Kommentar zu Real MadridWenn man für eine leere Bahn ein gewaltiges Comeback verpasst

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Real und Fans im Bernabeu

Fans und Mannschaft feiern im Bernabeu-Stadion.

Im Fußball bietet sich immer wieder die Gelegenheit, dem Schicksal bei der Arbeit zuzuschauen. So etwa am Mittwochabend, als angesichts eines 0:1-Rückstands in der 90. Minute gegen Manchester City die ersten Fans von Real Madrid die Hoffnung fahren ließen und das Santiago Bernabeu verließen, um es rechtzeitig zur U-Bahn zu schaffen. Ihr Einsatz war allerdings hoch, denn der Aussicht auf eine Heimfahrt im noch halbwegs leeren Zug stand das Risiko gegenüber, ein weiteres großes Comeback ihrer Mannschaft zu verpassen. Denn auch im Bernabeu funktionieren die Drehkreuze nur einmal: Wer das Stadion verlässt, weil er nicht erträgt, wie seine Mannschaft im Halbfinale aus der Champions League kippt, ist raus für die Nacht.

Und dann manifestierte sich, was schon den ganzen Abend über Bernabeu gelegen hatte. In der 73. Minute hatte Mahrez das 1:0 für City geschossen, Real brauchte nun zwei Tore. Der Rest war eine weitere gewaltige Nacht, wie sie die Champions League liefert, wenn die Topteams Europas die Karten auf den Tisch legen. Denn während sich auf den Rängen Zweifler fanden, war auf dem Rasen im Moment des Rückstands alles klar: Ancelotti hatte schon zuvor offensiv gewechselt, für Toni Kroos den Brasilianer Rodrygo gebracht und seiner Mannschaft damit ein kontrollierendes Element genommen und den Faktor Chaos eingewechselt.

Real glaubte an das Unmögliche, City bekam es mit der Angst

Nach dem 0:1 gingen zwei weitere Zentrumsgrößen, Modric und Casemiro, jeder ein Weltstar. Doch scharte Ancelotti seine Spieler anschließend an der Seitenlinie um sich, als seien sie Teil des Trainerstabs. Das Stadion erwachte, und plötzlich wurde offensichtlich: Real glaubte an das Unmögliche, während es City mit der Angst bekam.

Es dauerte dennoch bis in die Schlussminute, ehe Benzema auf Rodrygo passte, der am kurzen Pfosten zum Ausgleich traf. Sechs Minuten Nachspielzeit wurden angesetzt, und es gab keinen Zweifel mehr, dass das reichen würde für Real. Tatsächlich benötigte Rodrygo gerade eine Minute, 88 Sekunden nach dem 1:1 gelang ihm das 2:1, das die Verlängerung brachte. Aus Guardiolas City war alle Energie gewichen, seine Mannschaft fand nicht mehr statt. Wie Real an den umfassenden Triumph glaubte, so schien Manchester sicher zu sein, etwas Unausweichlichem zu begegnen.

Guardiola

City-Trainer Pep Guardiola

Pep Guardiola muss sich nun fragen lassen, was zum erneuten Kollaps seiner Mannschaft führte. Im Alltag der Premier League funktioniert sein Team; befeuert durch die Millionen aus Abu Dhabi zeigt auch Manchester City Jahr für Jahr, dass Geld eine Menge Tore schießt. Doch in der dünnen Luft eines Halbfinals in der Champions League sind plötzlich Dinge gefragt, die man nicht kaufen kann. Dann hat Real Madrid plötzlich die Wucht der Geschichte auf seiner Seite, dann genügt es, dass Modric, Kroos und Casemiro bei Ancelotti an der Seite stehen, das Bernabeu erwacht und das Signal an Guardiola und seine Mannschaft sendet: Das wird wieder nichts. In den vergangenen zehn Jahren hat Real viermal die Champions League gewonnen. Manchester City noch nie – und Pep Guardiola eben auch nur in jenen zwei Jahren, als der FC Barcelona die mit Abstand beste Mannschaft der Welt stellte.

In der Rückschau ist diese magische Nacht von Madrid daher bei aller Pracht keine wirkliche Sensation. Umso mehr ärgern sollten sich die Fans, die in den Schlussminuten vor dem Stadion auf dem Gehsteig hockten und sich die Sensation auf ihren Mobiltelefonen ansehen mussten, während auf dem Rasen Geschichte geschrieben wurde.

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