Florian Wirtz gehört spätestens seit Freitagabend zur Elite des Weltfußballs, mit allem, was dazugehört: mit reichlich Vorschusslorbeeren, aber auch enormem Erfolgsdruck. Rund 140 Millionen Euro – theoretisch sogar etwas mehr – überweist der FC Liverpool Richtung Leverkusen, um sich die Dienste des 22-Jährigen zu sichern.

Allein diese Summe steht für eine entsprechende Erwartungshaltung. Nie wechselte ein deutscher Spieler für mehr Geld. Es ist der Rekordtransfer sowohl der Bundesliga als auch der mit so viel Geld überschütteten Premier League. Einzig für die Weltstars Neymar (222 Millionen Euro) und Kylian Mbappe (180 Millionen) griff Paris St. Germain 2017 und 2018 tiefer in die Tasche. Doch wieso zahlt ein Klub wie Liverpool so viel Geld für diesen Spieler?

Kommentar

Wirtz zu Liverpool

Von diesem Transfer kann der Profifußball viel lernen

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Patrick Scherer

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Florian Richard Wirtz wird am 3. Mai 2003 in Pulheim geboren. Er ist das jüngste Kind einer Bilderbuch-Patchworkfamilie aus Brauweiler. Hans Wirtz, fünf Kinder aus erster Ehe und Karin Groß, drei Kinder aus erster Ehe, bekommen 2001 ihr erstes gemeinsames Kind: Juliane Wirtz, die es später ebenfalls zur Profifußballkarriere bringt, sie spielt derzeit für den SV Werder Bremen in der Frauen-Bundesliga. Dann kommt also Florian, er ist das Küken einer zwölfköpfigen Familie. Alle Welt nennt ihn „Flo“, was die Eltern gar nicht mögen. Sie nennen ihn lieber „Flori“, was Florian gar nicht so sehr mag. Nur der Familie „erlaubt“ er diesen Spitznamen.

Vater Hans ist dann auch sein erster Trainer bei Grün-Weiß Brauweiler. Dort fällt Wirtz schon früh als Talent auf, bleibt bis zum Alter von sieben Jahren, ehe er zum 1. FC Köln wechselt. Beim FC erhält der Rohdiamant seinen ersten Schliff, feiert 2019 die deutsche B-Junioren-Meisterschaft (U17). Ein halbes Jahr später wechselt er nach Leverkusen. Beim FC grämen sie sich bis heute. Es ist vermutlich der größte Fehler der Vereinsgeschichte, sich um Wirtz nicht intensiver bemüht zu haben. Immerhin: Etwas mehr als zwei Millionen der 140 Millionen Euro werden aufgrund des Solidaritätsmechanismus der Fifa beim Ausbildungsklub 1. FC Köln landen.

Klare Fragestellung zur Zukunft

Wirtz und seine Familie betonen stets, dass sie dennoch nicht im Bösen vom FC weggegangen sein. Doch heute wie damals trifft Wirtz seine Entscheidungen vor allem von einer Fragestellung ausgehend: Wo kann ich mich am besten weiterentwickeln und mit der Mannschaft den größten Erfolg haben? Der Schritt nach Leverkusen ist in dieser Hinsicht goldrichtig. Vom ersten Bundesligaeinsatz im Mai 2020 zu Coronazeiten bis hin zum Doublegewinn 2024 und seinen ersten Champions-League-Auftritten im gleichen Jahr entwickelt sich Wirtz rasant – selbst ein Kreuzbandriss im März 2022 (ausgerechnet im Spiel gegen Köln) bringt ihn nicht vom vorgezeichneten Weg ab.

Mit Leverkusen und Trainer Xabi Alonso, der ihn weiter formte, gewann Wirtz alles, was man im deutschen Fußball gewinnen kann. „Ich dachte, dass es der richtige Zeitpunkt in meiner Karriere ist, um einen weiteren Schritt zu machen“, erklärte Wirtz am Freitag in einem Video mit Liverpools klubeigenem TV-Sender. „Natürlich wollte ich zu einem Verein gehen, der zu den drei besten der Welt gehört. Meiner Meinung nach ist Liverpool einer davon.“ Dem ebenfalls interessierten FC Bayern gab er dafür einen Korb.

Wirtz ist getrieben von der Lust am Fußball und der Gier nach Siegen und Titeln. Dem ordnet er alles unter und danach richtet er seine Lebensentscheidungen aus. Er will das Maximale aus seiner sportlichen Karriere machen; mit seinen Klubs, der Nationalmannschaft und auch persönlich. Der Ballon dOr ist eines der Ziele. „Letzte Saison haben sie die Premier League gewonnen, daher ist mein Ziel, sie erneut zu gewinnen und auch in der Champions League weiterzukommen. Ich bin wirklich ehrgeizig“, betonte Wirtz. Liverpools Trainerlegende Jürgen Klopp, aktuell Head of Global Soccer bei Red Bull, sagte zu RTL über den Wechsel: „Das wird ganz, ganz toll. Sie haben ein außergewöhnliches Talent verpflichtet.“

Besonders bemerkenswert bei diesem Wechsel ist die Wertschätzung, die Wirtz und Bayer 04 einander versicherten. Sportgeschäftsführer Simon Rolfes veröffentlichte über die Social-Media-Plattform „LinkedIn“ sogar einen Abschiedsbrief. „Wir verlieren nicht nur einen der besten Spieler der Welt, sondern auch eine ganz besondere Person“, schrieb Rolfes. Und weiter: „Als ich dich das erste Mal getroffen habe, sind mir nicht nur deine Fähigkeiten aufgefallen. Auch wenn mich dein Umgang mit dem Ball immer noch sprachlos macht. Was mich wirklich beeindruckt hat, war deine Einstellung. Dein Wille, zu gewinnen. Der Hunger, Tore zu schießen – egal, wie der Spielstand ist. Dieser ständige Antrieb, sich zu verbessern – auch in den kleinsten Details.“

Rolfes beendete den Text mit einem Dankeschön an Wirtz und auch seine Familie, die ihren Sohn auch bei internationalen Reisen immer begleitet hatte: „Wir kennen uns seit vielen, vielen Jahren, und das Vertrauen und die Verbindung zwischen uns sind stark und ungewöhnlich im Fußballgeschäft. Ihr alle bleibt ein Teil der Bayer 04-Familie.“ Dazu gehört auch Freundin Aaliyah, mit der er seit rund vier Jahren zusammen ist. Beide legen Wert darauf, dass ihr Privatleben auch privat bleibt. Social-Media-Liebesbeweise? Fehlanzeige.

Dass Wirtz und sein Umfeld etwas Besonderes in der Fußballwelt sind, zeigt auch der Umstand, dass sich die Familie gegen äußeren Druck dazu entschieden hatte, den drittgrößten Deal der Fußballgeschichte ohne externen Berater durchzuführen. Wirtz ließ sich bei den Verhandlungen einzig vom Kölner Staranwalt Stefan Seitz unterstützen. Damit gehen die üblichen zehn Prozent Beraterbeteiligung am Gehalt (20 bis 25 Millionen Euro pro Jahr bis 2030) ebenfalls an den Spieler. Geld sei aber kein ausschlaggebendes Kriterium bei der Planung der Karriere, betonte die Familie immer wieder. Viel wichtiger sei das Sportliche. Und da will Wirtz in Liverpool und bei der WM 2026 allen Erwartungen gerecht werden. In Leverkusen und Köln werden sie ihm dafür die Daumen drücken.