Joel Abu HannaDer Fußballprofi aus Hennef, der zweimal einen Krieg erlebte

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Der Hennefer Joel Abu-Hanna spielt für Maccabi Netanya in der ersten israelischen Liga.

Der Hennefer Joel Abu-Hanna spielt für Maccabi Netanya in der ersten israelischen Liga.

Der junge Rheinländer Joel Abu Hanna spielte in Israel, als die Hamas angriff – Zuvor war er in der besetzten Ost-Ukraine aktiv.

Es könnte alles so schön sein. Dieses magische Licht, wenn die Sonne jetzt deutlich niedriger am Himmel steht, und diese wohlige Wärme selbst so kurz vor dem Jahreswechsel. 21, 22 Grad können das Leben so viel lebenswerter machen, das gefällt natürlich auch ihm. Die Brandung des Mittelmeeres hört er schon von weitem und die Gischt, wenn die Wellen auf die Küste treffen. Sein Weg zum Strand ist ohnehin nicht weit, er wohnt schließlich im Zentrum der Metropole. Und bis vor kurzem, da hatte diese Stadt auch nachts nicht geschlafen. Getanzt bis zum Morgengrauen. Und irgendwie auch so, als ob es kein Morgen gäbe.

Tel Aviv, seine Stadt, ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Offen, bunt, oft laut, selten leise. Oder einfach „die schönste Stadt der Welt“, wie Joel Abu Hanna schwärmt, der junge Mann aus Hennef, der sich im vergangenen Sommer einen Traum erfüllt hatte: Er wurde Erstliga-Fußballprofi in Israel, dem Land seines Vaters, eines arabischen Israeli. Der Rheinländer lebt in Tel Aviv und geht der Arbeit, die für ihn auch eine Berufung ist, im nördlich gelegenen Küstenort Netanya nach. Beim dortigen Klub Maccabi, der einst von Lothar Matthäus trainiert wurde, hat er einen Vertrag bis 2025 mit Option auf ein weiteres Jahr unterschrieben. „Eigentlich ist das ein Traum hier“, sagt der frühere Abwehrspieler von Bayer 04 Leverkusen und Fortuna Köln, den Almog Cohen nach Netanya geholt hatte, seit Anfang 2022 ist der Ex-Bundesliga-Profi Maccabis Sportdirektor.

Der 7. Oktober veränderte in Israel alles – natürlich auch den Fußball

Doch dann kam der 7. Oktober. Und damit das Grauen. Erst wurde es ganz laut, dann ganz leise. Diesmal aber aus einem entsetzlichen Grund. Denn statt auf dem Sportplatz oder am Strand fand sich Abu Hanna plötzlich im Luftschutzbunker wieder. Raketenalarm. „Du hörst die lauten Sirenen, rennst in den Bunker, kauerst dann da, es ist still und du denkst, gleich schlägt es neben dir ein. Ja, natürlich hatten wir Angst. Alle hatten Angst. Erst wusste ja keiner richtig, was los ist, und vor allem wusste keiner, was da womöglich noch folgt“, schildert Abu Hanna im Gespräch mit dieser Zeitung.

Der 7. Oktober, der Tag des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel, hat sich natürlich auch bei ihm ins Gedächtnis gebrannt. Erst wollten er und seine Frau Alina das schier Unmögliche, den barbarischen Überfall, gar nicht wahrhaben. Wie so viele Israelis ebenfalls. Der jüdische Staat galt trotz der vielen Feinden um ihn herum als relativ sicher. Sagten Sie jedenfalls, die Politiker, das Militär, der Mossad. Klar, der Raketenalarm, der war ein fast täglicher Begleiter, damit arrangiere man sich wohl oder übel mit der Zeit, so Abu Hanna. Doch das Vertrauen in die Dienste war immens.

Aber dann war plötzlich alles anders. Es herrschte der Ausnahmezustand. Ein Land erst im Schock, dann in Angst, auf die Trauer folgte die Wut. „Auf einmal fanden wir uns im Krieg wieder. Und Fußball war auf einmal so unwichtig“, sagt Abu Hanna. Es wurde alles gestoppt: der Ligabetrieb, das Training. Das Ehepaar hatte schon am Abend des 7. Oktober die Metropole verlassen, fluchtartig, der Raketenbeschuss hörte nicht auf. Nach einer Woche erfolgte die Ausreise, über das Auswärtige Amt Deutschlands ergatterte das Paar einen Flug nach Deutschland. Zum Militär wurde Abu Hanna, der einen deutschen und israelischen Pass hat und christlichen Glaubens ist, nicht eingezogen.

Abu Hanna spielte auch in der Ost-Ukraine für Sorja Luhansk

Es ist kaum zu glauben: Da ist ein Fußballer erst 25 und ist schon zum zweiten Mal von einem Krieg betroffen. Bereits mit 21 war Abu Hanna in die Ost-Ukraine gewechselt. Und rettete so seine ins Stocken geratene Karriere. Er spielte unter dem früheren Werder-Trainer Viktor Skripnik, der ihn geholt hatte, stark auf und mit Sorja Luhansk sogar im Europapokal. Doch Luhansk ist bereits seit 2014 von russischen Separatisten besetzt, die Heimspiele wurden in Saporischschja ausgetragen. Der Verteidiger bekam schon da den Krieg hautnah mit. Durch entsetzliche Schilderungen von Teamkollegen, aber auch durch eigene Erfahrungen. Der Sportler half Geflüchteten, und seine deutsche Mutter nahm in Hennef bis zu 15 Ukrainer auf. Selbst als Abu Hanna im Sommer 2021 zu Legia Warschau wechselte, ließ ihn das Thema nie wirklich los. „Ich habe immer noch Freude in der Ukraine“, sagt der frühere deutsche Junioren-Nationalspieler, der mittlerweile sechs Länderspiele für Israel bestritten hat.

Joel Abu Hanna (2.v.l.) jubelt 2017 mit seinen Teamkollegen nach einem Torerfolg für die U19 von Bayer 04 Leverkusen.

Jugend bei Bayer 04 Leverkusen: Joel Abu Hanna (2.v.l.) Anfang 2017 nach einem Torerfolg für die U19 der Werkself.

Als Abu Hanna dann im Herbst schon drei Wochen bei der Familie in Hennef war, meldete sich sein Klub und bat ihn um Rückkehr. Der Trainingsbetrieb wurde wieder aufgenommen, um sich auf den Neustart der Liga vorzubereiten. Abu Hanna flog nach Israel, er ist schließlich Profi und liebt seinen Sport. Doch ins Zentrum von Tel Aviv, wo er seine Wohnung hat, kehrte der Rheinländer noch nicht wieder zurück und kam bei einem Mitspieler in Netanya unter. Mittlerweile normalisiere sich das Leben ganz langsam wieder, sagt Abu Hanna. Doch es ist ein anderes Leben. Israel befindet sich weiter im Krieg, und dessen Ende ist nicht in Sicht. Während der Krieg in Gaza eskaliert, protestieren in Israel die Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln weiterhin. Jeden Tag. „Es gibt wieder so etwas wie Alltag, aber man kommt am Krieg natürlich trotzdem nicht vorbei“, schildert Abu Hanna.

Rückkehr nach Israel und in den Spielbetrieb: „Ich will bleiben“

In diesem unwirklichen Szenario rollt der Ball im Oberhaus, der Ligat ha'Al. Erst waren gar keine Zuschauer zu den Spielen zugelassen, dann wenige, zuletzt mehr. Nicht so beim Klub aus Aschdod, das nur rund 30 Kilometer vom Gazastreifen entfernt liegt. „Die Liga ist in Risiko-Zonen aufgeteilt“, weiß Abu Hanna.

Er will bleiben. „Das ist mein Ziel, ich hoffe es jedenfalls.“ Nach seiner Karriere möchte er auf jeden Fall zurück nach Deutschland. Aber jetzt noch nicht. Trotz allem. „Ich fühle mich hier so wohl: beim Verein, in diesem Land. Die Menschen hier sind offen, liebevoll und helfen einem, wo sie nur können.“ Und dann hört Joel Abu Hanna vor ihm das Meer, sieht das magische Licht. Und blickt auf die Hochhaus-Silhouette der einst so pulsierenden Stadt, deren Einwohner hoffentlich in Zukunft wieder anfangen, die Nacht zum Tage zu machen. Weil sie das Leben lieben. So wie er auch.

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