein Comeback in den USA, wo der Konzern nur noch eine Nebenrolle spielte. Um sich mit besonderer Sparsamkeit von der Konkurrenz abzuheben, setzte VW auf den Diesel, der in den USA als Pkw-Antrieb kaum verwendet wird. Allerdings war der vorgesehene Motor EA189 nur für die Euro-5-Norm ausgelegt und schaffte bei Weitem nicht die Stickoxidgrenzwerte in den USA, vor allem in Kalifornien. Die aufwendige Abgasreinigung mit einem SCR-Katalysator und Adblue-Einspritzung wäre teuer gewesen, und so suchten die Entwickler billigere Wege. Diese US-Software landete dann in rund neun Millionen Autos weltweit. Manipuliert wurde auch der von Audi entwickelte Sechszylindermotor EA288.

Was wird den Angeklagten genau vorgeworfen?

Das Gericht ist in einem wichtigen Punkt sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinausgegangen: Die Anklage lautet nicht nur auf besonders schweren, sondern auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug. Die Manager hätten von den Manipulationen gewusst, die Software zum Teil mitentwickelt beziehungsweise den Einsatz nicht verhindert. Ihr Motiv sei die Maximierung der Unternehmensgewinne und ihrer eigenen Boni gewesen. Außerdem geht es um Steuerhinterziehung, weil die manipulierten Fahrzeuge zu Unrecht in eine günstige Steuerklasse eingestuft worden seien. Dritter Punkt auf der Liste: Die Werbung mit nicht vorhandenen Vorzügen der Produkte sei strafbar gewesen.

Wie verteidigen sie sich?

Die Angeklagten weisen die Vorwürfe zurück, sind bisher öffentlich aber nicht auf Details eingegangen. Sie dürften sich aber darauf berufen, jahrelang nichts von der Rechtswidrigkeit der Software gewusst zu haben. Konzernintern soll stets von „innermotorischen Maßnahmen“ die Rede gewesen sein. Außerdem ist unklar, ob die weltweite Dimension des Betrugs bekannt war, den man ursprünglich nur für die USA brauchte, wo er rund eine halbe Million Fahrzeuge betraf.

Was waren die entscheidenden Momente?

Es dürfte im Prozess immer wieder um drei Phasen gehen. Zunächst ist die Frage, wie - vermutlich 2006 - die Entscheidung gefallen ist, den Motor EA189 in den USA einzusetzen und die billige Lösung für das Abgasproblem zu wählen. Hielten es die Manager - alle ausgewiesene Technikexperten - wirklich für möglich, einen Euro5-Motor ohne großen Zusatzaufwand auf kalifornische Abgasstandards zu bringen? Und warum haben sie nicht nachgefragt? Ein weiterer wichtiger Moment liegt im Mai 2014: In dem Arbeitspaket, dass Winterkorn freitags mit nach Hause nahm - der „Wochenendpost“ - gab es einen Vermerk, dass US-Behörden wegen der Abgaswerte ermittelten. Winterkorn soll ausgesagt haben, dass er den Vermerk nicht registrierte. Und schließlich traf man sich im Juli 2015 am „Schadenstisch“: In dieser regelmäßigen Runde wurden Qualitätsprobleme besprochen, und kurz zuvor hatten die US-Behörden gedroht, den VW-Dieseln wegen ihrer unerklärlichen Abgaswerte keine Zulassung zu geben. Auch hier soll Winterkorn informiert worden sein.

Was droht den Angeklagten?

Mit dem Vorwurf des bandenmäßigen Betrugs stehen mehrere Jahre Haft im Raum. Die Anklage stützt sich unter anderem auf Paragraf 263 des Strafgesetzbuchs, der in schweren Fällen Strafen von einem bis zu zehn Jahren zulässt.

Wie wird der Prozess ablaufen?

Geplant sind aktuell 22 Verhandlungstermine, der letzte kurz vor Weihnachten. Das Landgericht hat die Braunschweiger Stadthalle gebucht, um das Verfahren auch unter Coronabedingungen abwickeln zu können.

Welche Prozesse gibt es rund um den Dieselskandal?

Ungezählte Verfahren in aller Welt wurden geführt oder laufen noch. Ein weiterer Strafprozess wird seit Monaten in München gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler und frühere Motorenentwickler geführt. Strafverfahren gegen den heutigen VW-Chef Herbert Diess und den VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch wurden gegen Millionenbußen eingestellt. Ihnen hatte die Staatsanwaltschaft nicht Betrug, sondern Marktmanipulation vorgeworfen: Sie sollen die Finanzmärkte zu spät über den Dieselbetrug und seine Folgen für das Unternehmen informiert haben. Deshalb haben auch Investoren auf Schadensersatz in Milliardenhöhe geklagt. Mit den geschädigten Kunden hat sich VW größtenteils in einem Vergleichsverfahren auf Schadensersatz geeinigt.

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