Athlet aus LeverkusenProthesenweitspringer Rehm litt unter verwehrtem Olympia-Start

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Markus Rehm erklärt seine Weiten nicht mit der Kraft seiner Prothese.

Markus Rehm erklärt seine Weiten nicht mit der Kraft seiner Prothese.

Köln – Wieder und wieder muss er sich und seine Leistungen erklären. Markus Rehm tut das mit erstaunlich gleichbleibendem Lächeln in der Stimme. Nein, er verfüge nicht über das Können eines Raketenwissenschaftlers, betont der Para-Weitspringer vom TSV Bayer 04 Leverkusen also auch vor seinem Paralympics-Start heute (13.20 Uhr) in Tokio. Es sei ja schön, dass viele ihn, den 33 Jahre alten Orthopädietechnik-Meister, für derart befähigt hielten. Doch seine Unterschenkelprothese sei kein Wunderwerk der Technik, mit dem er auch gleich bis zum Mond hüpfen könnte.

Die Karbonschiene ersetzt beim Sporttreiben Rehms rechten Unterschenkel, den er mit 14 Jahren nach einem Wakeboardunfall verlor. Sie ermöglicht ihm, dass er – anders als mit seiner weit weniger auffälligen Alltagsprothese – richtig schnell rennen kann. Und weit springen. Letzteres vermag Rehm besser als jeder andere Mann mit einer ähnlichen Prothese. Viel besser sogar. Bei den Paralympischen Spielen 2012 in London sowie 2016 in Rio gewann er unangefochten Gold. Der Zweitplatzierte sprang jeweils rund einen Meter weniger weit als er.

Eigenen Weltrekord mal wieder verbessert

In diesem Jahr hat Rehm bei der EM in Polen seinen eigenen Weltrekord mal wieder verbessert. Er steht nun bei 8,62 Metern, einer Weite, mit der er bei den letzten sieben Olympischen Spielen Gold gewonnen hätte. In Tokio siegte zuletzt der Grieche Miltiadis Tentoglou mit 8,41 Metern. Zumindest diese Weite zu überbieten, ist nun Rehms Ziel für den eigenen Auftritt in Japan. Paralympisches Gold hätte er damit sowieso sicher. Aber dazu gäbe es ein wenig Genugtuung. Denn Rehm kämpft seit Jahren um die Anerkennungen seiner Leistungen auch jenseits des Behindertensports. Er sehnt sich nach dem direkten Duell auf der olympischen Bühne. Doch das wurde ihm bisher verwehrt.

Seit Markus Rehm 2014 bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften den Titel im Weitsprung gewann, wird darüber diskutiert, ob ihm seine Prothese einen Vorteil bringt. Na klar, sagen Kritiker, die Prothese wirke wie eine Feder. Hier ja, dort nein, insgesamt also vielleicht, lautet das enttäuschende Resultat einer internationalen Studie. Die Wissenschaftler fanden grob gesagt heraus, dass die Prothese beim Anlauf stört und beim Absprung hilft.

Rehm selbst verweist auf die Weltrangliste. „Ein Meter zum Zweitplatzierten, das ist nicht nur ganz gut, im olympischen Sport würde man nicht mal im Ranking auftauchen, wenn man einen Meter kürzer springt“, sagt er: „Wenn es so einfach wäre, würde es ja ein paar Athleten mehr geben, die zumindest mal locker 7,50 Meter springen könnten.“

Neue Chance für ein Olympia-Ticket

Im Vorfeld der Rio-Spiele 2016 akzeptierte Rehm noch recht klaglos, dass man ihn nicht dabei haben wollte bei Olympia. Er ist kein lauter Charakter. Aber ein hartnäckiger. Nachdem der Internationale Sportgerichtshof Cas zuletzt die 2015 eingeführte Regel des Welt-Leichtathletikverbandes World Athletics kippte, wonach Athleten mit Prothese nachweisen mussten, keinen Vorteil zu haben, sah er für sich eine neue Chance. Nach erfüllter Norm forderte er ein Olympia-Ticket.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wollten es ihm geben. Rehm bot an, außerhalb der Wertung zu starten. Er wolle niemandem etwas wegnehmen. Er wolle lediglich die größtmögliche Bühne des Sports nutzen, um aller Welt zu zeigen, was auch im Parasport möglich ist. World Athletics und das Internationale Olympische Komitee (IOC) nahmen sein Angebot nicht an.

Grund für Cas-Entscheidung kennt Rehm bis heute nicht

Der Cas musste entscheiden – und verwehrte Rehm kurz vor dem Start der Spiele die Teilnahme. Warum weiß der Prothesen-Springer bis heute nicht. Die Begründung würde folgen, habe es geheißen: „Aber bis jetzt liegen die Gründe nicht auf dem Tisch, es findet keinerlei Kommunikation statt, das ist einfach frustrierend.“

Das setzte Rehm zu. Aber nun, kurz vor seinem Wettkampf in Tokio, ist er wieder hoch motiviert: „Die Paralympics waren immer das erste Ziel, sie sind mein Zuhause, mein Hauptwettkampf, mein Abschluss nach fünf Jahren Training.“ Und seine Chance, zumindest im Fernvergleich der Beste zu sein. Das wäre ein wenig Balsam für Rehms enttäuschte Sportler-Seele.

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