Wehrle im Interview„Vielleicht ergibt sich auch die Chance, die Herzen zu reinigen“

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Seit 2013 Geschäftsführer des 1. FC Köln und seit 2019 Mitglied im DFL-Präsidium: Alexander Wehrle (45)

  • Das DFL-Präsidiumsmitglied spricht über die Auswirkungen der Coronakrise, mögliche Lösungen, Verantwortung und Solidarität.
  • Der 45-Jährige geht weiterhin von einem Abschluss der Saison aus. Den FC sieht er nicht in seiner Existenz gefährdet.
  • Die Vereinsführung sei sich aber einig, dass sie an der 50+1-Regel festhalten und ein mitgliedergeführter Klub bleiben will.

Köln – Herr Wehrle, am vergangenen Montag und Dienstag haben die DFL und Uefa wichtige Beschlüsse verkündet. Wie bewerten Sie diese?

Es war ein gutes und wichtiges Signal, dass die 36 Klubs aus der Ersten und Zweiten Bundesliga sich einig darin waren, dass die Saison zu Ende gespielt werden soll. Ist dies möglich, muss man leider davon ausgehen, dass es Spiele ohne Zuschauer werden. Die Entscheidung der Uefa, die EM um ein Jahr auf 2021 zu verschieben, war alternativlos.

Am 30. März will sich die DFL erneut treffen. Was soll bis dahin an der Situation anders sein? Alles spricht doch eher für eine Verschlechterung. 

Jeder Tag bringt uns derzeit weitere und neue Erkenntnisse. Wir wollen festlegen, wann es realistisch ist, den Ligabetrieb fortsetzen zu können.

Sie glauben ernsthaft an einen Abschluss der Saison? Einige Epidemiologen gehen sogar von einer ganz langen Spielpause aus.

Die Entwicklung der Coronakrise ist dynamisch, die Gesundheit und das Wohlergehen von Spielern, Mitarbeitern und Fans haben absolut Vorrang. Es liegt an uns als Gesellschaft, in den nächsten Wochen alles runter zu fahren und den klaren Anordnungen der Politiker und Virologen Folge zu leisten. Wissen Sie, mein Vater ist 85 Jahre alt. Ich habe ihm gesagt, dass er vorerst möglichst nur zu Hause bleiben soll. Meine 75-jährige Mutter übernimmt die Einkäufe und wahrt die vorgeschriebene Distanz zu den Mitmenschen. Beide verstehen die Vorgaben und halten sich dran. Nur so geht es. Wir werden im Fußball weiter den Vorschlägen und Vorgaben der Experten und Behörden folgen und auf dieser Grundlage  immer wieder alle verfügbaren Möglichkeiten prüfen, um wieder zu spielen, sobald die Bedingungen das erlauben. Wir tragen eine Verantwortung für das Spiel und unsere Vereine. Alleine bei den 36 Profiklubs sprechen wir über eine Branche, die 56000 Menschen beschäftigt, die einen Gesamtumsatz von fünf Milliarden Euro erwirtschaftet und 1,4 Milliarden Euro Steuern und Abgaben leistet.

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Wann müsste in der Liga spätestens wieder der Ball rollen?

Durch die EM-Verschiebung haben wir etwas mehr Spielraum. Doch je länger es sich hinzieht, desto schwieriger wird die Spielplangestaltung. Ende April, Anfang Mai sollte es schon losgehen.

Und was ist, wenn die Saison doch nicht zu Ende gebracht werden kann? Haben Sie schon mal Szenarien durchgespielt, wie es mit der Liga dann weitergehen könnte?

Nein, im Präsidium der DFL wurde das noch nicht thematisiert. Ich halte auch nichts davon, schon jetzt über Eventualitäten zu sprechen. Wie gesagt, wir gehen derzeit davon aus, dass die Saison zu Ende gespielt werden kann. Sollten wir die Pandemie nicht in den Griff bekommen, hätten wir eine neue Ausgangssituation. In dem Fall hätten ganz viele Profivereine, nicht nur die aus dem Fußball, eine riesige Herausforderung vor sich. Dann geht es für viele schlicht um die Existenz. Wir brauchen Lösungen.

Sollten sich noch weitere Spieler infizieren, erscheinen Spiele absurd. Andererseits sind auch so genannte PCR-Schnelltests im Gespräch, mit denen man immerhin die Spieler unmittelbar vor den Spielen checken könnte.

Wir handeln verantwortungsvoll. Die Gesundheit steht an oberster Stelle. Wir hoffen, dass es in ein paar Wochen Schnelltests gibt, die im Fall der Fälle sichere Ergebnisse liefern könnten.

Kommen wir zu den Lizenzspielerverträgen. Von denen laufen etliche am 30. Juni aus.

Bei uns betrifft das die Verträge von Thomas Kessler und den Leihspielern Mark Uth und Toni Leistner sowie der Spieler, die wir verliehen haben. Sollte die Saison länger als bis zum 30. Juni laufen, dann müssten wir uns ohnehin mit allen Verbänden und Beteiligten zusammensetzen, um über eine Sonderlösung in Bezug auf die Vertragslaufzeit und den Beginn der Transferperiode zu sprechen. Beides müsste nach hinten verschoben werden.

Auch wenn es vielleicht etwas spitzfindig klingt: Sportchef Horst Heldt und Trainer Markus Gisdol haben nur Verträge für die Bundesliga. Der FC müsste also auch rechnerisch den Klassenerhalt geschafft haben.

Das stimmt, aber wir haben derzeit 32 Punkte. Keiner hört doch jetzt einfach auf zu arbeiten. Die Planungen, auch für die neue Saison, laufen längst. Wir werden auch da Lösungen finden.

Sollte gespielt werden können, hätte der FC fünf Geisterspiele und nur in diesem Bereich Einnahmeverluste von knapp neun Millionen Euro. Bereits im vergangenen Sommer hatte der FC über das geplante Maß Transfers getätigt und mit Brückenfinanzierungen gearbeitet. Geht es da nicht irgendwann um die Existenz des Klubs?

Nein. Aber die Einschnitte sind auch für uns hart und im Hinblick auf die Planung der neuen Saison eine Belastung. Durch Fremdkapital können wir kurzfristige Liquiditätsausfälle überstehen. Und durch unser Eigenkapital in Höhe von 38,5 Millionen Euro haben wir zudem einen Puffer.

Wie arbeitet aktuell der Verein?

Allgemein ist rund die Hälfte der Mitarbeiter im Homeoffice. In jedem Büro sitzt nur noch eine Person. Vorstand und Geschäftsführung arbeiten sehr gut und sehr eng zusammen. In den vergangenen Tagen haben wir viele Videokonferenzen durchgeführt und auch die Gremienzusammenarbeit funktioniert reibungslos.

Dieser Vorstand war bisher für die Beibehaltung der 50+1-Regel. Doch die Coronakrise entfacht auch Diskussionen um deren Abschaffung. Bleibt der FC bei seinem Credo?

Vorstand, Geschäftsführung und die Gremien stehen weiter zur 50+1-Regel, wir wollen ein mitgliedergeführter Verein bleiben.

Und wenn nach dieser schweren Phase doch ein Investor kommt, würde der FC diesen etwa ablehnen?

Wenn man über eine Veräußerung von Unternehmensanteilen nachdenkt, dann sollte man dies grundsätzlich aus einer Position der Stärke heraus diskutieren und nicht in so schwierigen, unsicheren Phasen. Zudem hat sich der Vorstand dazu ja klar positioniert.

Wie erleben sie zurzeit die Gesellschaft?

In den letzten Jahren haben wir uns leider mehr zu einer Ellenbogen- und  Ich-bezogenen Gesellschaft entwickelt. Mein Eindruck aktuell ist ein anderer: Der überwiegende Teil der  Menschen zeigt sich  solidarisch und hat mehr die Gemeinschaft im Sinn. Das ist bei allem Schlimmen auch etwas Gutes. Derzeit ist es sehr wichtig, sich die Hände zu waschen. Vielleicht ergibt sich auch die Chance, die Herzen zu reinigen.    

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