Heiko Herrlich„Der Gehirnchirurg sagte mir, dass meine Arbeit auch wichtig ist"

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Heiko Herrlich, Trainer des FC Augsburg

  • Der Ex-Profi und Augsburg-Trainer spricht über Corona und die Relevanz des Fußballs.
  • Als er an einem Gehirntumor erkrankte, führte der Spieler ein wichtiges Gespräch mit dem behandelnden Arzt in Köln.
  • In seinem neuen Job kann der Fußball-Lehrer keine Nähe zu den Profis herstellen.

Köln – Herr Herrlich, Sie sind beim FC Augsburg  der letzte Trainer in der Bundesliga, der vor der Corona-Krise eine Mannschaft übernommen hat.

Ich wurde hier vorgestellt an einem Dienstag, direkt danach ging es los mit den Einschränkungen bis hin zu Kontaktbeschränkungen. Ich konnte vier Tage mit der Mannschaft trainieren. Freitag erfolgte dann die Absage der Spiele. Am Mittwoch darauf haben wir uns getroffen, über die Situation informiert und individuelle Trainingspläne erstellt. Später haben wir dann in kleinen Gruppen unter Einhaltung aller Schutzmaßnahmen trainiert. Ich empfinde die Situation im Moment als sehr bedrückend. Sie erinnert mich an ähnliche Einschnitte in meinem Leben, zum Beispiel das Reaktor-Unglück in Tschernobyl. Mein Vater hat immer darauf geachtet, dass ich keine Milch mehr trinke. Und dann der 11. September 2001. Jetzt ist es eine Ausnahmesituation, die alle betrifft und viele Menschen krank werden und sterben.

Der FC Augsburg hat als erster Bundesligist schon am Montag, 23. März, wieder mit einem Training in Kleingruppen begonnen.

Es hieß zwar, dass wir die ersten gewesen seien, die in Kleingruppen trainiert haben. Aber ich weiß, dass wir nicht die einzigen waren. Mehr will ich dazu nicht sagen. Wir haben uns immer an alle behördlichen Vorgaben gehalten und Schutzmaßnahmen getroffen. So haben wir viele Räume als Kabinen im Stadion umfunktioniert. Auf dem Platz gab es keine Zweikämpfe, keinen Körperkontakt, sondern nur Pass- und Laufformen, bei denen alle Sicherheitsstandards eingehalten wurden.

„Fußball braucht Spiele, um zu überleben“

Die Diskussion, wie und wann die Ligen wieder ihren Betrieb aufnehmen, wird konkreter.

Es werden wieder Spiele stattfinden müssen, der Fußball braucht Spiele, um zu überleben. Die Fernsehgelder sind eine wichtige Einnahmequelle für alle Klubs. Spiele ohne Zuschauer sind außergewöhnlich, aber es wird wichtig sein, dass das keine Farce-Spiele werden, bei denen nur der Ball hin und her geschoben wird. Eine Prognose, wann wieder Spiele mit Zuschauern stattfinden können, ist äußerst schwer abzugeben. Aber wenn zum ersten Mal wieder ein Spiel in einem vollen Stadion stattfinden kann, dann wird das eine außergewöhnliche Sache. Etwas ganz Großes. Darauf freue mich schon jetzt sehr.

Es werden Sonderregelungen nötig sein, damit die Bundesligen die Saison irgendwie zu einem sportlichen Ende bringen können. Ist Fußball wichtig genug für einen solchen gesellschaftlichen Spagat?

Ich möchte dazu gerne eine sehr persönliche Geschichte erzählen. Als ich die Diagnose Gehirntumor hatte (im Jahr 2000, Anm. d. Redaktion), war ich in Behandlung bei Professor Sturm in der Kölner Uniklinik, ein toller Arzt und Chirurg. Ich fühlte mich damals als Fußballer wie ein Clown, dem die Leute zujubeln, wenn er ein Tor erzielt und den sie ausbuhen, wenn er es nicht trifft. Ich sagte dem Professor, dass er und seine Kollegen Leben retten, dass sie etwas unglaublich Wichtiges tun und ich etwas sehr Unwichtiges. Er antwortete: „So dürfen Sie das nicht sehen. Ihre Arbeit ist auch wichtig.“ Er war, glaube ich, Fan des Karlsruher SC. Und er erklärte mir, er freue sich immer auf Fußball, auf die „Sportschau“ und die Spiele im Fernsehen. Es sei unheimlich wichtig für ihn, und er könne dabei immer gut von allem abschalten. Das war für mich persönlich eine wichtige Botschaft, weil ich immer darunter gelitten hatte, dass andere so bedeutende Arbeit machen und ich eigentlich „nur Fußball“ und damit etwas „Unwichtiges“, für das ich auch noch ziemlich viel Geld bekomme.

Sie sind Im Dezember 2018 in Leverkusen freigestellt worden. Ist dieses Kapitel für sie ganz aufgearbeitet?

Ja. Mich hat es unheimlich gefreut, dass die Mannschaft in der letzten Saison in der Rückrunde ihre Ziele erreicht hat. Ich glaube, ich hatte auch meinen Anteil daran, indem ich die Grundlagen geschaffen hatte. Auch wenn es Rückschläge gegen Heidenheim und Krasnodar gab, hat es in der Rückrunde geklappt und Peter Bosz hat die Mannschaft wieder in die Spur gebracht. Ich habe in Leverkusen viel gelernt, vor allem, unter Druck zu arbeiten, und ich denke gerne daran zurück.

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Heiko Herrlich am ersten Tag als Trainer beim FC Augsburg

Wie haben Sie die Zeit bis hin zur Verpflichtung in Augsburg erlebt?

Vor dem letzten Sommer gab es zwei, drei Angebote, die für mich aber nicht in Frage kamen. Es waren auch exotische Dinge dabei wie China oder Dubai. Ich habe die Sommerpause dazu genutzt, zwei Wochen bei Atlético Madrid und Real Madrid zu hospitieren. Ich konnte vor allem von Diego Simeone jede Einheit anschauen, was mich schon seit Jahren interessiert hatte. Die Art und Weise, wie sie trainieren, war beeindruckend. Bei Real Madrid habe ich Toni Kroos wieder getroffen, dessen Trainer ich bei der U-17-Nationalmannschaft war. Trainer Zinedine Zidane hatte ich im Champions-League-Finale 1997 gegenübergestanden, als er noch für Juventus Turin gespielt hat. Ich konnte viele Eindrücke mitnehmen. Ich habe aber auch bei Borussia Mönchengladbach, Mainz und Augsburg zugeschaut. Und da hat sich Martin Schmidt total viel Zeit genommen, um sich mit mir auszutauschen.

Jetzt sind Sie sein Nachfolger.

Man freut sich nie, wenn ein anderer gehen muss, das ist ganz klar. Aber so ist das Geschäft. 

Augsburgs Manager Stefan Reuter war ihr Mitspieler in Dortmund.

Natürlich hab ich zu ihm eine engere Beziehung als vielleicht zu anderen. Aber wir trennen das ganz klar. Stefan war unser Kapitän beim BVB. Er war jemand, der immer den Laden zusammengehalten und geschaut hat, wo es zwischen den einzelnen Personen Schnittmengen gibt. Wir sind als Spieler offen miteinander umgegangen, das hat jetzt den Vorteil, dass man sich nicht abtasten muss.

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Wie geht man in der jetzigen Situation mit sportlichen Zielen um?

Es ist Pionierarbeit, das muss man ganz klar sagen. Es ist eine Situation, die noch nie da war, dass man über so einen langen Zeitraum nicht richtig trainieren kann, auch keine Spielformen, keine Freundschaftsspiele. Trotzdem muss man die Spieler fit halten für den Tag X, von dem niemand weiß, wann er sein wird. Natürlich versucht man, die Intensität hoch zu fahren. Deshalb ist es meine Idee, die Spieler in allen Grundlagenbereichen in eine super Verfassung zu bringen. Wir müssen jetzt keine Rücksicht auf Spieltermine nehmen, sondern können intensiv trainieren.

Wie reagieren die Spieler auf diese Herausforderungen?

Bei uns ist es eine Sondersituation, denn ich bin neu, wir trainieren gerade zwei Wochen zusammen und alle wollen sich beweisen, aber irgendwann kommt der Alltag. Dann wird sich zeigen, ob sie das Feuer haben und weiter mitziehen. Bisher tun sie das super, und es funktioniert gut. Aber eine total blöde Sache in meiner Situation war die des ersten Kontaktes. Du fängst als Trainer am Dienstag an. Und am Mittwoch mussten wir festlegen, dass wir uns nicht mehr die Hand geben. Ich finde es aber ganz wichtig, dass du eine Beziehung zu deinen Spielern hast. Da gehört es im respektvollen Umgang einfach dazu, dass du einem die Hand gibst, ihm in die Augen guckst, und dass du eine gewisse Nähe herstellst. Im Unterbewussten schafft du durch ein Kontaktverbot aber eine Distanz. Ich habe meinen Spielern gesagt, dass ich gern mehr Gespräche persönlich führen würde, es aber derzeit nicht möglich ist. Jetzt müssen wir sehen, welche Auswirkungen so ein Verhalten langfristig haben wird. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir die Situation gemeinsam meistern.  

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