Sollte Cheerleading abgeschafft werden?„Männer zeigen Stärke, Frauen ihren Busen“

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Cheerleader beim Einlaufen der Alba-Spieler. (Archivbild)

  • Ist Cheerleading nur der Dienst des Frauenkörpers an der männlichen Heldentat?
  • Oder ist die Entscheidung von Alba Berlin, nach 25 Jahren keine Cheerleader im Rahmenprogramm seiner Spiele mehr auftreten zu lassen, nicht nur spaßfeindlich, sondern eine unverschämte Bevormundung der jungen Frauen?
  • Zwei Autorinnen, zwei Meinungen – unser Streit der Woche.

Der Basketball-Verein Alba Berlin hat entschieden, „attraktive Frauen als Pausenfüller von Sportevents“ abzuschaffen. Eine richtige Entscheidung?

Pro: Der Dienst des weiblichen Körpers an der männlichen Heldentat

Die Sportstunden der zwölften und dreizehnten Klasse habe ich unter der Aufsicht eines ehemaligen Bundeswehrleutnants und in Gesellschaft von fast nur männlichen Mitschülern verbracht.

In der Mädchenumkleide waren wir zu dritt, was daran lag, dass die meisten Mitschülerinnen Gymnastik und Tanz statt Leichtathletik gewählt hatten. „Ihre Beine sind ganz rot. Sie sehen viel hübscher aus, wenn Ihr Gesicht nicht so verschwitzt ist. Legt die Latte tiefer, Mädchen und Behinderte müssen nicht so hoch springen“ – derlei mussten wir uns oft anhören.

Ich muss nicht erwähnen, dass die Farbgebung von Gesicht und Beinen eines Florians, Olivers oder Karls vom Lehrer nie bewertet wurde. Dass Alba Berlin seine Cheerleader abschafft, kann man bedauerlich finden.

Männer siegen, Frauen jubeln

Bestimmt ist das ein krass anstrengender Sport. Und ich gehe davon aus, dass alle Frauen, die dort tanzten, das freiwillig und in gewisser Weise gerne taten. Und dennoch möchte ich die Verantwortlichen zu ihrer Entscheidung beglückwünschen. Männer siegen, Frauen jubeln. Männer zeigen Stärke, Frauen ihren Busen.

Cheerleading ist der Dienst des Frauenkörpers an der männlichen Heldentat. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nicht grundsätzlich was dagegen, wenn Sportler siegen und andere dazu mit dem Hintern wackeln. Hat ja – neben der Sexualisierung von Sport – möglicherweise auch was Ehrerbietendes, das man nett finden kann.

Gerecht wird die Unterwerfungsgeste aber nur dann, wenn die Geschlechter die Rollen jederzeit tauschen könnten. Also: Frauen werfen Körbe, scheffeln Kohle, sind die Babos und die Männer winden dazu leicht bekleidet ihre hübschen Körper und winken schlecht bezahlt mit Puscheln. So lange wir das unpassend und für die Kerle entwürdigend finden, stimmt etwas mit unserer Geschlechtergerechtigkeit nicht.

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Claudia Lehnen, 41, Ressortleiterin Wochenende, ist vielleicht nur neidisch, weil sie nur leidlich Basketball spielt und noch schlechter tanzen kann.

Denn es ist ja so: Frauen soll komischerweise gemeinhin immer genau das liegen, was weniger anerkannt ist, für das man weniger Geld verdient. Sie sind scheinbar auch besonders talentiert für Dinge, bei deren Ausübung man weniger Klamotten anhaben muss und für die die entwürdigenderen Regeln gelten.

Gucken wir zum Beispiel kurz zu den New Yorker Cheerleadern der Buffalo Bills, den Buffalo Jills. Die verklagten 2014 ihren Verein, weil der ihnen mutmaßlich keinen Mindestlohn bezahlte – während die bejubelten NFL-Sportskollegen für ihre Korbleger Millionen scheffelten.

Im Zuge dessen prangerten die Cheerleader auch an, man habe ihnen vorgeschrieben, einen bestimmten Friseur zu besuchen, in der Öffentlichkeit nicht meinungsstark aufzutreten und Tampons alle vier Stunden zu wechseln.

Das Geschlechterverhältnis ist immer noch eine schiefe Ebene mit eindeutig zugewiesenen Plätzen. Das wird auch durch Frauen nicht gerechter, die sagen: Wir stehen freiwillig halb nackt da unten und himmeln starke Jungs an, die sich an unseren wackelnden Körpern erfreuen.

So lange Männer scheinbare Frauentätigkeiten für sich nicht ebenso erstrebenswert finden wie Frauen scheinbare Männertätigkeiten, besteht zum Jubel kein Grund.

Kontra: Sportlerinnen werden hier für den sexistischen Blick anderer bestraft

Dass Alba Berlin nach 25 Jahren keine Cheerleader im Rahmenprogramm seiner Spiele mehr auftreten lässt, ist nicht nur spaßfeindlich, sondern eine unverschämte Bevormundung der jungen Frauen.

Marco Baldi, der Geschäftsführer des Basketball-Bundesligisten begründet es damit, dass „attraktive Frauen als Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr in unsere Zeit“ passten. Was genau soll das denn bitteschön heißen?

Es passt nicht in unsere von politischer Korrektheit geprägte Zeit, dass junge Frauen freiwillig einen anspruchsvollen Sport ausüben, der ihnen Spaß macht und öffentlich damit auftreten?

Will der Manager sie vor sich selbst schützen, weil sie dazu alleine nicht im Stande sind? Weil er der wahre Feminist ist? Weil er besser als die Frauen selbst weiß, was Frauen zu tun und zu lassen haben?

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Christiane Mitatselis, 51, schreibt für die Sportredaktion, mag auch Tanzsport und lässt sich einfach nicht gern bevormunden.

Baldis Satz beinhaltet eine große Menge Denkfehler. Der erste und gröbste: Cheerleader sind keine Pausenfüllerinnen, sondern Athletinnen, die täglich hart trainieren. Ihr Sport ist eine Mischung aus Tanz und Akrobatik, sie müssen also turnerische Fähigkeiten besitzen und ein Gefühl für Musik.

Nebenher sehen die Sportlerinnen auch gut aus. Wie fast alle Athletinnen. In den USA, wo Cheerleading erfunden wurde und große Tradition hat, gibt es unglaublich gute Gruppen. Wer einmal einen Auftritt der NBA-Dancers gesehen hat, wird ihn nicht mehr vergessen. Es sind mitreißende Darbietungen begabter und schöner Tänzerinnen.

Chef von Alba Berlin sollte seine Perspektive hinterfragen

Der Chef von Alba Berlin sollte seine Perspektive hinterfragen, denn sie ist auch chauvinistisch. Er reduziert die Cheerleader offensichtlich darauf, dass sie attraktiv sind und in knapper Kleidung auftreten. Ihre sportliche Leistung bleibt völlig ohne Beachtung. Die Alba Dancers sind mehrfach als beste europäische Gruppe ausgezeichnet worden.

Anders ausgedrückt: Die Perspektive ist falsch, nicht das Cheerleading. Die Sportlerinnen sollen hier für den sexistischen Blick mancher Männer auf ihre Aufführungen bestraft werden. Man könnte in diesem Geiste fortfahren und zum Beispiel Funkenmariechen im Karneval verbieten. Oder Eiskunstläuferinnen zumindest längere Röcke verordnen.

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Den Leichtathletinnen, die gerade in Doha in knappen Trikots um Medaillen kämpfen, könnte man sittliche Gewänder überstülpen, damit die Männer nicht abgelenkt werden, wenn die Frauen auf die Bahn gehen. Man könnte, wenn man den Gedanken weiterspinnt, überhaupt neue Sittlichkeitsgesetze aufstellen, die festlegen, wie Frauen sich zu kleiden und zu benehmen haben. Alles natürlich unter dem Deckmantel der „Zeitmäßigkeit“.

Zum Glück ist das jedoch nicht möglich, da wir in einer freien Gesellschaft leben, in der Gleichberechtigung herrscht. Wir Frauen dürfen Boxen, Fußball oder Eishockey spielen – oder auch in kurzen Röcken tanzen, wenn es uns Freude bereitet. Cheerleader üben ihren Sport mit großem Spaß aus. Ihnen die Bühne zu entziehen, wie es Alba Berlin tut, ist eine unverschämte Bevormundung, die hoffentlich keine Nachahmer findet. 

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