Ex-FC-Profi Thomas Broich im Interview„Auch ich war damals ein Vogel“

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Thomas Broich FC

Thomas Broich spielte drei Jahre lang für den FC.

  • Der ehemalige FC-Mittelfeldspieler Thomas Broich war beim bisher letzten Sieg der Kölner bei Bayern München auf dem Feld.
  • Im Interview spricht Broich über das Spiel in München, in dem er glaubte, einen Elfmeter verschuldet zu haben.
  • Außerdem zieht er eine Bilanz seiner Zeit als Fußballer in Australien.

Thomas Broich, vor zehneinhalb Jahren gewann der 1. FC Köln am Karnevalssamstag beim FC Bayern – und Sie standen auf dem Platz.

Ich war dabei, irgendwie aber auch wieder nicht, weil ich nur für die letzten zehn Minuten eingewechselt wurde. Meine Erinnerung ist, dass ich tatsächlich keinen Ball berührt habe, was an der Spielsituation lag. Wenn man bei den Bayern 2:1 führt, kann man sich vorstellen, wie die letzten zehn Minuten ablaufen. Das bedeutet so einen brutalen Druck, da verschiebt man eigentlich nur noch.

Dennoch hätten Sie beinahe eine entscheidende Rolle gespielt.

Ja. Ich musste gegen Miro Klose einen hohen Ball verteidigen. Er ist wie ein Helikopter gestartet, war drei Etagen über mir. Und ich habe ihn einfach am Trikot runtergerissen, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste. Da hatte ich für einen Moment echt Schiss: Die Jungs führen 2:1, ich komme rein, habe keinen Ballkontakt – und verursache einen Elfmeter. Zum Glück gab es noch keinen Videobeweis.

Wie würden Sie Ihre Kölner Zeit beschreiben?

Sportlich turbulent, aber privat ein Traum. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt seit zwei Jahren wieder hier lebe. Großartige Stadt, großartige Leute. Und ein hoch emotionaler Verein, was als Profi nicht immer einfach war, weil ich damals auch deutlich jünger, unreifer und vielleicht auch zu sensibel war. Damals war Christoph Daum Trainer, Michael Meier Manager und Wolfgang Overath Präsident.

Ich hatte das Gefühl, dass an allen Ecken und Enden des Vereins etwas los war. Das waren schon Persönlichkeiten. In Kombination mit der Kölner Medienlandschaft und dem großen öffentlichen Interesse war das eine heftige Rezeptur (lacht).

Wie war Christoph Daum? Sehr intensiv. Am meisten ist mir seine Akribie in Erinnerung geblieben. Er hat alles dokumentiert, aufgeschrieben und abgeheftet. Man könnte sagen, dass er einfach der große Motivator war, der immer brennt, und natürlich hatte er krasse Energielevels. Aber es gab eben auch diese andere Komponente, diese unglaubliche Gründlichkeit.

Wie war er im Umgang mit den Spielern?

Er hat uns immer geschützt. Auch mich persönlich. Ich habe mal ein Training verpennt, und als ich dann viel zu spät am Geißbockheim ankam, bin ich über den Zaun gesprungen und wurde natürlich gesehen und fotografiert. Aber Christoph Daum hat einfach erzählt, ich sei vom Arzt gekommen. Und als jemand fragte, warum ich dann über den Zaun geklettert sei, sagte er nur: „Es liegt nicht in meiner Verantwortung, auf welchem Weg der Thomas zum Training kommt.“

Sie haben damals in einer bunten Truppe gespielt mit vielen Nationalitäten. Gibt es Mitspieler von damals, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Rückblickend muss ich sagen, dass das damals fast alle super Typen waren. Es gab viele, die in Fragen der Professionalität womöglich etwas Luft nach oben hatten. Aber ich muss ehrlich sein und sagen, dass auch ich damals ein Vogel war.

Was meinen Sie damit?

Mein Weg war, ein bisschen auf Rebell zu machen und mich zu isolieren. Das war im Grunde genommen Quatsch, denn es geht ja darum, miteinander auszukommen; mit Rückschlägen und Gegenwind umzugehen.

Hatten Sie einen Draht zu Ihren Mitspielern? Hatten Sie privat mit Faryd Mondragon oder Milivoje Novakovic zu tun?

Privat hat es sich eher verlaufen. Ich hatte meine eigenen Freunde in Köln, das war mir auch wichtig, um Abstand zu gewinnen. Gerade nach schlechten Spielen. Das hat mir schon zu schaffen gemacht. Man nimmt das als junger Kerl schon persönlich. Deshalb habe ich die Zeit in Australien auch so genossen, weil es das ganze Brimborium nicht gab.

Allerdings dürfte in Australien auch die Höhe des Einkommens gesunken sein.

Brauchen wir gar nicht drüber zu reden: Natürlich habe ich dort weniger als in der Bundesliga verdient. Aber ich konnte mich dort mit dem Fußball versöhnen, das war in der Phase für mich wichtiger. Für mich war der Fußball vergiftet nach den vielen negativen Erfahrungen. In Australien konnte ich wieder begreifen, dass Fußball nicht doof ist. Im Prinzip war Australien keine weise Entscheidung, kein Plan. Ich bin einfach nur abgehauen.

Weshalb?

Um wieder glücklich sein zu können. In Deutschland steckte ich komplett in der Sackgasse. Ich hatte auf dem Trainingsplatz ein flaues Gefühl im Magen und konnte keinen Ball mehr stoppen. Als hätte ich Blei in den Beinen. Ich musste raus.

Das klingt fast nach Burnout oder einer depressiven Phase.

Ich war nicht ausgebrannt im Sinne von überarbeitet, und mit dem Begriff Depression möchte ich auch vorsichtig umgehen. Ich hatte immer ein Leben außerhalb des Fußballs, mit dem ich zufrieden war. Aber der Fußball war für mich irgendwann nur noch negativ besetzt. Und dann funktioniert nichts mehr. In Australien hatte ich Phasen, in denen ich über den Platz geschwebt bin: Alles war selbstverständlich, jeder Ballkontakt fühlte sich perfekt an.

In Australien mussten Sie aber auch Spiele gewinnen.

Ja, es war aber für mich viel leichter, da ich ein unbeschriebenes Blatt war und ganz neu anfangen konnte. Da hat sich niemand dafür interessiert, wo ich überall gescheitert war.

Gescheitert?

Ich finde zumindest, dass ich mein Potenzial nicht dauerhaft abgerufen habe. Ich habe nicht genug beitragen können. Ich wollte das Gefühl haben, wichtig für eine Mannschaft zu sein. Das habe ich in Australien wiedergefunden. Dort haben sich Mitspieler an mir orientiert, ich durfte vorangehen. Das hat mich als Mensch ganz anders erfüllt.

Wie war das sportliche Niveau in Australien?

Fußballerisch vielleicht untere Zweite Liga. Aber Australien ist eine große Sportlernation, körperlich gab es nur Vollgas. Da habe ich noch einmal eine ganz andere Art von Sportsgeist und Einstellung kennengelernt. In Deutschland wird viel über individuelle Klasse geregelt, es werden auch mal Kräfte geschont. Das gibt es in Australien nicht, da geht man nach jedem Training vom Platz und ist platt. Von der Technik und vom taktischen Verständnis her war ich schon besser. Das waren Glücksquellen für mich: Ich hatte nach langer Zeit wieder das Gefühl, mir als Fußballer gerecht zu werden.

In Deutschland hatten Sie dieses Gefühl nicht?

Die Messlatte war mein Niveau in der Anfangsphase bei Borussia Mönchengladbach. Da bin ich nicht konstant drangekommen. Profifußball ist nicht mal ja und mal nein. Profisport ist Philipp Lahm. Das habe ich nicht hinbekommen, das hat an mir genagt.

Ist es nicht gefährlich, sich an den besten der Welt zu messen?

Ich hatte auch Jungs in meiner eigenen Mannschaft, die permanent abgerufen haben. Kevin McKenna, Youssef Mohamad: Da gab es auch Leistungsschwankungen. Aber du wusstest: Da kommt immer was. Bei mir war dann eher die Frage: Wann kommt mal wieder was?

Sie haben ein Runde über Australien gedreht und leben heute wieder in Köln. Ist jetzt alles gut?

Ich habe nicht mehr das Gefühl, mich vom Fußball fernhalten zu müssen. Ich habe wieder Spaß daran, spreche gern darüber. Das war mir wichtig, weil der Fußball schon immer ein großer Faktor in meinem Leben war und ja auch bleiben soll. Als junger Mensch ist es schwierig genug, seine Rolle im Leben zu finden. Aber wenn man durch den Fußball so extrem im Fokus steht, ist es schwierig, eine ausgeglichene Persönlichkeit zu entwickeln. Heute läuft es geschmeidiger. Ich bin zufrieden.

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