„Mein Selbstwertgefühl hing nur vom Hockey ab“Wie Weltmeister Joshua Onyekwue Nnaji gegen die Depressionen kämpfte

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Joshua Onyekwue Nnaji mit dem Siegerpokal der U21-Weltmeisterschaft im Feldhockey.

Joshua Onyekwue Nnaji mit dem Siegerpokal der U21-Weltmeisterschaft im Feldhockey.

Im Dezember wurde der Kölner mit der U21-Mannschaft Weltmeister im Hockey – kurz zuvor hatte er sich öffentlich zu seiner psychischen Erkrankung bekannt.

Es sind Szenen puren Glücks, die sich Mitte Dezember in Kuala Lumpur, Malaysia, abspielen. Junge Männer liegen sich vor Freude schreiend in den Armen. Konfetti wirbelt durch die Luft, während der Pokal in den Himmel gestreckt wird. Die deutschen Hockey-Junioren haben nach zehn Jahren wieder den Titel bei einer U21-Weltmeisterschaft gewonnen. „Ein unbeschreiblich geiles Gefühl“, wie Joshua Onyekwue Nnaji (21) es formuliert.

Onyekwue Nnaji hat großen Anteil am Triumph, wird später als „Torhüter des Turniers“ ausgezeichnet. „Es sind diese Momente, für die sich Monate und Jahre harter Arbeit auszahlen“, sagt er.

Wie hart seine Arbeit dabei auch neben dem Platz war, darüber wissen alle im deutschen Team Bescheid. Vor der Abreise hatte sich Onyekwue Nnaji über Instagram öffentlich zu seiner Erkrankung bekannt – Diagnose: Anpassungsstörung. Ein mutiger Schritt, den bis heute nur wenige der erkrankten Profisportler gewagt haben.

Was zählt, ist die Leistung

Angefangen haben die mentalen Probleme schon auf der Hockeyanlage des RTHC Leverkusen. „Ich konnte noch nicht richtig laufen, da hatte ich schon einen Hockeyschläger in der Hand.“ Kaum verwunderlich, da Mutter Birgit das Restaurant auf dem Vereinsgelände führt. Der kleine Junge mit dem Hockeyschläger fällt auf, nicht immer positiv. „Ich hatte schon damals oft das Gefühl, irgendwie anders zu sein und nicht richtig dazuzugehören.“

Joshua Onyekwue Nnaji im Kindesalter beim RTHC Leverkusen.

Joshua Onyekwue Nnaji im Kindesalter beim RTHC Leverkusen.

Feldhockey ist eine eher elitäre Sportart. Joshuas Vater Godwin stammt aus Nigeria, seine Mutter Birgit aus Deutschland. Seine Eltern trennen sich, als Onyekwue Nnaji zwei Jahre alt ist. Während einer Trainingseinheit wird er von einem anderen Kind gefragt, ob er nicht nur nach Schokolade aussieht, sondern auch so schmeckt. „Mit so etwas konnte ich damals nicht umgehen. Ich wollte einfach nur sein wie die anderen.“ Ein Wunsch, der ihn noch viele Jahre begleiten wird.

Onyekwue Nnajis Talent auf dem Platz ist bereits damals nicht zu übersehen. Mit 14 Jahren wechselt er zum Branchenprimus Rot-Weiss Köln. Zwei Jahre später folgt der Umzug in das Sportinternat des 1. FC Köln. Nichts soll dem Zufall überlassen werden. Fortan zählt nur noch die Leistung, ob beim Hockey oder in der Schule.

„Zu viel Druck für einen 16-Jährigen“

„Das war schon viel Druck damals, im Nachhinein muss man vielleicht sagen, zu viel Druck für einen 16-Jährigen“, sagt er. Die Leistungen beim Hockey stimmen zwar, und auch die Noten in der Schule werden mit dem Wechsel ins Sportinternat besser. Verunsichert fühlt sich Onyekwue Nnaji trotzdem. „Mein Selbstwertgefühl hing nur noch vom Hockey ab“, sagt er.

Er isoliert sich immer mehr, spricht nicht mehr über seine Gefühle. Dabei reicht schon eine schlechte Trainingseinheit aus, um sein Selbstvertrauen ins Wanken zu bringen.

Es kommt, wie es kommen muss. Onyekwue Nnaji wird nicht für die U19-Europameisterschaft nominiert. Es folgt der mentale Zusammenbruch. All die Gefühle, die er zuvor versucht hat, von sich wegzudrücken, überrollen ihn jetzt. Monatelang muss er kämpfen, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Nur mit Mühe kann er sich für Trainingseinheiten und Spiele aufraffen, für mehr reicht die Energie nicht.

Nehmen die Depressionen überhand, versucht der junge Torwart, sie mit übermäßig viel Alkohol zu ertränken – erfolglos. Nach der Trennung von seiner Freundin rät die ihm zu einer Therapie. „Ich wusste, dass sie recht hat, hatte aber Angst davor. Dass ich es im Endeffekt trotzdem gemacht habe, war mein Glück“, sagt Nnaji heute.

SpoHo-Psychologin: Leistungssportler dürfen keine Schwäche zeigen

Für die Diplom-Psychologin Marion Sulpizio, von der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), ist Onyekwue Nnajis Schicksal kein Einzelfall. „Leistungssportler in Deutschland, auch im Jugendbereich, dürfen einfach keine Schwäche zeigen.“ Die DSHS-Netzwerkinitiative „MentalGestärkt – Psychische Gesundheit im Leistungssport“, mit Sulpizio als Projektleiterin, will das so nicht akzeptieren.

Besonders wichtig ist dabei die Sensibilisierung von Trainern sowie die Vermittlung von sportpsychologischen oder therapeutischen Behandlungen. So ist es der Initiative auch gelungen, Onyekwue Nnaji schnell einen Therapieplatz zu vermitteln.

Robert-Enke-Stiftung fördert die Initiative

Finanziell gefördert wird die 2011 gegründete Initiative unter anderem von der Robert-Enke-Stiftung. Der ehemalige Fußball-Torhüter von Hannover 96 nahm sich im November 2009 das Leben. Grund war eine depressive Erkrankung, von der die Öffentlichkeit bis zu seinem Tod nichts wusste. Marion Sulpizio und ihre Mitstreiter von „MentalGestärkt“ sind dankbar für diese Unterstützung, denn es gibt noch viel zu tun. „Im Leistungssport, egal in welcher Altersstufe, sollte es vollkommen normal sein, auch im mentalen Bereich intensiv zu arbeiten“, betont die Sport-Psychologin.

Eine Aussage, die Onyekwue Nnaji nur bestätigen kann. Seit zwei Jahren befindet er sich in therapeutischer Behandlung. Es geht ihm zunehmend besser. Mittlerweile schaut er wieder zuversichtlich in die Zukunft. Seit 2022 ist er Stammtorwart beim Hockey-Bundesligisten Crefelder HTC. Und jetzt auch U21-Weltmeister. „Das alles hätte ich nicht geschafft, wenn ich nicht angefangen hätte, über meine Probleme zu sprechen.“


Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon – Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de

Beratung und Hilfe für Frauen – Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt.

Psychische Gesundheit – Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen.

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