Bei Lok Moskau zurückgetretenDie Flucht des Ex-Kölners Markus Gisdol vom Kreml

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Markus Gisdol ist bei Lok Moskau als Trainer zurückgetreten.

Köln/Moskau – Die vergangenen Tage in der russischen Hauptstadt dürften für Markus Gisdol surreal gewesen sein. Der 52-Jährige, von November 2019 bis April 2021 Cheftrainer des 1. FC Köln, wohnte in Moskau am Herzen der Macht – oder vielmehr am Hort des Bösen. Rund 300 Meter entfernt vom Kreml hatte der  Coach des Erstligisten Lokomotive Moskau eine Wohnung bezogen. Doch in der Metropole geht das Leben derzeit fast seinen gewohnten Gang, der Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine wird im wahrsten Sinne totgeschwiegen. Offiziell ist im Kreml  ohnehin von einer „militärischen Sonderoperation“ die Rede. Doch Gisdol kennt die Realität.

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Mit bemerkenswerten Worten erklärte der frühere Bundesliga-Coach seinen Abschied vom Siebten der Premjer-Liga, er hatte  auf eine Auflösung seines bis  Juni 2022 laufenden Vertrags gedrängt. „Fußballtrainer ist für mich der schönste Job der Welt. Ich kann meiner Berufung aber nicht in einem Land nachgehen, dessen Staatsführer einen Angriffskrieg mitten in Europa verantwortet. Das geht mit meinen Werten nicht überein. Ich kann nicht in Moskau auf dem Trainingsplatz stehen, die Spieler trainieren, Professionalität einfordern – und ein paar Kilometer weiter werden Befehle erteilt, die großes Leid über ein gesamtes Volk bringen. Das ist meine persönliche Entscheidung und hiervon bin ich absolut überzeugt“, sagte Gisdol der „Bild“.

Zum Zeitpunkt dieser Wortmeldung war Gisdol schon nicht mehr im Land des Aggressors. Zwar war er am vergangenen Donnerstag noch mit der Mannschaft nach der Beendigung des sechswöchigen Trainingslagers im spanischen Marbella nach Moskau zurückgekehrt. Doch in den folgenden  Stunden spitzte sich die Lage in der Ukraine immer mehr zu. Der Rückrunden-Auftakt von Lok am vergangenen Wochenende in Krasnodar wurde abgesagt. Wegen der Nähe zu den Kampfhandlungen war dort der Luftraum gesperrt.

Staatsbahn ist Eigentümer von Lok

Dazu kommt: Lok hat enge Verbindungen zum Kreml. Denn die Russische Staatsbahn RZD ist, wie es der Name schon vermuten lässt, Eigentümer des Klubs.

Gisdol war erst seit Mitte Oktober im Amt. Ralf Rangnick, damals bei Lok Leiter Sport und Entwicklung, hatte seinen  einstigen Weggefährten verpflichtet. Doch nur zwei Monate später verließ Rangnick den Klub und wurde  Trainer bei Manchester United. In Russland wird zwar netto bezahlt, das ist lukrativ. Doch mit dem Ausschluss des Landes vom Zahlungssystem Swift gestaltet sich auch die Gehaltsüberweisung schwierig.

Ausreise über Istanbul

Zwar leitete Gisdol am Wochenende noch das Training, doch  am Montag verließ der Coach Russland fast fluchtartig. Was nicht einfach war: Die EU hat den Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt, über den Umweg Istanbul flog Gisdol nach Deutschland. Auch sein Co-Trainer Lutz Siebrecht verließ das Land.

Von einem Rücktritt war am Dienstagvormittag allerdings nicht die Rede, als Lok  Gisdols Abschied über die sozialen Medien öffentlich machte. Der Deutsche sei „entlassen“, teilte der Klub  in einem einzigen Satz und ohne ein Foto des Ex-Trainers mit. Auch wenn man das eher unter Propaganda verbuchen sollte, so ist das nicht ganz unwichtig. Denn Lok dürfte rechtlich gesehen Schwierigkeiten bekommen, Gisdol Vertragsbruch vorzuwerfen und Regressforderungen zu stellen. Bei Vertragsbruch würde in normalen Zeiten auch eine Sperre seitens der Fifa drohen. Man kann sich zwar eigentlich nicht ausmalen, dass der Weltverband einen Trainer sperren würde, der das Land eines Kriegstreibers verlässt. Doch bei der  Fifa um Boss Gianni Infantino, bis vor kurzem noch als Intimus Putins bekannt, scheint vieles möglich.

FC zollt Gisdol Respekt

Seinem Ex-Klub 1. FC Köln nötigt Gisdols Schritt Respekt ab. „Das ist eine persönliche Entscheidung, vor der ich höchsten Respekt habe, die für mich absolut richtig und nachvollziehbar ist. Vor allem wenn man bedenkt, dass sein bisheriger Arbeitgeber staatlich subventioniert wird“, sagte der scheidende FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle dieser Zeitung und betonte: „Meine  ganz persönliche Meinung: Man kann in einem  Land, das ein Angriffskrieg gegen ein demokratisches Land führt, nicht mehr einfach so weiterbeschäftigt sein, als sei nichts geschehen.“ Auch Steffen Baumgart lobte seinen Vor-Vorgänger in Köln. Das sein ein „klares Statement. Man kann ihm nur gratulieren. Aus seiner Sicht wird er den richtigen Weg gegangen sein, ich kann das nur begrüßen“, sagte der FC-Trainer.

Als Interimstrainer bei Lok soll nun Marvin Compper (36) fungieren. Der Ex-Profi, der ein A-Länderspiel für Deutschland bestritt, ist seit November vergangenen Jahres für die Russen als Analyst tätig. Offen ist, was mit den zahlreichen anderen Deutschen bei Lok passiert. Sascha Marth war oder ist Torwart-Trainer und Martin Hämmerle für die Fitness zuständig, das Scouting leiteten Christian Möckel und Matthias Wallenwein, der Deutsch-Russe Tomas Zorn ist Sportdirektor. Lars Kornetka, von 2014 bis 2018 Co-Trainer bei Bayer 04 Leverkusen, ist seit dem Weggang von Rangnick sogar Geschäftsführer Sport.

Schwarz und Farke noch in Russland

Doch es gibt noch zwei weitere deutschen Cheftrainer in Liga eins: Daniel Farke (45, zuletzt Norwich City) ist erst seit Mitte Januar beim FK Krasnodar im Amt, Sandro Schwarz (43) ist  Coach des Zweiten Dynamo Moskau.  Er harrt noch in Moskau aus. Der Ex-Mainzer erklärte zuletzt nach dem Sieg gegen Chimki (3:0) mit versteinerter Miene und den Tränen nahe, dass er noch bleiben wolle: „Ich bin nicht einer, der sich ein Ticket kauft, ins Flugzeug springt und von Russland weg fliegt. Ich fühle meine Verantwortung und bleibe.“  Sein Co-Trainer, der frühere FC-Profi  Andrej Woronin, hatte Russland da schon verlassen. Er ist Ukrainer und schloss nicht aus, in seiner Heimat zur Waffe zu greifen.

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