Interview mit André Henning„Ein Kölner kommt mit Gold nach Hause“

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Hockeytrainer André Henning bei der Arbeit.

Köln – André Henning (37) will bei den Olympischen Spielen in Japan Geschichte schreiben. Gemeinsam mit Pasha Gademan, mit dem er auch beim KTHC Rot-Weiss Köln das Trainer-Duo bildet, soll er der kanadischen Hockey-Nationalmannschaft zum Viertelfinal-Einzug verhelfen. Der Auftaktgegner heißt Deutschland, den Henning überhaupt erst nach Tokio führte.

Herr Henning, Ihre Mannschaft hat schon vor dem Olympia-Start zwei Ausrufezeichen im Gastgeberland gesetzt. Ist Kanada nach dem 3:2- und 2:1-Erfolg über Japan endgültig bereit fürs Turnier? Es waren nur Tests, aber auch gute Gradmesser. Den Asienmeister schlägt man nicht einfach so im Vorbeigehen. Zumal die Vorzeichen vor dem ersten Duell alles andere als optimal waren.

Inwiefern? Die Anreise glich einer Odyssee. Wir sind von Vancouver nach Los Angeles geflogen und erst nach einem achtstündigen Aufenthalt Richtung Tokio abgehoben. Von dort aus ging es mit dem Bus weiter nach Okayama. Bis zum Hotel-Check-in waren wir 38 Stunden unterwegs. Tags darauf trotzdem so zu performen, zeugt von Mentalität.

Ist diese Arbeitsmoral Kanadas größtes Faustpfand? Ja. Pasha und ich haben die Jungs ordentlich gequält, aber es wurde nie gejammert. Jeder weiß: Um in Tokio erfolgreich zu sein, müssen wir fleißiger sein als andere Nationen.

Wie definieren Sie erfolgreich? Mit Deutschland, Belgien, Großbritannien und den Niederlanden treffen wir auf sämtliche Halbfinalisten der jüngsten EM. Trotzdem wollen wir zumindest eine dieser Nationen ärgern. Wenn dann noch ein zweiter Sieg gegen Südafrika hinzukommt, winkt das Viertelfinale. Das Weiterkommen wäre aber nicht nur historisch, sondern eine Sensation.

Mannheim

Mats Grambusch (r.) gehört zu den deutschen Leistungsträgern.

Was haben die europäischen Nationen Ihrer Mannschaft voraus? Sie waren dank der Pro League, EM und des nationalen Ligabetriebs ständig im Spielrhythmus. Bis auf wenige Legionäre haben unsere Jungs nach dem ersten Lockdown 15 Monate lang kein einziges Match bestritten. Zum einen, weil in Kanada kein Klubwettbewerb existiert. Zum anderen, weil die Einreisebestimmungen viel strenger waren als in Europa. Das ist ein gewaltiger Wettbewerbsnachteil.

Was macht Ihnen Hoffnung? Wir haben unser Können zuletzt immer wieder aufblitzen lassen. Bei einem Oster-Camp haben wir Gastgeber Belgien an den Rand einer Niederlage gebracht (5:6, Anm. d. Red.). Im Mai folgte in Hamburg ein 3:2-Erfolg über die Franzosen.

13 Kölner in Japan

In Tokio sind 13 Mitglieder von Rot-Weiss Köln dabei. Neben dem Trainer-Duo André Henning/Pasha Gademan und sechs Nationalspielern haben auch vier Akteurinnen das Ticket gelöst. Julia Sonntag (Tor), Nike Lorenz, Pia Maertens und Cécile Pieper zählen zum DHB-Aufgebot. Hinzu kommt RW-Teamarzt Philip Ibe, der für die deutschen Herren im Einsatz ist. (tim)  

Beim 1:5 und 0:7 gegen Deutschland wurden Ihrem Team jedoch die Grenzen aufgezeigt. Natürlich wollen wir Deutschland am Samstag mehr fordern, aber zur Wahrheit gehört: Ich habe diese Mannschaft seit Jahren nicht mehr so stark erlebt. Für mich ist Deutschland neben Belgien der Topfavorit. In puncto individueller Klasse kann diesen beiden Nationen keiner das Wasser reichen – selbst Europameister Niederlande nicht.

Was zeichnet die DHB-Auswahl aus? Sie verliert nie ihre Struktur und verteidigt exzellent. Hinzu kommt die individuelle Klasse. Es gibt in der Mannschaft nicht den einen Unterschiedsspieler, sondern eine ganze Handvoll davon.

Auch aus dem Lager des frisch gebackenen Deutschen Meisters Rot-Weiss Köln? Ja. Gerade im Umschaltspiel gehören die Jungs zur Weltspitze – Christopher Rühr als Stoßstürmer, Timur Oruz über den Flügel und Mats Grambusch als Initiator. Hinzu kommt Außenverteidiger Johannes Große, der bei seinem Olympia-Debüt eine der großen Entdeckungen werden könnte.

Drücken Sie diesem Quartett nicht insgeheim die Daumen? Klar habe ich eine besondere emotionale Verbindung zu den Jungs und gönne ihnen jeden Erfolg – außer gegen Kanada. Das Gleiche gilt aber für Vincent Vanasch (belgische Nummer eins, Anm. d. Red.) und Mink van der Weerden (Eckenspezialist der Niederlande, Anm. d. Red.). Mindestens ein Kölner wird sicher Gold mit nach Hause nehmen. Im Zweifel schlägt mein Herz aber für Deutschland, zumal ich nahezu alle Spieler irgendwann schon mal trainiert habe.

Sie haben die DHB-Auswahl überhaupt erst nach Tokio geführt. Ich bin damals zumindest für die beiden Olympia-Qualifier gegen Österreich als Co-Trainer eingesprungen. Die beiden Siege (5:0, 5:3, Anm. d. Red.) liegen aber auch schon anderthalb Jahre zurück. Meine Gedanken drehen sich längst nur noch um Kanada.

Welches Hockey dürfen wir von Ihrem Team erwarten? Früher hat Kanada nur den Bus vor dem eigenen Kreis geparkt. Heute wissen auch unsere Jungs, was Pressing bedeutet. Ohne Tempo und eigene Spielidee kommt man nicht weit. So haben wir auch nominiert – und für manche Überraschung gesorgt.

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Überraschend war die Nicht-Berücksichtigung von Tom Grambusch. Tom hat eine bärenstarke Bundesliga-Saison gespielt. Er war einer der Besten des Final-Four-Turniers und ist einer der gefährlichsten Eckenschützen der Welt. Über eine Nominierung des DHB kann ich aber nicht urteilen.

Wie groß ist die Enttäuschung darüber, dass in Tokio keine Fans zugelassen sind? Es ist schade, zumal gerade im Hockey der Ticketvorverkauf extrem gut anlief. Am Ende ist es aber das richtige Signal. So zeigt der Sport, dass er auch verantwortungsvoll mit der Pandemie umgehen kann.

Als Co-Trainer der deutschen Hockey-Damen haben Sie 2016 in Rio bereits Olympia-Flair erleben dürfen. Wird diesmal alles anders sein? Anders, aber trotzdem besonders. Entgegen vieler Nachrichten spüren wir die Begeisterung im Land. Selbst in Okayama – acht Stunden Autofahrt entfernt von Tokio – haben uns die Leute auf der Straße zugewunken und applaudiert. Mittlerweile sind wir im Olympia-Dorf angekommen und dort herrscht erst recht Riesenvorfreude.  

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