Albert RichterDer Kölner Rad-Weltmeister, der von den Nazis getötet wurde

Lesezeit 6 Minuten
MDS-EXP-2009-08-11-SP_xk2702d

Albert Richter

  • Der Kölner Bahn-Weltmeister Albert Richter wurde vor 80 Jahren von den Nazis getötet.
  • Es dauerte lange, bis er als Sportstar rehabilitiert wurde.
  • Die Geschichte eines Ausnahmesportlers: Verehrt, verraten und fast vergessen

Köln – Albert Richter, gerade 19 Jahre jung, ist  am 3. September 1932  allen davongeflogen mit seinem Rad auf der Bahn des „Stadio del Partito Nazionale Fascita“ südöstlich von Rom. Weltmeister der Amateur-Sprinter ist der Kölner nun, ein Coup mit großer Nachwirkung. „Wie er fährt (...), ohne Anstrengung und Mätzchen, glatt, das Rad auch im Sturmwind in der Gewalt, war eine Offenbarung“, jubelt das Fachorgan  „Illustrierter Rad-Rennsport“ in seiner Ausgabe vom 16. September 1932. Und weil Richter, inzwischen ein verehrter Star im Lande, auch nach seinem Wechsel zu den Profis kurze Zeit später  zu den Besten zählt, schwärmt das Blatt  im Juli 1934 weiter:  „Was sich vor unseren Augen abspielt, ist das Emporfliegen eines Adlers zum Licht des Erfolges. Auf seinen Flügeln trägt er Ruf und Ruhm des Landes, das er sein Vaterland nennt, der Stadt, die er seine Vaterstadt heißt.“

 Ruhm und Vaterland – Begriffe aus dem Jargon der Nazis, die zunächst um den blonden, blauäugigen, kräftigen Siegertypen Richter buhlen. Doch der stemmt sich gegen das Dritte Reich. Und die Nazis lassen Richter deshalb gnadenlos fallen. Vor 80 Jahren, am 31. Dezember 1939, wird der Kölner in Weil am Rhein festgenommen. Richter wollte in die Schweiz   emigrieren. Zwei Tage später, am 2. Januar 1940, ist er tot. Er wird nur   27 Jahre alt. Und die ihn einst  so feiernde Radsport-Propaganda distanziert sich  von ihm. Der „Deutsche Radfahrer“ vermeldet: „Sein Name ist für alle Zeiten in unseren Reihen gelöscht.“ Ein halbes Jahr zuvor noch jubelt dieselbe Zeitung: „Albert Richter ist ein hoch befähigter Sprinter (...), dem der deutsche Radrennsport  (...) für alle Zeiten einen Ehrenplatz neben seinen erfolgreichen Größen (...) einräumen muss.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Erst gefeiert als einer der Größten, dann dem Vergessen überantwortet – was ist da nur passiert?

Früh stellt sich heraus, dass der jüngste der drei Ehrenfelder Richter-Söhne eine sportliche Hochbegabung besitzt. Der Sohn trainiert heimlich und gegen den Willen des Vaters  nach Feierabend – er arbeitet  in einer Kölner Kunstfiguren-Fabrik –  im Radklub RC Arminius und fährt  Rennen. Seine Preise versteckt er unter seinem Bett.

Albert Richter  schafft  den Sprung in die Weltklasse. Im Juli 1932 gewinnt er den  berühmten   „Grand Prix de Paris“ vor 40.000 Zuschauern in der französischen Hauptstadt, dem Zentrum des in jener Zeit  sehr populären  Bahnradsports. Zwei Monate später ist Richter Weltmeister. In Deutschland übernimmt Köln die Rolle des nationalen Bahnrad-Primus’, die Stadt stellt mit Mathias Engel, der 1927 in Köln Weltmeister der Amateure geworden ist, bereits einen Helden und  bekommt nach Richters WM-Sieg noch einen dazu: Toni Merkens gewinnt 1936 in Berlin Olympiagold der Bahnsprinter.

IMG_1516

Albert Richter im Trikot mit dem Reichsadler – nicht mit dem Hakenkreuz –  verweigert bei Feierlichkeiten bewusst den Hitlergruß. 

Richter siegt auch als Profi weiter, wird sieben Mal Deutscher Meister,  holt sich Trophäen bei großen Rennen,  gewinnt Medaillen bei der Profi-WM, aber keinen Titel. Paris wird seine zweite Heimat, er ist eine Berühmtheit im von Bahnsprintern faszinierten Frankreich.

Kein Trikot mit dem Hakenkreuz

Der Führerkult in der Heimat ist Richter suspekt, die Umwandlung des Reiches in eine Diktatur der Rechten belastet ihn. Er wagt den Aufstand und  verweigert bei Siegerehrungen den Hitlergruß. Auch nach 1933 lässt er sich von seinem jüdischen Kölner Freund, Vertrauten, Mentor und Vaterersatz Ernst Berliner managen. Außerdem trägt Richter   bei internationalen Veranstaltungen   nicht das Trikot mit dem   Hakenkreuz, sondern  eines mit  Reichsadler.  Die Aufforderung der Gestapo, seine ausländischen Gegner zu bespitzeln, weist er zudem zurück: „Ich habe im Ausland nur Freunde, ich kann derartiges nicht tun.“  Bei Kriegsausbruch  will Richter emigrieren. Er könne nicht für Deutschland kämpfen, „wenn es sich gegen Frankreich wendet“. Er wolle „nicht auf Menschen schießen müssen, die ich liebe, die mich lieben und denen ich so viel zu verdanken habe“.

Stolperstein_Albert_Richter

Stolperstein vor dem einstigen  Wohnhaus der Richters in Ehrenfeld

Am 9. Dezember 1939 gewinnt Richter den „Großen Preis von Berlin“ – es ist sein letztes Rennen. Der Druck auf ihn  steigt, er will in die Schweiz fliehen. Mit Koffer, Bahnrad und ein Paar Skiern besteigt er am 31. Dezember  1939 in Köln den D-Zug nach Basel. In einem seiner Radreifen versteckt Richter 12 700 Reichsmark, Geld, das dem jüdischen Textilhändler Alfred Schweizer gehört. Richter möchte es ihm, dem Freund, in die Schweiz liefern. Doch bei einer Kontrolle an der Grenze in Weil am Rhein wird das Geld   entdeckt, Richter fällt in Ohnmacht und erwacht in einer Lörracher Zelle. Er wird wegen  Devisenschmuggels angeklagt.

Ermordet von der Gestapo

Am 2. Januar 1940 erfährt Familie Richter in Köln von Alberts Inhaftierung. Sein Bruder Josef macht sich mit einem Lastwagen auf den Weg nach Lörrach, wo er erfährt, dass sich Albert in seiner Zelle erhängt haben soll. Im Totenkeller findet Josef Richter die Leiche des Bruders in einer Blutlache, dessen Kleidung ist  am Rücken an einigen Stellen durchlöchert. Josef Richter bringt den Sarg des Bruders nach Köln, wo er  auf dem Ehrenfelder Friedhof beigesetzt wird. Die offiziellen Todesursachen: Selbstmord. Skiunfall. Auf der Flucht erschossen. Nichts davon darf man glauben. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Gestapo Albert Richter ermordet hat.

Gedenken

In seiner französischen Wahlheimat ist Albert Richter wegen seiner Erfolge und seiner Auflehnung gegen das Hitler-Regime   weiterhin präsent.   Richters Schicksal wird auch  in einem historischen Comic über die Pariser Winterbahn nacherzählt, einer in Frankreich beliebten Erzählform.

Albert Richter ist zudem eine Art posthumer Schirmherr für den Austausch deutsch-französischer Jugend-Radsportgruppen aus Köln und Lesneven bei Brest. Die Initiative geht zurück auf Yves Favé, den Sohn des französischen Bahnsprinters Fanch Favé, der mit Albert Richter befreundet war. Im Rahmen des Austausches trainieren die Jugendlichen  auch auf den Bahnen von Lesneven und Köln, die  Albert Richters Namen trägt.

Am 2. Januar, Richters Todestag, organisiert der Kölner Radklub RTC DSD  eine Gedenkfahrt. Start ist um 10 Uhr an Richters Stolperstein, Sömmeringstraße 72 in Köln.  Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. (skl)  

Die Historikerin Renate Franz hat in einem Buch über „den vergessenen Weltmeister“ Albert Richter die Vermutung aufgestellt, dass der Anti-Faschist aus Neid verraten worden sein könnte.  Ernst Berliner erstattet im Februar 1966 beim Justizministerium in Bonn Anzeige gegen Unbekannt. Doch das Verfahren wird im Mai 1967 eingestellt.  Franz ermittelt  bei ihren Nachforschungen Ungereimtheiten, die Juristen hätten sich mit „dem allzu Offensichtlichen zufriedengegeben, Fragwürdigkeiten ignoriert“.

Stolperstein in Ehrenfeld

Letztlich ist es vor allem  den Recherchen der Kölnerin Renate Franz zu verdanken, dass der tatsächlich lange Zeit vergessene Weltmeister Albert Richter inzwischen als Kölner Sportheld wahrgenommen wird. Er  hat in der „Hall of Fame“ des deutschen Sports Aufnahme gefunden.   Vor dessen Kölner Elternhaus in Ehrenfeld  – Sömmeringstraße 72 – ist ein „Stolperstein“ ins Pflaster eingelassen. Und die 1996 wieder eröffnete Radrennbahn in Müngersdorf trägt den Namen: Albert-Richter-Bahn. Eine Gedenktafel aus Bronze ist an einer Außenwand der Anlage angebracht.   Die Erinnerung an Albert Richter  lebt wieder.

KStA abonnieren