Sein Heiligtum war eine Vitrine mit SS-Orden

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Thomas A. hat viel angefangen in seinem Leben, aber kaum etwas ist ihm gelungen, schließlich suchte er sein Heil in rechtsextremen Fantasiewelten.

Seit seiner Verhaftung lehnt Thomas A. jedes Gespräch mit der Justiz ab. Nun hat sich der mutmaßliche Todesschütze von Overath in einem Brief zu den drei Morden bekannt. Er nennt sein Geständnis: „Denkschrift - Offener Brief - Artikel“. Das vierseitige Pamphlet liegt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor. Thomas A. spickt seine Rechtfertigungsversuche für die begangenen Morde mit rechtsextremen Hasstiraden gegen „das deutsche Rechtswesen“. Aus dem Untersuchungsgefängnis heraus verunglimpft er seine Opfer und nennt seine Morde eine „von mir selbst durchgeführte Maßnahme zur Gesundung des Deutschen Volkes“.

Kein Wort der Reue, keine Gewissensbisse. Der Täter stilisiert die Hinrichtung zu einem Mittel des politischen Kampfes. Er spricht in seinem Geständnis (siehe Bild) von der „Exekution dieser 3 wertlosen zerstörerischen Elemente“. Sie hätten sich an den „heiligsten Grundlagen des deutschen Rechtswesens aus Habgier und Vorteilsnahme vergriffen“. Ihre Tötung sei „mehr als notwendig“ gewesen.

Bewusster Irrsinn?

Schreibt sich hier ein mutmaßlicher Mörder bewusst in den Irrsinn? Oder sucht er vor der Justiz den Eindruck völliger Unzurechnungsfähigkeit zu erwecken? In diesem Fall käme er in eine geschlossene psychiatrische Anstalt. Die Staatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, den Verdächtigen und dessen mitbeschuldigte Freundin Jennifer D. (19) begutachten zu lassen. Sein Verteidiger Uwe Krechel aus Bonn sagt: „Mein Mandant hat mir erklärt, er habe rein aus politischen Motiven gehandelt“. Außerdem, führt Krechel weiter aus, habe er betont, dass seine Freundin nicht gewusst habe, „was er vorhatte“.

Polizei und Staatsanwaltschaft gehen hingegen weiter von niedrigen persönlichen Beweggründen aus. Die Ermittler sprechen von einem Rachefeldzug für den Rauswurf aus seinem lieb gewonnenen Domizil an der Schwellenbacher Mühle bei Overath. Nach ihren Erkenntnissen musste der Anwalt sterben, weil er in den 90er Jahren bei Thomas A. Mietschulden eingetrieben hatte. Beileibe nicht der einzige Mieterstreit, den der Gelegenheitsarbeiter in 45 Jahren ausgefochten hat. „Er war ein echter Verlierer, der nicht mit Geld umgehen konnte“, sagt eine Ex-Freundin.

Im Alter von fünf Jahren lässt ihn seine Mutter im Stich, sein leiblicher Vater will ihn nicht aufnehmen, „weil er damals schon so komisch“ war; so wächst er bei einem Onkel in Dormagen auf. Im Alter von 19 Jahren gerät er als RAF-Sympathisant vorübergehend ins Visier der Bundesanwaltschaft. Nach dem Selbstmord von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe 1977 plant der Abiturient einen Brandanschlag auf das Rathaus von Dormagen. Eine Hausdurchsuchung fördert Pulver, Kurzzeitwecker, Zündkabel, Glühbirnen und Pflanzenschutzmittel zutage. Als er aus der Untersuchungshaft zurückkehrt, ist aus dem Ultralinken ein Neonazi geworden, berichtet das Magazin „Stern“. „Ich bin radikal, ist doch egal, ob rechts oder links“, sagt er.

Thomas A. reist nach Afrika und Südamerika. Dort will er beim rhodesischen Militär gedient haben, in Paraguay und Argentinien knüpft er angeblich Kontakte zu deutschen Altnazis. Vor Bekannten prahlt er später mit Sonnenwendfeiern, zu denen NS-Fliegeroberst und Hitler-Verehrer Hans-Ulrich Rudel geladen habe. SS-Standartenführer Walter Rauff, der Erfinder des Gaswagens, in dem Zehntausende Juden im Dritten Reich ermordet wurden, soll ihn freundlich empfangen haben. Rauff stirbt 1984 im chilenischen Exil. Niemand weiß zu sagen, was Dichtung, was Wahrheit ist. So gern Thomas A. über seine damaligen NS-Bekanntschaften schwadroniert, so verschlossen ist er, wenn Freunde sich für Einzelheiten interessieren. „Er sagte, er habe dabei nie einen Menschen getötet“, berichtet ein Bekannter.

Nach seiner Rückkehr ins Rheinland fährt Thomas A. Anfang der 90er Jahre durch Köln im eigenen Taxi (Taxinummer 1024). Weil das Geld nicht reicht, macht er mit einer Freundin eine Kaffeebude für Berufskollegen in Ehrenfeld auf. Mit führenden Gesinnungsgenossen von der rechtsextremen „Deutschen Liga“ mietet er in Deutz Büroräume für den Kommunalwahlkampf an. Offiziell firmiert man unter dem harmlosen Namen einer Seminargemeinschaft für Umwelt- und Naturschutz. Von politischen Gegnern erfahren die Vermieter schließlich, wer sich in ihren Räumen eingenistet hat und klagen die Deutschnationalen aus dem Büro.

Thomas A. verliert zusehends an Halt. Befremdet verfolgen seine Weggefährten seine Radikalisierung. Die Verfassungsschützer vom nordrhein-westfälischen Landesamt interessieren sich insbesondere für seine Kontakte zur militanten Neonazi-Truppe „Sauerländer Aktionsfront“. Nach wenigen Gesprächen im Jahr 1996 tun ihn die Staatsschützer jedoch als unsichere Quelle ab. 1997 / 98 fliegt der Extremist aus seiner Wohnung in Overath, weil er die Miete schuldig bleibt. Rechtsanwalt Nickel erwirkt im Jahr darauf in Abwesenheit des säumigen Mieters ein Urteil. Im Auftrag des Eigentümers versucht er vergeblich 10 000 Euro zu vollstrecken. Zu diesem Zeitpunkt ist Thomas A. in den Aachener Raum abgewandert. Nach einem erfolglosen Intermezzo auf einem Reiterhof und einer Verurteilung wegen unerlaubten Waffenbesitzes zieht er nach Geilenkirchen, Miete zahlt er auch hier nicht.

In der Nazi-Szene gilt er längst als Sonderling. Er raucht Haschisch, schluckt Amphetamine, kokst, dealt in kleinen Mengen an Schulen. In seiner Wohnung steht sein Heiligtum: eine Glasvitrine mit SS-Abzeichen und Orden. „Er hatte auch eine alte SS-Schirmmütze und eine Uniform. Einmal ritt er auf seinem Pferd mit Mütze und Uniform hier am Gymnasium vorbei“, erzählt ein Freund. Immer wieder schaut er sich ein Video mit Frontberichten aus dem Zweiten Weltkrieg und einer Hitler-Rede an. „Außerdem hatte er viele Wochenschau-Videos, die er allen vorführte, die ihn besuchten.“ Bei einem Freund aus Köln-Ehrenfeld bezieht er in jenen Tagen eine Pumpgun.

Im vergangenen Jahr landet er nach einer Drogenrazzia in seiner Wohnung erneut auf der Straße. Er haust zunächst in seinem Wagen, zieht schließlich zurück nach Köln ins Herkules-Hochhaus in Ehrenfeld, fährt wieder Taxi.

Anschlagszenarien

Längst lebt er in seiner eigenen Welt, vermengt persönliche Niederlagen mit rechtsradikalem Gedankengut. In seinem „Offenen Brief“ erhebt sich der Extremist in den Rang eines Streiters für den „deutschen Volkskörper“. Dies passt zu den Äußerungen, die er kurz vor den Morden in Overath gleich mehrfach gegenüber Bekannten macht. In seinem Tagebuch notiert er Anschlagszenarien. Er fabuliert häufig von „seiner Partei“ und „seinen Leuten“. Namen nennt er nie. Nach seinen Worten warten im Untergrund 100 000 Leute nur auf ein Startzeichen. Hirngespinste eines durchgeknallten Rechtsextremisten.

Am Ende, so scheint es, wähnt er sich als Vollstrecker seines eigenen Wahns. Dauernd läuft er mit der Pumpgun durch die Gegend. Ende August wird die Polizei nachts zu einer Feier im Haus eines Freundes gerufen, bei dem A. Obdach gefunden hat. Er zieht das Gewehr aus seiner Reisetasche, lädt mit den Worten durch: „Wenn die hier hochkommen, dann drücke ich ab. Bevor die mich festnehmen, nehme ich noch zwei, drei von denen mit.“ Doch es bleibt an jenem Abend bei der martialischen Pose. Fünf Wochen später tötet Thomas A. in Overath drei Menschen.

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