Kolumne 1. FC KölnBesonderes Treffen mit FC-Legende Ewald Lienen

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Ewald Lienen war auch in Mönchengladbach ein emotionaler Trainer.

Ewald Lienen war auch in Mönchengladbach ein emotionaler Trainer.

Am Samstag steht das Derby beim Rheinischen Rivalen in Mönchengladbach an. 

Mein Kollege Lars Werner und ich waren bereits am Mittwoch in Mönchengladbach, wir fahren traditionell in der Woche vor dem Derby dorthin, um ein Interview zu führen. Der Kollege Werner kommt von sehr weit weg und hat daher keine frühkindliche Derbyprägung wie zum Beispiel ich. Darum machen Derbys nicht viel mit ihm und der Borussia-Park schon gar nicht. Nun gehört es zum Erwachsensein, dass nicht mehr alles etwas mit einem macht, daher zeige auch ich längst keine Reaktionen mehr auf zum Beispiel das Mönchengladbacher Ortsschild. Dennoch versucht der Kollege es immer wieder, indem er dann Sätze fallen lässt wie „schon toll, was hier entstanden ist!“. Das tut er natürlich nur, um eine Reaktion von mir zu bekommen, damit er später was zu lachen hat und berichten kann, wie der Kollege schon wieder Puls hatte, als er die Mönchengladbacher Stadtgrenze erreichte und den Nordpark erspähte.

Und ewig lockt der Nordpark

Nun ist objektiv ganz einfach nichts toll am Nordpark, man muss kein Kölner sein, um das zu erkennen. Das Stadion sieht aus, als habe man vor allem sparen wollen, was ja durchaus vernünftig ist. Dann gibt es da noch ein riesiges Hotel, das ich nicht verstehe. Und ein Museum, das ich mir tatsächlich einmal ansehen musste, weil mein Kollege gegenüber Max Eberl so tat, als träumte ich schon lange von einem Besuch, worauf man alle Hebel in Bewegung setzte, obwohl eigentlich geschlossen war.

Allerdings gibt es dort ein Trainingszentrum, von dem man in Köln mittlerweile nicht einmal mehr träumen kann. Wenngleich zu sagen ist, dass Marsdorf gegen dieses Gewerbegebiet an der Autobahn anmutet wie New York City. Aber ich will nicht lästern. Der Kollege Werner jedenfalls versuchte es diesmal ein wenig subtiler als sonst. Als wir von der Autobahn fuhren und in der Ferne das Wellblech des Borussia-Parks auftauchte, sagte er doch tatsächlich: „Schon auch ein bisschen trostlos hier.“ Und ich antwortete: „Also – ich finde es eigentlich total schön!“

Bemerkenswerte Parallelen

Nun kennen wir uns schon sehr lange. Eine Kollegin sagte einmal zu mir: „Mensch, Christian: Du und Lars, ihr versteht euch schon gut, oder?“ Und ich fragte zurück: „Ja, absolut. Aber wie kommst du jetzt darauf?“ Und sie antwortete: „Naja – du nennst ihn ‚Hase‘!“ War mir gar nicht aufgefallen.

Grund unserer Reise entlang der Tagebauen war ein Gesprächstermin mit Nils Schmadtke, der in jeder Hinsicht für immer der Sohn seines Vaters bleiben wird. Zunächst einmal grundsätzlich. Aber eben auch, weil er nicht nur wie sein Vater Jörg Schmadtke an einem 16. März auf die Welt kam, worauf er wahrscheinlich wenig Einfluss hatte. Er hat sich später auch entschieden, Torhüter zu werden und anschließend eine Laufbahn als sportlich Verantwortlicher im Profifußball eingeschlagen. Beim 1. FC Köln war Nils Schmadtke zu Jörg Schmadtkes Zeiten als Scout tätig.

Das sind Spiele, wo es knistert, allein schon, wenn man bei der Anreise die Massen sieht. Ich hoffe, dass alles friedlich bleibt.
Timo Schultz, Trainer des 1. FC Köln

Nils Schmadtke heuerte später beim VfL Wolfsburg an, wo sein Vater mittlerweile arbeitete. Nun ist er Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach – und sein Vater nach einem Engagement als Sportchef des FC Liverpool auf geradem Weg in den Ruhestand.

Jörg Schmadtke verließ Köln im Oktober 2017, als der FC nach Platz 5 in der Vorsaison erstmals seit einem Vierteljahrhundert wieder international spielte. Schon im Sommer hatte der Vorstand bei Trainer Peter Stöger wie Schmadtke nicht nur einen leichten Stimmungskater nach dem riesigen Erfolg beobachtet. Es gab auch Spannungen zwischen Sportchef und Coach. Doch verpassten es die Bosse damals in der Atemlosigkeit der Europa-Saison, rechtzeitig einzugreifen.

Borussias Sportdirektor Nils Schmadtke

Borussias Sportdirektor Nils Schmadtke

Bis heute frage ich mich, wann genau man die Notbremse hätte ziehen müssen. Also: ganz konkret, an welchem Tag, nach welchem Spiel. Es war eine wahnsinnige Saison. Als Jörg Schmadtke ging, während hinter ihm der Klub in Flammen stand, nahm er mehr als drei Millionen Euro Abfindung mit, um im Juni 2018 als Geschäftsführer Sport beim VfL Wolfsburg den nächsten Riesenjob anzutreten. Im Profifußball ist das keine große Sache, aber viele Menschen haben die Umstände dieser Trennung nur sehr schlecht verwunden. Und Jörg Schmadtke selbst auch nicht, erinnere ich mich. Es war viel Getöse damals.

Legendäres Treffen mit Ewald Lienen

Ich erinnerte mich in dieser Woche an einen anderen Ausflug nach Mönchengladbach, das war im April 2004. Ich fuhr damals mit meinem Chef Karlheinz Wagner zum Gesprächstermin, wir trafen Ewald Lienen, der ein paar Jahre zuvor beim 1. FC Köln als Aufstiegsheld gefeiert worden war, um anschließend im Zuge des sportlichen Niedergangs unter ebenfalls eher ruppigen Tönen aus dem Amt befördert zu werden.

Der Borussia-Park (Teilansicht)

Der Borussia-Park (Teilansicht)

2004 spielte der FC in der Zweiten Liga und stand kurz vor dem Wiederaufstieg, Mönchengladbach steckte im Abstiegskampf und spielte gegen Bayer Leverkusen. Anlass also zu einem Gespräch über den rheinischen Bundesligafußball und auch über den 1. FC Köln, jedenfalls hatte Lienen damit rechnen können, als er der Bitte des ja immerhin „Kölner“ Stadt-Anzeiger um ein Gespräch stattgegeben hatte. Es ist lange her, aber ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: Lienen flippte einfach komplett aus. Und zwar auf Wagners Frage, ob er sich in den Jahren seit seinem Abschied aus Köln verändert habe.

Die Frage war berechtigt, man wird erwachsen, die Dinge machen weniger mit einem, sollten sie zumindest. Aber Lienen wurde sehr laut, und ich erinnere mich noch, wie er uns anfunkelte und sagte: „Nach allem, was war, glauben Sie, dass ich hier einen Seelenstriptease hinlege?“ Es war spektakulär. Er sagte zwar, er habe die Kölner Zeit „vollkommen verarbeitet“. Aber das war schwierig zu glauben. Sehr lustig war, als uns der Pressesprecher, der während Lienens Tirade einfach regungslos in einer Ecke gesessen hatte, beim Hinausgehen fragte, ob wir denn nun ein Interview aus der Begegnung machen würden. „Vielleicht nicht“, antwortete Wagner todernst, und später haben wir gelacht bis zum Kreuz Köln-West.

Grosser Zorn, aber keine Orgel

Wagner hat anschließend einen Text über die Begegnung verfasst, in dem er unter anderem beschrieb, dass es ihn nicht weiter gewundert hätte, wenn während Lienens Ausraster eine Orgel aus dem Boden gefahren wäre und Lienen darauf zu spielen begonnen hätte. Ich habe den Text im Archiv gefunden, was nicht schwierig war: Ich musste ja nur „Lienen“ und „Orgel“ als Suchbegriffe eingeben, da kommt nicht viel. Ich zitiere Karlheinz Wagner:

„Ewald Lienen erläutert also ungefragt Wege, wie man zu einem guten und anständigen Menschen wird; er erklärt, dass man nicht auf der Welt sei, um Reichtümer anzuhäufen; er sieht Korruption am Werk, er wittert Niedertracht und vermutet dahinter Ursachen, die mit allem zu tun haben, was nicht niet- und nagelfest ist. Allerdings nicht mit ihm. Bei seinem Vortrag klopft er auf den Tisch, eine Strähne seines Haupthaars löst sich immer wieder aus der Stirn-Verankerung, und, nein, es wird in diesem seltsamen Moment kein Hebel betätigt und es taucht keine Orgel aus dem Boden auf. Natürlich nicht.“

So beschrieb Wagner damals in einem legendären Text eine legendäre Begegnung in Mönchengladbach. 20 Jahre später saß ich also mit Lars Werner in einer Loge des Borussia-Parks und ich überlegte angesichts des unvergessenen Lienentermins, ob Nils Schmadtke uns womöglich nur hatte kommen lassen, um Rache zu nehmen, für die eine oder andere Überschrift, die wir seinem Vater womöglich mal gewidmet haben.

Und dann setzte sich ein entspannter 34-Jähriger an den Tisch und unterhielt sich mit uns über Fußball, Borussia Mönchengladbach, den 1. FC Köln – und ja, auch über seinen Vater. Kein Geschrei, keine Abrechnung. Offenbar macht es nichts mit ihm, auf seinen berühmten Vater angesprochen zu werden. Und eine Orgel fuhr auch nicht aus dem Boden.

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