Interview mit Ex-Kölner Özcan„Bin überzeugt, dass Schritt zum BVB richtig war“

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Salih Özcan (r.) und Marco Reus feiern einen Treffer für Borussia Dortmund im Heimspiel gegen RB Leipzig am 3. März 2023.

Für einige Kölner sicherlich noch immer etwas ungewohnt: Salih Özcan (r., neben ihm Marco Reus) im BVB-Trikot

Über 14 Jahre lief Salih Özcan für den 1. FC Köln auf. Im Sommer wechselte der Ehrenfelder dann zu Borussia Dortmund. Am Samstag kommt es zum Duell mit der alten Liebe.

Herr Özcan, in der Champions League ist Borussia Dortmund im Achtelfinale ausgeschieden, in der Bundesliga Zweiter und steht im Pokal-Viertelfinale. Ist die Saison nur dann eine erfolgreiche, wenn ein Titel herausspringt?

Salih Özcan: Am Ende etwas in der Hand zu halten, ist auf jeden Fall das Ziel und natürlich unser Anspruch. Auch wenn im Rückspiel gegen Chelsea viel über den unberechtigten Elfmeter gegen uns gesprochen wurde, so müssen wir doch ehrlich sein: Wir hatten es in einem knappen Vergleich letztlich nicht verdient weiterzukommen. Im Hinspiel haben wir das 1:0 noch über die Zeit gerettet, doch in London waren wir nicht gut genug. Es bleiben aber noch zwei Titel-Chancen. Die Sehnsucht auf die Meisterschaft spürt man in Dortmund jeden Tag. Wir wollen die Fans und uns glücklich machen, doch wir wissen auch, dass für den Titel in einem Konkurrenzkampf unter anderem mit Bayern alles, aber wirklich alles passen muss.

Das jüngste 2:2 bei Schalke 04 war folglich ein Rückschlag?

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Es hat sich angefühlt wie eine Niederlage, denn für unsere Qualität war das zu wenig. Wir haben uns unnötigerweise auf die wilde Spielweise von Schalke eingelassen. Trotzdem sollten wir positiv bleiben. Wir hatten zuvor acht Bundesligasiege in Serie geholt und sind immer noch auf einem sehr guten Weg. Wir wissen, was wir besser machen müssen. Wir führen die Rückrundentabelle an, sind gefestigter als in der letzten Saison, hatten den Neun-Punkte-Rückstand auf die Bayern zwischenzeitlich wettgemacht und sind auch in der Lage, im direkten Duell am 1. April in München zu bestehen. Aber jetzt geht es erstmal ausschließlich um das Duell mit dem FC.

Kölner Stadt-Anzeiger

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Sie sind seit Ihrem Wechsel im Sommer vom FC zum BVB in 28 Pflichtspielen zum Einsatz gekommen und standen 25 Mal in der Startelf. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?

Ich kann auf jeden Fall zufrieden sein. Ich habe mich weiterentwickelt. Nach meinen Verletzungsproblemen zu Saisonbeginn habe ich relativ schnell meine Rolle im Team gefunden und mir einen Stammplatz erkämpft. Ich weiß aber auch, dass ich diesen auch schnell wieder los sein kann. Du musst hier permanent abliefern, die Konkurrenz im Kader ist riesig. Das war beim FC in diesem Ausmaß natürlich nicht der Fall.

Sie warten weiter auf Ihre erstes Tor für den BVB. Warum hat es noch nicht geklappt?

Das weiß ich selbst nicht genau. Ich spiele etwas defensiver als in Köln und habe auch etwas andere Aufgaben auf dem Platz. Doch ich bin selbstkritisch genug, um zu wissen, dass ich torgefährlicher werden und auch mehr Aktionen nach vorne haben muss. Natürlich ist es nicht so entscheidend, wer trifft, sondern dass wir überhaupt regelmäßig treffen. Aber ich will, dass der Knoten platzt. Daran arbeite ich.

Wie groß war die Umstellung nach dem Wechsel?

Der FC ist in Deutschland ein Traditionsklub und auch eine große Nummer, doch ich habe schnell festgestellt, dass beim BVB alles noch einmal eine Nummer größer ist. Das gilt für das Interesse am Klub, für die Erwartungen und für den Erfolgsdruck. Beim FC war ja das vorrangige Ziel der Klassenerhalt. Und ich hatte zuvor noch in keiner Mannschaft mit solch herausragenden Spielern wie Jude Bellingham, Marco Reus oder Julian Brandt gespielt. Im Kader steckt so viel Potenzial. Deshalb konnte ich es kaum erwarten, mich auf diesem Level zu beweisen.

Sie sind in Köln geboren, waren 14 Jahre beim FC und sind dort zum Profi geworden. Die Geschichte hätte man auch weiterschreiben können…

Köln und der FC bleiben auch meine Heimat, aber ich denke und hoffe, dass die Kölner Fans meine Entscheidung nachvollziehen können. Ich bin 25 Jahre alt und will in meiner Karriere vorankommen. Der BVB spielt um die Meisterschaft und regelmäßig in der Champions League. Die kannte ich vorher nur aus dem TV oder vom Stadionbesuch. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, selbst dort aufzulaufen. Als ich auf dem Rasen die Hymne gehört hatte, bekam ich Gänsehaut. Da hat sich ein Traum erfüllt. Ich bin glücklich beim BVB und überzeugt, dass der Schritt der richtige war – auch wenn mir der Wechsel nach so vielen Jahren beim FC wahrlich nicht leicht gefallen war. Doch die Chance, zu solch einem Verein zu wechseln, ergibt sich vielleicht nur einmal. Ich musste sie nutzen. Ich habe einen Vertrag bis 2026. Der BVB hat mit dieser Mannschaft eine tolle Perspektive und viel vor, und das habe ich auch. Kontakt zum FC besteht weiter. Von meiner Wohnung im Dortmunder Süden sind es nicht einmal 90 Kilometer bis nach Ehrenfeld.

Auch Anthony Modeste ist nach Dortmund gewechselt. Doch er wirkt nicht glücklich – und der BVB nicht mit ihm. Warum passt es nicht?

Dass ein Stürmer nicht glücklich ist, wenn er wenig spielt und nicht trifft, das ist doch klar. In Köln hat sich vieles um Tony gedreht. Natürlich auch das Spiel, das mit den vielen Flanken in den Strafraum ganz wesentlich auch auf ihn ausgerichtet war. Hier ist der Spielstil ein anderer und die Konkurrenz größer. Ich denke nicht, dass Tony grundsätzlich mit dem Wechsel hadert, der BVB hat ihm mit 34 Jahren die Chance gegeben, zum ersten Mal in seiner Laufbahn in der Champions League zu spielen. Wie er seine aktuelle Situation sieht, das müssen Sie ihn aber schon selbst fragen.

Der 1. FC Köln wiederum vermisst die Torjäger-Qualitäten von Modeste, der in der vergangenen Saison 20 Treffer für den FC erzielte. Seit fast 800 Minuten wartet der FC auf ein Stürmer-Tor.

Ich bekomme natürlich mit, dass es in Köln eine Stürmer-Diskussion gibt. Ich glaube, dass das Ganze in erster Linie viel mehr eine Kopfsache und weniger eine Sache der Qualität ist. Es ist nie einfach, wenn die torlosen Minuten der Angreifer gezählt werden und der Druck zu treffen immer größer wird. Zudem darf man nicht vergessen, dass Mark Uth dem FC schon die ganze Saison über verletzungsbedingt fehlt. Er war und ist für das Kölner Offensivspiel sehr wichtig.

Salih Özcan (r.) und Coach Steffen Baumgart unterhalten sich während des Trainings des 1. FC Köln im Januar 2022.

Verstanden sich bestens: Unter Trainer Steffen Baumgart (l.) blühte Salih Özcan in der vergangenen Saison beim 1. FC Köln wieder auf.

Hat es Sie überrascht, dass der FC in eine Krise geraten ist?

Ja, denn Köln war ja auf einem guten Weg. Ich hatte mir gewünscht, dass es so positiv weiter läuft. Dem FC fehlt derzeit einfach das Momentum. Ich glaube nicht, dass Steffen Baumgart etwas anders macht als in der letzten Saison. Er ist ein toller Trainer, den ich sehr schätze und dem ich viel zu verdanken habe. Unabhängig vom Ausgang des Spiels bin ich überzeugt, dass der FC die Klasse hält. Die Mannschaft hat genug Qualität, um nicht bis zuletzt um den Klassenerhalt zittern zu müssen.

Was erwarten Sie für ein Spiel?

Ein sehr intensives. Und es wird wohl enger zugehen als viele vielleicht denken. Wir müssen vor allem die Kölner Konter unterbinden, da ist der FC besonders gefährlich. Wenn wir unseren Spielstil durchdrücken und dominant agieren, dann bin ich überzeugt davon, dass die drei Punkte in Dortmund bleiben.

Nach der Partie sind Sie mit der türkischen Nationalmannschaft in der EM-Qualifikation gefordert. Wie stehen die Chancen in Ihrer Gruppe mit Kroatien und Wales?

Das klare Ziel ist, dass wir uns für die EM in Deutschland qualifizieren. Das sollte absolut möglich sein. In den letzten Jahren hat uns am Ende immer etwas gefehlt, doch unter Stefan Kuntz sind wir konstanter und zu einer echten Einheit geworden. Qualität hat die Truppe ohnehin.

Die Türkei wurde von einem verheerenden Erdbeben getroffen. Kann eine Gesellschaft eine derartige Katastrophe überhaupt in absehbarer Zeit verkraften?

Das Erdbeben war eine Tragödie, die vor allem die Ärmsten der Armen getroffen hat. Auch wenn meine Verwandten verschont geblieben sind, kennen wir doch genügend Menschen, die zu Opfern dieser Katastrophe wurden. Mein Vater ist vor kurzem in das Erdbebengebiet gereist und hat versucht, vor Ort zu helfen. Ich selbst habe privat gespendet und Organisationen unterstützt. Die Nationalmannschaft hilft mit ihrer Stiftung. Es ist bewegend zu sehen, wie sich die Menschen gegenseitig unterstützen und wie ein Volk zusammenhält. Aber klar ist auch, dass es Jahre und Generationen braucht, alles aufzubauen und zu verarbeiten.

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