- Zu wenig Abstand beim Jubeln, eigenmächtig verkürzte Quarantäne, kurz mal in den Supermarkt: Man kann das Fehlverhalten einiger Spieler und Trainer als Einzelfälle abtun.
- Man kann es aber auch so sehen: Das Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga für den Neustart der Saison ist äußerst zweifelhaft.
- Und dann ist da noch FC-Trainer Markus Gisdol, der eine bemerkenswerte Realitätsferne zeigt.
Heiko Herrlich geht Zahnpasta einkaufen, während er eigentlich mit seinem Team in strikter Quarantäne sein sollte. Die komplette Mannschaft von Borussia Mönchengladbach ist vor dem ersten Spieltag beim Neustart der Fußball-Bundesliga nach der Coronavirus-bedingten Pause nicht sieben, wie vorgeschrieben, sondern nur sechs Tage in Quarantäne. Die von der Deutschen Fußball-Liga dringend empfohlene körperliche Distanz auch beim Torjubel am vergangenen Wochenende klappt immerhin... also na ja, fast, denn die Spieler von Hertha BSC ignorierten diese Empfehlung konsequent, umarmten sich und bildeten nach einem Tor die übliche Spielertraube um den Torschützen.
Einzelfälle von Fehlverhalten, sicher. Genauso wie es vermutlich Einzelfälle von Fehlverhalten waren, die Herthas Spieler Salomon Kalou erst auf Video aufnahm und dann auf Facebook einstellte: Händeschütteln, Abklatschen unter Fußballprofis undsoweiter, wo eigentlich strikte soziale Distanz angebracht wäre.
Die Einzelfälle sind aber geeignet, die Zweifel am gesamten Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga für den Neustart der Saison insgesamt weiter zu nähren. Dass dieses Konzept auch systemische Lücken hat, darauf hat zum Beispiel der Kölner Gesundheitspolitiker und Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD) hingewiesen. Bayer 04-Geschäftsführer Rudi Völler griff Lauterbach deshalb mit Verve an. Und mit Unrecht. Worauf wiederum Lauterbach kühl hinwies. Schon zuvor hatte Völlers Amtskollege Alexander Wehrle sich über Lauterbachs Kritik mokiert. Wehrle war selbst an der Erstellung des DFL-Hygienekonzepts beteiligt.
Es ist vielleicht verständlich, dass man sich da ungern auf Fehler hinweisen lässt. Aber ist es auch ehrlich? Zugegeben, die Liga steht unter enormem Erfolgsdruck. Ganz Fußball-Europa guckt zur Zeit auf Deutschland und fragt sich, ob das mit dem Saison-Neustart wohl klappt oder nicht.
Das könnte Sie auch interessieren:
Für diesen Neustart mussten die Profis auch noch ziemliche Opfer bringen, findet jedenfalls FC-Trainer Markus Gisdol. Mit Blick auf die einwöchige Hotel-Quarantäne erklärte er bei einer Pressekonferenz, das Leben in Quarantäne sei für die Fußball-Profis und den Stab „kein schönes. Du fährst zwischen Hotel und Trainingszentrum hin und her und siehst die Leute draußen auf der Straße laufen oder sogar im Eiscafé sitzen. Da siehst du, welche Opfer du bringst.“
Mir kommen die Tränen. Ein schlimmes Opfer. Fürwahr. Sieben Tage im Luxushotel leben. Ohne mal eben ein Eis im Café schlecken gehen zu können. Das ist ein hartes, schweres Schicksal. Im Ernst: Gisdols Äußerung löst Kopfschütteln aus. Denn sie zeigt, wie abgekoppelt vom Leben der meisten Menschen in Deutschland die Welt der Fußball-Profis ganz offensichtlich ist. Sport-Millionäre, die es als schwere Last empfinden, eine Woche im Hotel abhängen zu müssen.
A propos eine Woche Luxus-Hotel: Noch so ein systemischer Fehler im DFL-Konzept für den Liga-Neustart. Seit Beginn der Coronavirus-Epidemie werden Mediziner nicht müde zu betonen, dass das Virus eine maximale Inkubationszeit von zwei Wochen hat. Wieso reicht dann für die Profis dann eine Woche Quarantäne? Und wieso galt diese Quarantäne auch nur vor dem ersten Spieltag im Neustart, denn die Profis wohnen ja jetzt wieder zuhause? Wäre das dann doch ein zu schlimmes Opfer gewesen, um mit Markus Gisdol zu sprechen? Aber wie sinnvoll ist die einmalige – zu kurze - Quarantäne dann überhaupt? Fragen über Fragen. Ob die Deutsche Fußball-Liga die Antworten weiß? Zweifel sind angebracht.