FC-Ikone wird 80Wie Karl-Heinz Schnellinger gegen und in Italien sein Glück fand

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17. Juni 1970: WM-Halbfinale in Mexiko-Stadt, 90. Minute: Karl-Heinz Schnellinger (in der Luft) erzielt das 1:1. 

  • Karl-Heinz Schnellinger, einst erfolgreicher Verteidiger des 1. FC Köln und des AC Mailand, wird am Samstag 80 Jahre alt.
  • Die außergewöhnliche Geschichte des Abwehrspielers, der im WM-Halbfinale 1970 im „Jahrhundertspiel“ gegen seine Wahlheimat Italien traf.

Köln – Die Bilder sind mittlerweile leicht abrufbar im Internet.  Azteken-Stadion, Mexiko-Stadt, Deutschland gegen Italien, Halbfinale der WM 1970 am 17. Juni, dem Tag der Deutschen Einheit, damals ein Feiertag. Fernsehbilder in Farbe und technisch wunderbarer Fußball sind zu sehen. Italien geht  früh in Führung, 8. Minute, Roberto Boninsegna trifft.

Deutschland, mit dem Italien-Legionär Karl-Heinz Schnellinger in der Abwehr, will der Ausgleich einfach nicht gelingen, überlegenes Spiel, viele Chancen, gleich ein paar nicht gegebene Elfmeter, der Schiedsrichter aus Mexiko mit Namen Arturo Yamasaki pfeift grauenvoll. Die 90. Minute läuft schon, Einwurf für Deutschland, Jürgen Grabowski wird auf Linksaußen angespielt, flankt scharf nach innen. In der Mitte steht der Spieler mit der Nummer drei, Schnellinger, Spieler des AC Mailand, er springt in den Ball, beide Beine  voraus, trifft ihn im Fallen mit rechts. Tor. 1:1. Durch Schnellinger. Es ist die Szene seines fußballerischen Lebens.

Einer der besten Abwehrspieler seiner Zeit

Am Samstag wird der immer noch blonde Mann, geboren in Düren, fußballerisch groß geworden beim 1. FC Köln, 80 Jahre alt. Berühmt und weltweit geschätzt wurde  er jedoch als einer der besten Abwehrspieler seiner Zeit in Italien, einem Land der starken Abwehrspieler, und zwar als titelsammelnder, ausländischer Star des AC Mailand. Dort lebt er immer noch, etwas außerhalb, in Segrate in der Nähe des Flughafens Mailand-Linate. Gut geht es ihm, sagt er am Telefon. Wobei, mit dem Alter sei das so eine Sache: „Jeden Tag meldet sich was anderes im Körper, aber insgesamt ist alles in bester Ordnung.“

Eine große Feier ist nicht geplant: „Ich hoffe nicht, dass viel Theater ist.“ Die Familie möchte er aber treffen am Samstag. Mit seiner Ehefrau Uschi – „ein Dürener Mädchen“ – wird er seine drei Töchter  Birgit, Manuela und Katrin samt Anhang empfangen. Dazu gehören neben den Ehemännern auch vier Enkel im Alter von zehn bis 14 Jahren.

Von Düren 99 zum 1. FC Köln

Fußballerisch angefangen hat alles bei Düren 99, 2. Liga West, aufgefallen ist Schnellinger dabei auch Bundestrainer Sepp Herberger, der den damals 19-Jährigen mit zur WM 1958 in Schweden nahm, wo er auch zweimal zum Einsatz kam. Danach wechselte Schnellinger zum 1. FC Köln. Der FC sei auf ihn aufmerksam geworden, „weil ich bei Düren 99 gut gespielt habe“, sagt Schnellinger. Seine Eltern haben die Verhandlungen geführt, der damalige FC-Schatzmeister Richard Pelzer habe seiner Mutter gesagt, dass ihr Karl-Heinz überall spielen könne – „aber eins würde ich sagen: »Abends müssen die Schuhe von Ihrem Sohn unterm heimischen Bett stehen.« Da hat meine Mutter zu mir gesagt: »Köln ist so nah, geh’ zum FC.«“ Also habe er gehorcht. Anfangs ist er gependelt, erst nach seiner Hochzeit ist er nach Köln  gezogen.

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2012: Schnellinger  daheim in Mailand mit seiner Frau Uschi und  seinem Freund, dem bereits verstorbenen Ex-Radprofi Rudi Altig (r.).  

Es war eine erfolgreiche Zeit und die letzte Phase vor Einführung der Bundesliga. Viermal in Folge gewann der FC zwischen 1960 und 1963 den Titel in der Oberliga West. Dreimal schaffte es der Klub in dieser Zeit ins Endspiel um die deutsche Meisterschaft, einmal, 1962, holten die Kölner den Titel, 4:0 im Endspiel von Berlin gegen Nürnberg. Im selben Jahr wurde Schnellinger als erster FC-Spieler zum „Fußballer des Jahres“ gewählt. 

Der Jubel über die Meisterschaft war groß in Köln, Schnellinger erinnert sich daran, „dass es einen Umzug für uns durch die Stadt gegeben hat wie beim Karneval. Es war großartig.“ In Köln war er zuletzt vor zwei Jahren. Dass sein Name einst im alten Müngersdorfer Stadion auf einer riesigen Plakette im Kreise anderer Altstars angebracht war, wusste er nicht: „Das freut mich sehr. Ich hänge immer noch am FC. Ich hoffe, er kommt schnellstmöglich dahin, wo er hingehört, in die Bundesliga. Und ich wünsche ihm, dass er danach sehr bald, die Stellung hat, die er zu unserer Zeit hatte. Damals war das einer der besten Vereine in Deutschland.“

400 Mark im Monat beim 1. FC Köln

Und doch verließ Schnellinger den Klub, Italien lockte, der AS Rom, Schnellinger sagte zu. „Die Entscheidung war schwer. Ich hatte aber letztlich die Courage. Meine Frau war  auch dafür, und so haben wir uns entschlossen, nach Italien zu gehen.“ Und noch etwas sprach für den Umzug in den Süden: „In Köln habe ich als Fußballer 400 Mark im Monat bekommen. Was ich in Italien verdienen würde, das würde für ein ganzes Leben reichen, sagte man mir.“

Die Roma hat Schnellinger zunächst nach Mantua verliehen,  dort spielte er so stark, dass die Römer ihn in der Saison danach zurückbeorderten. Sie konnten ihn aber nur für ein Jahr halten, in dem sie mit Schnellinger den Pokal gewannen, weil der Deutsche das Interesse des AC Mailand geweckt hatte, des großen lombardischen Klubs.

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Der italienische Stürmer Gianni Rivera (l.) tröstet Karl-Heinz Schnellinger.

Für Schnellinger begann ab 1965 in Mailand eine Zeit des Erfolgs – „wir hatten einfach eine sehr gute Mannschaft“. Ein Meistertitel 1968, drei Pokalsiege, 1969 der Triumph im Europapokal der Landesmeister, plus der Erfolg im Weltpokal. Zweimal gewann der AC Mailand zudem mit Schnellinger noch den Europapokal der Pokalsieger. „Ich musste mich darauf einstellen, dass ich Profi war. Dass ich ein ganz anderes Leben zu führen hatte als in Deutschland. Es ging nur um eine Sache, den Fußball. Und das habe ich angenommen“, erzählt Schnellinger.

Den Schritt nach Italien bereut er nicht, auch nach der Karriere ist er dort geblieben, er fand eine Anstellung als PR-Manager  eines Catering-Unternehmes. Erst mit 67 Jahren hat er aufgehört zu arbeiten. „Ich habe mich im Ausland so wohlgefühlt, dass es danach für mich keine wirklich große Entscheidung war zu bleiben“, erzählt er.

Wechsel zu Tennis-Borussia Berlin

Der berufliche Einstieg in Mailand war jedoch eine Rückkehr. 1974 wagte der 35-Jährige noch mal den Sprung in die Bundesliga, als Kapitän des Aufsteigers Tennis-Borussia Berlin. Doch letztlich hatte er sich mehr von dem Engagement versprochen, 19 Spiele kamen zusammen, Schnellinger sagt: „Ich würde nicht sagen, es war ein Fehler, es war auf jeden Fall eine wichtige Erfahrung.“ Danach sei aber  schnell der Entschluss gefallen, die Karriere zu beenden.

Zunächst ging er nach Köln zurück, doch bald merkte die Familie Schnellinger, dass sie in Italien letztlich heimischer ist als in Deutschland – und brach wieder nach Mailand auf. Schnellinger ist glücklich über seine Entscheidung. „Ich bin jetzt seit über 50 Jahren in Italien. Hier habe ich meine Freunde und Bekannten.“ Sport jedoch kann er nicht mehr machen – „leider nicht. Ist auch nicht schlimm. Ich bin genug gelaufen in meinem Leben“. Schnellinger ist ein Filou, er liebt es zu scherzen und sagt: „Ich kümmere mich um meine Familie. Das füllt mich aus.“ Deshalb braucht er auch keine Hobbys: „Ich lebe den Tag so, wie er kommt.“

Vier Weltmeisterschaften hat Schnellinger zwischen 1958 und 1970 aktiv miterlebt, 17 Spiele hat er bei den Turnieren absolviert, 47 Länderspiele sind es insgesamt geworden. Auf den  DFB ist Schnellinger gleichwohl  nicht besonders gut zu sprechen, DFB-Präsident Grindel hat er einmal in einem Interview mit dieser Zeitung vorgeworfen, nicht an die Alt-Internationalen zu denken, woraufhin Schnellinger von Grindel zu einem Länderspiel eingeladen wurde. Angenommen hat er nicht, er wollte lieber in Ruhe daheim bleiben.

„Ausgerechnet Schnellinger“

Für den DFB  hat Schnellinger, wie Uwe Seeler, genau zwischen zwei WM-Titeln gespielt – nach 1954 und vor 1974.  Ein Tor hat Schnellinger im DFB-Dress erzielt, gegen Italien, seine Wahlheimat, in jenem Halbfinale, das als „Jahrhundertspiel“ in den Geschichtsbüchern der WM archiviert ist. Den Fernsehkommentar sprach damals Ernst Huberty, und er war ergriffen von dem, was in der 90. Minute passierte: „Schnellinger. Nein. Nein. Nein. Nein. Schnellinger. 1:1. Der war’s. Durch Schnellinger. Unglaublich. Ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener sagen, ausgerechnet Schnellinger. Es ist nicht zu glauben. Verlängerung.“

Und in diesen 30 Minuten explodiert das Spiel. 2:1 für Deutschland, bald darauf steht es  3:2 für Italien, noch mal fällt der Ausgleich –  in der 110. Minute. Doch nur eine Minute später trifft Gianni Rivera zum 4:3 – der Schlusspunkt.  Und Schnellinger? Er sagt dazu: „Das ist die einzige Sache, an die man sich im Zusammenhang mit mir erinnert, die mir keiner wegnehmen kann. Selbst wenn ich gestorben bin, werden die Leute darüber sprechen. Das ist die schönste Prämie für mich, die mir für mein Leben und danach bleibt.“

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