Spazierstock mit zwei Pünktchen

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Shiri Dettmann-Nouri führt die Schüler in eine der Hochsprachen der Weltkultur ein.

Shiri Dettmann-Nouri führt die Schüler in eine der Hochsprachen der Weltkultur ein.

Gelesen wird von rechts nach links, und die Buchstaben verändern mit ihrer Stelle im Wort ihre Form.

Sankt Augustin - 14 Augenpaare blicken gespannt zur Tafel. Dort entsteht gerade ein mit Pünktchen verziertes Geflecht aus Bögen und Schlaufen. Shiri Dettmann-Nouri bewegt die Kreide von rechts nach links. 'Massa al Cheir' soll das Geflecht heißen - Guten Abend - und die Anwesenden auf die erste Stunde des Schnupperkurses der VHS Rhein-Sieg einstimmen.

Arabisch steht an fünfter Stelle im weltweiten Sprachen-Ranking und wird von etwa 240 Millionen Menschen gesprochen. Für die elf Frauen und drei Männer in einem Klassenzimmer des Rhein-Sieg-Gymnasiums ist die Sprache mit ihrem eigenartigen Alphabet noch ein Buch mit sieben Siegeln, aber das soll sich im Laufe der vier Kursabende ändern. „Wir werden das gesamte Alphabet lernen“, kündigt die Lehrerin das Pensum der insgesamt zwölf Zeitstunden an. „Die 26 Buchstaben teilen wir gerecht auf alle vier Abende auf“.

Shiri Dettmann-Nouri stammt aus der ägyptischen Großstadt Alexandria. Doch schon lange hat die studierte Anglistin und Islamwissenschaftlerin den Nil mit dem Rhein getauscht und fühlt sich in Bad Godesberg heimisch. „Ich war aber auch immer wieder im Ausland und habe an Entwicklungshilfeprojekten mitgewirkt“, erzählt die passionierte Pädagogin, die schon in der Türkei Lehrer fortgebildet hat.

Dass zur ersten Kursstunde vier Personen mehr erschienen sind als auf der offiziellen Anmelde-Liste vermerkt wurden, freut die Kursleiterin. Offenbar ist das Interesse an der arabischen Welt groß - trotz der mit ihr verbundenen Flut von negativen Schlagzeilen. Schließlich gibt es abseits von Fundamentalismus und Nahost-Konflikt noch eine Welt, die in der medialen Berichterstattung häufig zu kurz kommt. So treibt viele Kursteilnehmer die Reiselust, wie Heidi und Anna zum Beispiel. Das Mutter-Tochter-Gespann freut sich auf eine Reise nach Ägypten und will wenigstens die Speisekarte lesen können - und das nicht nur in der englischen Übersetzung. Auch Klaus plant eine Reise nach Nordafrika. Nach Tauchurlaub in Ägypten soll es diesmal nach Marokko und Algerien gehen. Marokko ist auch das Ziel von Ismael, dessen Freundin von dort stammt. Journalist Axel ist aus beruflichen Gründen da. Einmal war er kurz davor Muammar Gaddafi zu interviewen. Doch der wurde ihm vor der Nase weggezerrt. Das soll ihm nicht noch einmal passieren.

Und dann wird es ernst. Shiri Dettmann-Nouri zieht mit Hilfe eines Besens horizontale Linien. Den Schülern empfiehlt sie, ebenfalls ein Heft mit Linien zu verwenden, so eins, das auch Erstklässler benutzen, damit Buchstaben nicht zu groß oder zu klein geraten. „Es ist besser, mit einem Bleistift zu schreiben, damit man Fehler schnell weg radieren kann“, rät sie in weiser Voraussicht.

Denn das Perfide am Arabischen ist nicht nur das ungewohnte Alphabet, das Laute kennt, die es im Deutschen gar nicht gibt, sondern dass ein Buchstabe je nach seiner Position im Wort seine Gestalt ändert. Sieht der Buchstabe für den Laut »i« am Wortanfang noch wie ein flachgelegter Spazierstock mit zwei Pünktchen drunter aus, ähnelt er am Wortende einer tiefer gelegten Sichel mit rechtem Haken. Doch Shiri Dettmann-Nouri schreibt schon die ersten kurzen Worte an die Tafel, die es zu dechiffrieren gilt. „Man muss einfach die Punkte zählen“, schlägt Ingrid vor. Oder das Publikum befragen, doch das zeigt mehrheitlich ratlose Gesichter. Buchstabe für Buchstabe entschlüsselt die Lehrerin die ersten Worte, die sich als Codes für bayt (Haus), ibn (Sohn), ana (Ich) oder bint (Mädchen) entpuppen. Langsam dämmert es den Schülern. Besser als die Punkte zu zählen, ist auf jeden Fall, sich zu merken, was der Punkt über oder unter dem Bogen bewirkt. Ist er drunter ist's ein 'b', ist er drüber ist's ein 'n'. Bis zum nächsten Kursabend sollte das Erkennen der Punkt-Bogen-Kombinationen sitzen. Denn dann sind die nächsten acht Buchstaben dran.

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