SchaltergebührDie Bahn rudert zurück

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Die Deutsche Bahn verzichtet auf Bedienzuschlag. (Bild: dpa)

Die Deutsche Bahn verzichtet auf Bedienzuschlag. (Bild: dpa)

BONN - Es könnte so einfach sein: Die Deutsche Bahn plant, den Kauf von IC- und ICE-Fahrkarten am Bahnhofsschalter ab Mitte Dezember zu verteuern - um 2,50 Euro je Fahrt. Da sie Proteste der Kundschaft und der Medien wittert, beschließt die DB-Führung, ihre bewährten „Vertrauenskunden“ zu befragen. Diese Hundertschaft bekommt dafür, dass sie Unternehmenspläne frühzeitig und völlig unbeeinflusst bewertet, kostenlos ein Jahres-Netzticket.

Das Urteil der hundert Vertrauenskunden ist deutlich. Fast neunzig von ihnen lehnen den Plan eines Service-Zuschlags rundheraus ab. „Ein Affront gegen die Bahnkunden“ - so lautet eine Meinung, ein „Schlag ins Gesicht älterer Menschen“ eine zweite. Und ein dritter Testkunde meint, die Bahn erweise sich selber einen „Bärendienst“, wenn sie die Kundschaft für den eigentlich doch erwünschten Kauf von Fahrkarten zur Kasse bitte. Viele Lacher provoziert auch der Kommentar einer jüngeren Vertrauenskundin, die folgenden Vergleich zieht: „Das ist ja so, als ob mir der Bäcker fünfzig Cent dafür abknöpfen will, dass er mich noch persönlich bedient.“

„Diskriminierend“

Trotz all dieser Warnsignale gerät der Bahn der geplante Service-Zuschlags zu einer ähnlich großen Panne wie die Ende 2002 geplante Abschaffung der Bahncard 50. Damals hatte sie nicht nur die Beliebtheit der jederzeit spontan einzusetzenden Rabatt-Karte unterschätzt, sondern im Flugzeug auch den falschen Hauptwettbewerber ausgemacht.

Die öffentliche Wirkung des Bedienzuschlags ist fatal. Zumal die Bahn diesen wenig kundenfreundlichen Schritt fast in einem Atemzug mit der Verkündigung stolzer Konzerngewinne ankündigt. Das steigerte den Ärger vieler Kunden, dem sich sofort auch führende Politiker anschließen. Schließlich - wie nicht anders zu erwarten - rudert die Bahn zurück, wenn auch zunächst nur halbherzig. Erst sollen über 60-jährige Senioren - allerdings nur solche mit Senioren-Bahncard 50 oder 25 - keinen Service-Zuschlag zahlen, auch behinderte Menschen sollen ausgenommen sein. Die Sache wäre also kompliziert geworden.

Wirtschaftspsychologen schütteln den Kopf über das Vorgehen der Bahn. Professor Bernhard Zimolong, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Ruhr-Universität in Bochum, bescheinigt der DB eine „peinliche Fehleinschätzung“ ihrer Kunden wie auch von deren Protestpotenzial in der Öffentlichkeit. „Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend selbstbewusst auftretenden älteren Generation und der Sensibilität der Öffentlichkeit für benachteiligte Gruppen wäre die Reaktion vorhersehbar gewesen.“ Auch sein Fachkollege Klaus Moser von der Universität Erlangen-Nürnberg kritisiert den Service-Zuschlag. „Meines Erachtens wäre die Einführung der Gebühr diskriminierend, weil es nachweisbar Gruppen gibt, die diese kaum vermeiden können, insbesondere ältere Bahnfahrer“, sagt der Wirtschafts- und Sozialpsychologe.

Zwar protestierten Menschen immer, wenn sie mehr bezahlen müssen. „Hier spielt aber auch der Quasi-Monopolcharakter der Bahn eine große Rolle“, fügt Moser hinzu und zieht einen Vergleich mit dem Service von Banken. Auch dort müssten Kunden verschiedentlich eine Gebühr zahlen, wenn sie Geld bar am Schalter abheben wollten. Und auch dort kämen nicht alle Kunden mit den Geldautomaten zurecht oder scheuten sie grundsätzlich. „Hier ist der Widerstand aber nicht so groß, da es ja - im Prinzip - die Möglichkeit gibt, die Bank zu wechseln.“ Viel geschickter hätte Moser einen Bonus für Kunden gefunden, die ihre Tickets am Automat ziehen. Eine solche Belohnung „klingt schon ganz anders“. Moser fragt sich, ob die DB nun wirklich zurückgerudert ist oder ob sie sich bloß vordergründig „einsichtig und kompromissbereit gezeigt“ hat - und zwar im Sinne einer Taktik, die Moser so beschreibt: „Erst mal etwas mehr ankündigen oder fordern und dann den Kritikern den Eindruck vermitteln, durch ein teilweise erfolgendes 'Entgegenkommen' hätten alle etwas erreicht.“

Auch der Wirtschaftspsychologe Heinz Schuler verweist auf die Sonderstellung der Bahn als fast allein herrschender Marktführer. „Was wir bei der Bahn erleben, ist kein Einzelfall, nur bei einem Monopolisten, der einen lebenswichtigen Service anbietet, besonders auffallend und schmerzlich“, befindet der Stuttgarter Professor. Wirtschaftlich gesehen sei das Marktverhalten der Bahn also nicht verwunderlich. „Erstaunen kann aber die psychologische Ungeschicklichkeit oder Risikobereitschaft“ des Transportunternehmens.

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